[386] Der Baron. Der Reisende.
DER BARON. War nicht meine Tochter bei Ihnen? Warum läuft denn das wilde Ding?
DER REISENDE. Das Glück ist unschätzbar, eine so angenehme und muntre Tochter zu haben. Sie bezaubert durch ihre Reden, in welchen die liebenswürdigste Unschuld, der ungekünsteltste Witz herrschet.
DER BARON. Sie urteilen zu gütig von ihr. Sie ist wenig unter ihres gleichen gewesen, und besitzt die Kunst zu gefallen, die man schwerlich auf dem Lande erlernen kann, und die doch oft mehr, als die Schönheit selbst vermag, in einem sehr geringen Grade. Es ist alles bei ihr noch die sich selbst gelaßne Natur.
DER REISENDE. Und diese ist desto einnehmender, je weniger man sie in den Städten antrifft. Alles ist da verstellt, gezwungen und erlernt. Ja, man ist schon so weit darin gekommen, daß man Dummheit, Grobheit und Natur für gleichviel bedeutende Wörter hält.
DER BARON. Was könnte mir angenehmer sein, als daß ich sehe, wie unsre Gedanken und Urteile so sehr übereinstimmen? O! daß ich nicht längst einen Freund Ihres gleichen gehabt habe!
DER REISENDE. Sie werden ungerecht gegen Ihre übrigen Freunde.
DER BARON. Gegen meine übrigen Freunde, sagen Sie? Ich bin fünfzig Jahr alt; – – Bekannte habe ich gehabt, aber noch keinen Freund. Und niemals ist mir die Freundschaft so reizend vorgekommen, als seit den wenigen Stunden, da ich nach der Ihrigen strebe. Wodurch kann ich sie verdienen?
DER REISENDE. Meine Freundschaft bedeutet so wenig, daß das bloße Verlangen darnach ein genugsames Verdienst ist, sie zu erhalten. Ihre Bitte ist weit mehr wert, als das, was Sie bitten.
DER BARON. O, mein Herr, die Freundschaft eines Wohltäters – –[386]
DER REISENDE. Erlauben Sie, – – ist keine Freundschaft. Wenn Sie mich unter dieser falschen Gestalt betrachten, so kann ich Ihr Freund nicht sein. Gesetzt einen Augenblick, ich wäre Ihr Wohltäter: würde ich nicht zu befürchten haben, daß Ihre Freundschaft nichts, als eine wirksame Dankbarkeit wäre?
DER BARON. Sollte sich beides nicht verbinden lassen?
DER REISENDE. Sehr schwer! Diese hält ein edles Gemüt für seine Pflicht; jene erfodert lauter willkürliche Bewegungen der Seele.
DER BARON. Aber wie sollte ich – – Ihr allzuzärtlicher Geschmack macht mich ganz verwirrt. – –
DER REISENDE. Schätzen Sie mich nur nicht höher, als ich es verdiene. Aufs höchste bin ich ein Mensch, der seine Schuldigkeit mit Vergnügen getan hat. Die Schuldigkeit an sich selbst ist keiner Dankbarkeit wert. Daß ich sie aber mit Vergnügen getan habe, dafür bin ich genugsam durch Ihre Freundschaft belohnt.
DER BARON. Diese Großmut verwirrt mich nur noch mehr. – – Aber ich bin vielleicht zu verwegen. – – Ich habe mich noch nicht unterstehen wollen, nach Ihrem Namen, nach Ihrem Stande zu fragen. – Vielleicht biete ich meine Freundschaft einem an, der – – der sie zu verachten –
DER REISENDE. Verzeihen Sie, mein Herr! – Sie – Sie machen sich – – Sie haben allzugroße Gedanken von mir.
DER BARON bei Seite. Soll ich ihn wohl fragen? Er kann meine Neugierde übel nehmen.
DER REISENDE bei Seite. Wenn er mich fragt, was werde ich ihm antworten?
DER BARON bei Seite. Frage ich ihn nicht; so kann er es als eine Grobheit auslegen.
DER REISENDE bei Seite. Soll ich ihm die Wahrheit sagen?
DER BARON bei Seite. Doch ich will den sichersten Weg gehen. Ich will erst seinen Bedienten ausfragen lassen.
DER REISENDE bei Seite. Könnte ich doch dieser Verwirrung überhoben sein! – –
DER BARON. Warum so nachdenkend?
DER REISENDE. Ich war gleich bereit, diese Frage an Sie zu tun, mein Herr – –[387]
DER BARON. Ich weiß es, man vergißt sich dann und wann. Lassen Sie uns von etwas andern reden – – Sehen Sie, daß es wirkliche Juden gewesen sind, die mich angefallen haben? Nur jetzt hat mir mein Schulze gesagt, daß er vor einigen Tagen ihrer drei auf der Landstraße angetroffen. Wie er sie mir beschreibt, haben sie Spitzbuben ähnlicher, als ehrlichen Leuten, gesehen. Und warum sollte ich auch daran zweifeln? Ein Volk, das auf den Gewinst so erpicht ist, fragt wenig darnach, ob es ihn mit Recht oder Unrecht, mit List oder Gewaltsamkeit erhält – – Es scheinet auch zur Handelschaft, oder deutsch zu reden, zur Betrügerei gemacht zu sein. Höflich, frei, unternehmend, verschwiegen, sind Eigenschaften die es schätzbar machen würden, wenn es sie nicht allzusehr zu unserm Unglück anwendete. – Er hält etwas inne. – – Die Juden haben mir sonst schon nicht wenig Schaden und Verdruß gemacht. Als ich noch in Kriegsdiensten war, ließ ich mich bereden, einen Wechsel für einen meiner Bekannten mit zu unterschreiben; und der Jude, an den er ausgestellet war, brachte mich nicht allein dahin, daß ich ihn bezahlen, sondern, daß ich ihn so gar zweimal bezahlen mußte – – O! es sind die allerboshaftesten, niederträchtigsten Leute – Was sagen Sie dazu? Sie scheinen ganz niedergeschlagen.
DER REISENDE. Was soll ich sagen? Ich muß sagen, daß ich diese Klage sehr oft gehört habe – –
DER BARON. Und ist es nicht wahr, ihre Gesichtsbildung hat gleich etwas, das uns wider sie einnimmt? Das Tückische, das Ungewissenhafte, das Eigennützige, Betrug und Meineid, sollte man sehr deutlich aus ihren Augen zu lesen glauben – Aber, warum kehren Sie sich von mir?
DER REISENDE. Wie ich höre, mein Herr, so sind Sie ein großer Kenner der Physiognomie; und ich besorge, daß die meinige – –
DER BARON. O! Sie kränken mich. Wie können Sie auf dergleichen Verdacht kommen? Ohne ein Kenner der Physiognomie zu sein, muß ich Ihnen sagen, daß ich nie eine so aufrichtige, großmütige und gefällige Miene gefunden habe, als die Ihrige.[388]
DER REISENDE. Ihnen die Wahrheit zu gestehn: ich bin kein Freund allgemeiner Urteile über ganze Völker – – Sie werden meine Freiheit nicht übel nehmen. – Ich sollte glauben, daß es unter allen Nationen gute und böse Seelen geben könne. Und unter den Juden – –
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