Erster Auftritt


[459] Lisette von der einen, und Laura von der andern Seite.


LISETTE. So hitzig, Mamsell?

LAURA. Wo ist der nichtswürdige Advokat? Der alte ungebetne Kuppler! In was mengt er sich? Wer hat es ihm aufgetragen, mich von meinem Vater, als eine Strafe für einen Mann, zu erbitten, mit dem ich am meisten gestraft sein würde?

LISETTE. Mit dem Sie am meisten gestraft sein würden? Lieben Sie denn nicht Leandern? Und haben Sie nicht schon längst ihm Ihre Genehmhaltung erteilt, auf die eine oder die andere Weise die Einwilligung Ihres Vaters zu suchen?

LAURA. Es ist dein Glück, daß du sagst, schon längst. Eben deswegen, weil ich Leandern schon längst einmal geliebt habe, und schon längst einmal die Seine habe sein wollen, hätte man sich doch wohl vorher erkundigen können, ob ich es auch noch jetzt wollte, und ob ich ihn auch noch jetzt liebte? Muß man so zuversichtlich zu Werke gehen, ohne mir ein Wort davon zu sagen? Ich dächte doch, ich wäre die geringste Person bei diesem Handel nicht.

LISETTE. Und also lieben Sie wohl Leandern nicht mehr?

LAURA. Nein; und ich schäme mich, ihn jemals geliebt zu haben. Wenn deine Verführungen nicht gewesen wären, so würde ich nimmermehr einen Menschen meiner Achtung gewürdiget haben, der mit meinem Vater so offenbar im Zank und Streite lebt.

LISETTE macht eine tiefe Verbeugung. Sie erzeigen mir zu viel Ehre, mich mit Ihrem Herzen zu vermengen.

LAURA. Mein Herz muß keinen großen Anteil daran gehabt haben. Ein fliegender Geschmack; das war es aufs höchste alles. Sonst würde es mir, ohne Zweifel, saurer geworden sein, ihn zu vergessen. Eine einzige kleine Betrachtung hat mich von dieser ungeziemenden Liebe abgezogen.[459]

LISETTE. So? eine Betrachtung? Darf man diese Betrachtung nicht wissen? Doch wohl nicht die Betrachtung des Herrn Lelio?

LAURA. Du bist eine Närrin.

LISETTE. Dieser Antwort versah ich mich. Aber wissen Sie das Sprüchelchen von Kindern und Narren?

LAURA. Leander ist ein Feind meines Vaters. Er hat mich zwar oft versichert, daß er es nicht sei, und daß er die Notwendigkeit gar nicht einsehen könnte, warum diejenigen, welche mit einander prozessieren, einander hassen müßten; man könne ja wohl sein Recht auch gegen einen Mann verfolgen, den man hochschätze und liebe. Allein, ich sehe nun wohl, diese Sprache ist die Sprache eines Arglistigen, welcher sich gern auf den Fuß setzen will, seinen Prozeß auch alsdenn nicht zu verlieren, wenn er ihn verliert; eines Eigennützigen, der das, was er durch eine Sentenz verloren hat, durch einen Ehekontrakt wieder zu gewinnen sucht. Da hast du meine Betrachtung! Ob mir aber Lelio zu dieser Betrachtung Gelegenheit gegeben hat, oder ob er sie nur bestärkt hat, das geht dich nichts an, und ist einzig und allein meine Sache.

LISETTE. Ich habe die Erfahrung gemacht, so oft wir Frauenzimmer unsere Aufführung mit Vernunft und Gründen verteidigen, so oft haben wir Unrecht. Gestehen Sie mir es also nur, daß Lelio die einzige Ursache Ihrer Veränderung ist. Nur seine Gesellschaft hat Sie diese Tage über so bestrickt, daß Sie weder Leanders Briefe lesen, noch ihm eine geheime Zusammenkunft verstatten wollen. Wie gern taten Sie sonst beides!

LAURA. Ich will von dir an keine Fehler erinnert sein, die ich, wie schon gesagt, ohne dich nicht würde begangen haben. Es reuet mich genug, so schwach gewesen zu sein.

LISETTE. Um noch schwächer zu sein, und sich einem jungen Flattergeist zu überlassen, den Sie erst seit acht Tagen kennen, und dessen Liebe Sie nur aus nichts bedeutenden Schmeicheleien schließen. Ich rate Ihnen, Mamsell, sehen Sie sich vor![460]


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 459-461.
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