Neunter Auftritt


[584] Anselmo. Ein Träger. Maskarill.


ANSELMO. Dem Himmel sei Dank, daß ich endlich mein Haus, mein liebes Haus wieder sehe!

MASKARILL. Sein Haus?

ANSELMO zum Träger. Setzt den Koffer hier nur nieder,[584] guter Freund. Ich will ihn schon vollends herein schaffen lassen. – Ich habe Euch doch bezahlt? – –

DER TRÄGER. O ja, Herr! o ja! – – Aber – – Ohne Zweifel sind Sie wohl sehr vergnügt, sehr freudig, daß Sie wieder zu Hause sind?

ANSELMO. Ja freilich!

DER TRÄGER. Ich habe Leute gekannt, die, wenn sie sehr freudig waren, gegen einen armen Teufel ein übriges taten. – – Bezahlt haben Sie mich, Herr, bezahlt haben Sie mich.

ANSELMO. Nun da! ich will auch ein übriges tun.

DER TRÄGER. Ei! ei! das ist mir doch lieb, daß ich mich nicht betrogen habe; ich sähe Sie gleich für einen spendabeln Mann an. O! ich versteh mich drauf. Gott bezahls! Geht ab.

ANSELMO. Es will sich niemand aus meinem Hause sehen lassen. Ich muß nur anklopfen.

MASKARILL. Der Mann ist offenbar unrecht!

ANSELMO. Es sieht nicht anders aus, als ob das ganze Haus ausgestorben wäre. Gott verhüte. – –

MASKARILL der ihm näher tritt. Mein Herr! – – Sie werden verzeihen – – ich bitte um Vergebung – Indem er zurück prellt. Der Blitz! das Gesichte sollte ich kennen.

ANSELMO. Verzeih Euchs der liebe Gott, daß Ihr nicht klug seid! – – Was wollt Ihr?

MASKARILL. Ich wollte – – ich wollte – –

ANSELMO. Nun? was geht Ihr denn um mich herum?

MASKARILL. Ich wollte – –

ANSELMO. Absehen vielleicht, wo meinem Beutel am besten beizukommen wäre?

MASKARILL. Ich irre mich; wenn er es wäre, müßte er mich ja wohl auch kennen. – – Ich bin neugierig, mein Herr; aber meine Neubegierde ist keine von den unhöflichen, und ich frage mit aller Bescheidenheit, – – was Sie vor diesem Hause zu suchen haben?

ANSELMO. Kerl! – – Aber jetzt seh ich ihn erst recht an. Mas – –

MASKARILL. Herr An – –

ANSELMO. Maska – –[585]

MASKARILL. Ansel – –

ANSELMO. Maskarill –

MASKARILL. Herr Anselmo –

ANSELMO. Bist du es denn?

MASKARILL. Ich bin ich; das ist gewiß. Aber Sie – –

ANSELMO. Es ist kein Wunder, daß du zweifelst, ob ich es bin.

MASKARILL. Ist es in aller Welt möglich? – – Ach! nicht doch! Herr Anselmo ist neun Jahr weg, und es wäre ja wohl wunderbar, wenn er eben heute wiederkommen sollte? Warum denn eben heute?

ANSELMO. Die Frage kannst du alle Tage tun; und ich dürfte also gar nicht wiederkommen.

MASKARILL. Das ist wahr! – – Je nun! so sein Sie tausendmal willkommen, und aber tausendmal, allerliebster Herr Anselmo. – Zwar am Ende sind Sie es doch wohl nicht? –

ANSELMO. Ich bin es gewiß. Antworte mir nur geschwind, ob alles noch wohl steht? Leben meine Kinder noch? Lelio? Kamilla?

MASKARILL. Ja, nun darf ich wohl nicht mehr daran zweifeln, daß Sie es sind. – Sie leben, beide leben sie noch. – – Bei Seite. Wenn er das übrige doch von einem andern zu erst erfahren könnte. –

ANSELMO. Gott sei Dank! daß sie beide noch leben. Sie sind doch zu Hause? – Geschwind, daß ich sie in meine alten Arme schließen kann! – Bringe den Koffer nach, Maskarill. – –

MASKARILL. Wohin, Herr Anselmo, wohin?

ANSELMO. Ins Haus.

MASKARILL. In dieses Haus hier?

ANSELMO. In mein Haus.

MASKARILL. Das wird sogleich nicht angehen. – – Bei Seite. Was soll ich nun sagen?

ANSELMO. Und warum nicht? – –

MASKARILL. Dieses Haus, Herr Anselmo – – ist verschlossen. – –

ANSELMO. Verschlossen?

MASKARILL. Verschlossen, ja; und zwar – weil niemand darinne wohnt.[586]

ANSELMO. Niemand darinne wohnt? Wo wohnen denn meine Kinder?

MASKARILL. Herr Lelio? und Jungfer Kamille? – – die wohnen – – wohnen in einem andern Hause.

ANSELMO. Nun? Du sprichst ja so seltsam, so rätselhaft – –

MASKARILL. Sie wissen also wohl nicht, was seit kurzem vorgefallen ist?

ANSELMO. Wie kann ich es wissen?

MASKARILL. Es ist wahr. Sie sind nicht zugegen gewesen; und in neun Jahren kann sich schon etwas verändert haben. Neun Jahr! eine lange Zeit! – – Aber es ist doch gewiß ganz etwas Eignes, – – neun Jahr, neun ganzer Jahr weg sein, und eben jetzt wieder kommen! Wenn das in einer Komödie geschähe, jedermann würde sagen: Es ist nicht wahrscheinlich, daß der Alte eben jetzt wieder kömmt. Und doch ist es wahr! Er hat eben jetzt wieder kommen können, und kömmt auch eben jetzt wieder. – Sonderbar, sehr sonderbar!

ANSELMO. O du verdammter Schwätzer, so halte mich doch nicht auf, und sage mir – –

MASKARILL. Ich will es Ihnen sagen, wo Ihre Kinder sind. Ihre Jungfer Tochter ist – – bei Ihrem Herrn Sohn. – – Und Ihr Herr Sohn – –

ANSELMO. Und mein Sohn – –

MASKARILL. Ist hier ausgezogen, und wohnt – – Sehen Sie hier, in der Straße, das neue Eckhaus? – – Da wohnt Ihr Herr Sohn.

ANSELMO. Und warum wohnt er denn nicht mehr hier? Hier in seinem väterlichen Hause? – –

MASKARILL. Sein väterliches Haus war ihm zu groß – – zu klein; zu leer – – zu enge.

ANSELMO. Zu groß, zu klein, zu leer, zu enge. Was heißt denn das?

MASKARILL. Je nun! Sie werden es von ihm selbst besser hören können, wie das alles ist. – – So viel werden Sie doch wohl erfahren haben, daß er ein großer Handelsmann geworden ist?

ANSELMO. Mein Sohn ein großer Handelsmann?[587]

MASKARILL. Ein sehr großer! Er lebt, schon seit mehr als einem Jahre, von nichts als vom Verkaufen.

ANSELMO. Was sagst du? So wird er vielleicht zur Niederlage für seine Waren ein großes Haus gebraucht haben?

MASKARILL. Ganz recht, ganz recht.

ANSELMO. Das ist vortrefflich! Ich bringe auch Waren mit; kostbare indische Waren.

MASKARILL. Das wird an ein Verkaufen gehen!

ANSELMO. Mache nur, Maskarill; und nimm den Koffer auf den Buckel, und führe mich zu ihm.

MASKARILL. Der Koffer, Herr Anselmo, ist wohl sehr schwer. Verziehen Sie nur einen Augenblick, ich will gleich einen Träger schaffen.

ANSELMO. Du kannst ihn selbst fortbringen; es sind nichts als Skripturen und Wäsche darinne.

MASKARILL. Ich habe mir den Arm letzthin ausgefallen. – –

ANSELMO. Den Arm? Du armer Teufel! So geh nur und bringe jemanden.

MASKARILL bei Seite. Gut, daß ich so weg komme. Herr Lelio! Herr Lelio! was werden Sie zu der Nachricht sagen?


Er geht und kömmt wieder zurück.


ANSELMO. Nun? bist du noch nicht fort?

MASKARILL. Ich muß Sie wahrhaftig noch einmal ansehen, ob Sie es auch sind.

ANSELMO. Je! so zweifle, du verzweifelter Zweifler!

MASKARILL im Fortgehen. Ja, ja, er ists. – – Neun Jahr weg sein, und eben jetzt wieder kommen!


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 584-588.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Schatz
Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften: Teil 5. Aus dem dritten und vierten Beitrage zur Geschichte und Litteratur aus den Schätzen der Wolfenbüttelischen Bibliothek
Gotthold Ephraim Lessings Smmtliche Schriften: Bd. Dinngedichte. Epigrammata. Lieder. Oden. Fabeln Und Erzählungen. Fabeln. Fragmente. Gedichte, So . Der Freygeist. Der Schatz (German Edition)
Sämmtliche Schriften: Sinngedichte, Lieder, Oden, Etc.-Junge Gelehrte.-Juden.-Misogyn.-Der Freygeist.-Schatz.-Minna Von Barnhelm (German Edition)

Buchempfehlung

Spitteler, Carl

Conrad der Leutnant

Conrad der Leutnant

Seine naturalistische Darstellung eines Vater-Sohn Konfliktes leitet Spitteler 1898 mit einem Programm zum »Inneren Monolog« ein. Zwei Jahre später erscheint Schnitzlers »Leutnant Gustl" der als Schlüsseltext und Einführung des inneren Monologes in die deutsche Literatur gilt.

110 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon