[306] Lisette. Valer. Juliane.
LISETTE noch innerhalb der Szene. Nur hier herein; Herr Damis ist ausgegangen. Sie können hier schon ein Wörtchen miteinander im Vertrauen reden.
JULIANE. Ja, Valer, mein Entschluß ist gefaßt. Ich bin ihm zu viel schuldig; er hat durch seine Wohltaten das größte Recht über mich erhalten. Es koste mir was es wolle; ich muß die Heirat eingehen, weil es Chrysander verlangt. Oder soll ich etwa die Dankbarkeit der Liebe aufopfern? Sie sind selbst tugendhaft, Valer, und Ihr Umgang hat mich edler denken gelehrt. Mich Ihrer wert zu zeigen, muß ich meine Pflicht, auch mit dem Verluste meines Glückes, erfüllen.
LISETTE. Eine wunderbare Moral! wahrhaftig!
VALER. Aber wo bleiben Versprechung, Schwur, Treue? Ist es erlaubt, um eine eingebildete Pflicht zu erfüllen, einer andern, die uns wirklich verbindet, entgegen zu handeln?
JULIANE. Ach Valer, Sie wissen es besser, was zu solchen Versprechungen gehört. Mißbrauchen Sie meine Schwäche nicht. Die Einwilligung meines Vaters war nicht dabei.
VALER. Was für eines Vaters? – –
JULIANE. Desjenigen, dem ich für seine Wohltaten diese Benennung schuldig bin. Oder halten Sie es für keine Wohltaten, der Armut und allen ihren unseligen Folgen entrissen zu werden? Ach Valer, ich würde Ihr Herz nicht besitzen, hätte nicht Chrysanders Sorgfalt mich zur Tugend und Anständigkeit bilden lassen.
VALER. Wohltaten hören auf Wohltaten zu sein, wenn man sucht, sich für sie bezahlt zu machen. Und was tut Chrysander anders, da er Sie, allzugewissenhafte Juliane, nur deswegen mit seinem Sohne verbinden will, weil er ein Mittel sieht, Ihnen wieder zu dem größten Teile Ihres väterlichen Vermögens zu verhelfen?[306]
JULIANE. Fußen Sie doch auf eine so wunderbare Nachricht nicht. Wer weiß, was Lisette gehört hat?
LISETTE. Nichts, als was sich vollkommen mit seiner übrigen Aufführung reimt. Ein Mann, der seine Wohltaten schon ausposaunet, der sie einem jeden auf den Fingern vorzurechnen weiß, sucht etwas mehr, als das bloße Gotteslohn. Und wäre es etwa die erste Träne, die Ihnen aus Verdruß, von einem so eigennützig freigebigen Manne abzuhangen, entfahren ist?
VALER. Lisette hat Recht! – – Aber ich empfinde es leider; Juliane liebt mich nicht mehr.
JULIANE. Sie liebt Sie nicht mehr? Dieser Verdacht fehlte noch, ihren Kummer vollkommen zu machen. Wann Sie wüßten, wie viel es ihr, gegen die Ratschläge der Liebe taub zu sein, koste; wann Sie wüßten, Valer – – ach, die mißtrauischen Mannspersonen!
VALER. Legen Sie die Furcht eines Liebhabers, dessen ganzes Glück auf dem Spiele steht, nicht falsch aus. Sie lieben mich also noch? und wollen sich einem andern überlassen?
JULIANE. Ich will? Könnten Sie mich empfindlicher martern? Ich will? – – Sagen Sie: ich muß.
VALER. Sie müssen? – – Noch ist nie ein Herz gezwungen worden, als dasjenige, dem es lieb ist, den Zwang zu seiner Entschuldigung machen zu können – –
JULIANE. Ihre Vorwürfe sind so fein, so fein! daß ich Sie vor Verdruß verlassen werde.
VALER. Bleiben Sie, Juliane; und sagen Sie mir wenigstens, was ich dabei tun soll?
JULIANE. Was ich tue; dem Schicksale nachgeben.
VALER. Ach, lassen Sie das unschuldige Schicksal aus dem Spiele!
JULIANE. Das unschuldige? und ich werde also wohl die Schuldige sein? Halten Sie mich nicht länger – –
LISETTE. Wann ich mich nun nicht bald darzwischen lege, so werden sie sich vor lauter Liebe zanken. – Was Sie tun sollen, Herr Valer? eine große Frage! Himmel und Hölle rege machen, damit die gute Jungfer nicht muß! Den Vater auf andre Gedanken bringen; den Sohn auf Ihre[307] Seite ziehen. – – Mit dem Sohne zwar, hat es gute Wege; den überlassen Sie nur mir. Der gute Damis! Ich bin ohne Zweifel, das erste Mädchen, das ihm schmeichelt, und hoffe dadurch auch das erste zu werden, das von ihm geschmeichelt wird. Wahrhaftig; er ist so eitel, und ich bin so geschickt, daß ich mich wohl noch zu seiner Frau an ihm loben wollte, wenn der verzweifelte Vater nicht wäre! – – Sehen Sie, Herr Valer, der Einfall ist von Mamsell Julianen! Erfinden Sie nun eine Schlinge für den Vater – –
JULIANE. Was sagst du, Lisette? von mir? O Valer, glauben Sie solch rasendes Zeug nicht! Habe ich dir etwas anders befohlen, als ihm einen schlechten Begriff von mir beizubringen?
LISETTE. Ja, recht; einen schlechten von Ihnen – und wenn es möglich wäre, einen desto bessern von mir.
JULIANE. Nein, es ist mit euch nicht auszuhalten – –
VALER. Erklären Sie wenigstens, liebste Juliane – –
JULIANE. Erklären? und was? Vielleicht, daß ich Ihnen in die Arme rennen will, und wann ich auch alle Tugenden beleidigen sollte? daß ich mich mit einer Begierde, mit einem Eifer die Ihrige zu werden bemühen will, die mich in Ihren Augen notwendig einmal verächtlich machen müssen? Nein, Valer – –
LISETTE. Hören Sie denn nicht, daß sie uns gern freie Hand lassen will? Sie macht es, wie die schöne Aspasia – – oder wie hieß die Prinzessin in dem dicken Romane? Zwei Ritter machten auf sie Anspruch. Schlagt euch mit einander, sagte die schöne Aspasia; wer den andern überwindet, soll mich haben. Gleichwohl aber war sie dem Ritter in der blauen Rüstung günstiger, als dem andern – –
JULIANE. Ach, die Närrin, mit ihrem blauen Ritter – – Reißt sich los und geht ab.[308]
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