[506] Theophan. Araspe.
ARASPE. Was ich Ihnen sage, mein lieber Vetter. Das Vergnügen Sie zu überfallen, und die Begierde bei Ihrer Verbindung gegenwärtig zu sein, sind freilich die vornehmsten Ursachen meiner Anherkunft; nur die einzigen sind es nicht. Ich hatte den Aufenthalt des Adrast endlich ausgekundschaftet, und es war mir sehr lieb, auf diese Art, wie man sagt, zwei Würfe mit Einem Steine zu tun. Die Wechsel des Adrast sind verfallen; und ich habe nicht die geringste Lust, ihm auch nur die allerkleinste Nachsicht zu gönnen. Ich erstaune zwar, ihn, welches ich mir nimmermehr eingebildet hätte, in dem Hause Ihres künftigen Schwiegervaters zu finden; ihn auf eben demselben Fuße, als Sie, Theophan, hier zu finden: aber gleichwohl, – – und wenn ihn das Schicksal auch noch näher mit mir verbinden könnte, – –
THEOPHAN. Ich bitte Sie, liebster Vetter, beteuern Sie nichts.
ARASPE. Warum nicht? Sie wissen wohl, Theophan, ich bin der Mann sonst nicht, welcher seine Schuldner auf eine grausame Art zu drücken fähig wäre. – –
THEOPHAN. Das weiß ich, und desto eher – –
ARASPE. Hier wird kein Desto eher gelten. Adrast, dieser Mann, der sich, auf eine eben so abgeschmackte als ruchlose Art, von andern Menschen zu unterscheiden sucht, verdient, daß man ihn auch wieder von andern Menschen unterscheide. Er muß die Vorrechte nicht genießen, die ein ehrlicher Mann seinen elenden Nächsten sonst gern genießen läßt. Einem spöttischen Freigeiste, welcher uns lieber das Edelste, was wir besitzen, rauben, und uns alle Hoffnung eines künftigen glückseligem Lebens zu nichte machen möchte, vergilt man noch lange nicht Gleiches mit Gleichem, wenn man ihm das gegenwärtige Leben ein wenig sauer macht. – – Ich weiß, es ist der letzte Stoß, den[506] ich dem Adrast versetze; er wird seinen Kredit nicht wieder herstellen können. Ja, ich wollte mich freuen, wenn ich sogar seine Heirat dadurch rückgängig machen könnte. Wenn mir es nur um mein Geld zu tun wäre: so sehen Sie wohl, daß ich diese Heirat lieber würde befördern helfen, weil er doch wohl dadurch wieder etwas in die Hände bekommen wird. Aber nein; und sollte ich bei dem Konkurse, welcher entstehen muß, auch ganz und gar ledig ausgehen: so will ich ihn dennoch auf das Äußerste bringen. Ja, wenn ich alles wohl erwäge, so glaube ich, ihm durch diese Grausamkeit noch eine Wohltat zu erweisen. Schlechtere Umstände werden ihn vielleicht zu ernsthaften Überlegungen bringen, die er in seinem Wohlstande zu machen, nicht wert gehalten hat; und vielleicht ändert sich, wie es fast immer zu geschehen pflegt, sein Charakter mit seinem Glücke.
THEOPHAN. Ich habe Sie ausreden lassen. Ich glaube Sie werden so billig sein, und mich nunmehr auch hören.
ARASPE. Das werde ich. – Aber eingebildet hätte ich mir es nicht, daß ich an meinem frommen Vetter einen Verteidiger des Adrasts finden sollte.
THEOPHAN. Ich bin es weniger, als es scheinet; und es kommen hier so viel Umstände zusammen, daß ich weiter fast nichts, als meine eigne Sache führen werde. Adrast, wie ich fest überzeugt bin, ist von derjenigen Art Freigeister, die wohl etwas Besseres zu sein verdienten. Es ist auch sehr begreiflich, daß man in der Jugend so etwas gleichsam wider Willen werden kann. Man ist es aber alsdann nur so lange, bis der Verstand zu einer gewissen Reife gelangt ist, und sich das aufwallende Geblüte abgekühlt hat. Auf diesem kritischen Punkte steht jetzt Adrast; aber noch mit wankendem Fuße. Ein kleiner Wind, ein Hauch kann ihn wieder herabstürzen. Das Unglück, das Sie ihm drohen, würde ihn betäuben; er würde sich einer wütenden Verzweiflung überlassen, und Ursache zu haben glauben, sich um die Religion nicht zu bekümmern, deren strenge Anhänger sich kein Bedenken gemacht hätten, ihn zu Grunde zu richten.[507]
ARASPE. Das ist etwas; aber – –
THEOPHAN. Nein, für einen Mann von Ihrer Denkungsart, liebster Vetter, muß dieses nicht nur etwas, sondern sehr viel sein. Sie haben die Sache von dieser Seite noch nicht betrachtet; Sie haben den Adrast nur als einen verlornen Mann angesehen, an dem man zum Überflusse noch eine desperate Kur wagen müsse. Aus diesem Grunde ist die Heftigkeit, mit der Sie wider ihn sprachen, zu entschuldigen. Lernen Sie ihn aber durch mich nunmehr unparteiischer beurteilen. Er ist in seinen Reden jetzt weit eingezogener, als man mir ihn sonst beschrieben hat. Wenn er streitet, so spottet er nicht mehr, sondern gibt sich alle Mühe, Gründe vorzubringen. Er fängt an, auf die Beweise, die man ihm entgegen setzt, zu antworten, und ich habe es ganz deutlich gemerkt, daß er sich schämt, wenn er nur halb darauf antworten kann. Freilich sucht er diese Scham noch dann und wann unter das Verächtliche eines Schimpfworts zu verstecken; aber nur Geduld! es ist schon viel, daß er diese Schimpfworte niemals mehr auf die heiligen Sachen, die man gegen ihn verteidiget, sondern bloß auf die Verteidiger fallen läßt. Seine Verachtung der Religion löset sich allmählig in die Verachtung derer auf, die sie lehren.
ARASPE. Ist das wahr, Theophan?
THEOPHAN. Sie werden Gelegenheit haben, sich selbst davon zu überzeugen. – Sie werden zwar hören, daß diese seine Verachtung der Geistlichen mich jetzt am meisten trifft; allein ich bitte Sie im voraus, nicht empfindlicher darüber zu werden, als ich selbst bin. Ich habe es mir fest vorgenommen, ihn nicht mit gleicher Münze zu bezahlen; sondern ihm vielmehr seine Freundschaft abzuzwingen, es mag auch kosten, was es will.
ARASPE. Wenn Sie bei persönlichen Beleidigungen so großmütig sind – –
THEOPHAN. Stille; wir wollen es keine Großmut nennen. Es kann Eigennutz, es kann eine Art von Ehrgeiz sein, sein Vorurteil von den Gliedern meines Ordens durch mich zu Schanden zu machen. Es sei aber, was es wolle, so weiß ich doch, daß Sie viel zu gütig sind, mir darin im Wege zu[508] stehen. Adrast würde es ganz gewiß für ein abgekartetes Spiel halten, wenn er sähe, daß mein Vetter so scharf hinter ihm drein wäre. Seine Wut würde einzig auf mich fallen, und er würde mich überall als einen Niederträchtigen ausschreien, der ihm, unter tausend Versicherungen der Freundschaft, den Dolch ins Herz gestoßen habe. Ich wollte nicht gerne, daß er die Exempel von hämtückischen Pfaffen, wie er sie nennt, mit einigem Scheine der Wahrheit auch durch mich vermehren könnte.
ARASPE. Lieber Vetter, das wollte ich noch tausendmal weniger, als Sie. – –
THEOPHAN. Erlauben Sie also, daß ich Ihnen einen Vorschlag tue: – – oder nein; es wird vielmehr eine Bitte sein.
ARASPE. Nur ohne Umstände, Vetter. Sie wissen ja doch wohl, daß Sie mich in Ihrer Hand haben.
THEOPHAN. Sie sollen so gütig sein und mir die Wechsel ausliefern, und meine Bezahlung dafür annehmen.
ARASPE. Und Ihre Bezahlung dafür annehmen? Bei einem Haare hätten Sie mich böse gemacht. Was reden Sie von Bezahlung? Wenn ich Ihnen auch nicht gesagt hätte, daß es mir jetzt gar nicht um das Geld zu tun wäre: so sollten Sie doch wenigstens wissen, daß das, was meine ist, auch Ihre ist.
THEOPHAN. Ich erkenne meinen Vetter.
ARASPE. Und ich erkannte ihn fast nicht. – Mein nächster Blutsfreund, mein einziger Erbe, sieht mich als einen Fremden an, mit dem er handeln kann? Indem er sein Taschenbuch herauszieht. Hier sind die Wechsel! Sie sind Ihre; machen Sie damit was Ihnen gefällt.
THEOPHAN. Aber erlauben Sie, liebster Vetter: ich werde nicht so frei damit schalten dürfen, wenn ich sie nicht auf die gehörige Art an mich gebracht habe.
ARASPE. Welches ist denn die gehörige Art unter uns, wenn es nicht die ist, daß ich gebe, und Sie nehmen? – – Doch damit ich alle Ihre Skrupel hebe: wohl! Sie sollen einen Revers von sich stellen, daß Sie die Summe dieser Wechsel nach meinem Tode bei der Erbschaft nicht noch einmal fodern wollen. Lächelnd. Wunderlicher Vetter! sehen Sie[509] denn nicht, daß ich weiter nichts tue, als auf Abschlag bezahle? –
THEOPHAN. Sie verwirren mich – –
ARASPE der noch die Wechsel in Händen hat. Lassen Sie mich nur die Wische nicht länger halten.
THEOPHAN. Nehmen Sie unterdessen meinen Dank dafür an.
ARASPE. Was für verlorne Worte! Indem er sich umsieht. Stecken Sie hurtig ein; da kömmt Adrast selbst.
Ausgewählte Ausgaben von
Der Freigeist
|
Buchempfehlung
Der 1890 erschienene Roman erzählt die Geschichte der Maria Wolfsberg, deren Vater sie nötigt, einen anderen Mann als den, den sie liebt, zu heiraten. Liebe, Schuld und Wahrheit in Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts.
140 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro