Erster Auftritt


[735] Jungfer Ohldin. Herr Oronte und seine Frau.


HERR ORONTE. Ach! Grillen, dazu wird man nimmermehr zu alt! und wie alt sind Sie denn? Wie lange ist es, daß ich Sie noch habe auf dem Arme herum tragen sehn? Wenn es 50, ein, zwei – – je nu – – etliche funfzig Jahr – – –

JUNGFER OHLDIN. Warum nicht achtzig gar? Wenn Sie mich für so alt halten, was reden Sie mir viel vom Heiraten vor?

HERR ORONTE. Ei nicht doch! nicht zu alt! gar nicht zu alt! 54 Jahr ist just recht für eine mannbare Jungfer – – – Wenn die Dingergen so jung heiraten, so werden auch die Kinder darnach – – –

JUNGFER OHLDIN. Mit Ihren 54 Jahren – – –

FRAU ORONTE. Es ist wahr. Du irrest dich, mein Kind. Kannst du doch noch nicht einmal so alt sein.

HERR ORONTE. Das stünde mir auch an. Ich, und das Säkulum, wir gehen mit einander. Darfst du dich etwan über mein Alter beschweren? Bin ich nicht noch – –

FRAU ORONTE. Gut! gut! Also kannst du sie nicht, als ein Kind, gekannt haben.

HERR ORONTE. Ach – – was, Kind – –

JUNGFER OHLDIN. Wenn Sie mir nicht glauben wollen; mein Taufschein kann es ausweisen, daß ich erst auf Ostern fünfzig Jahr bin.

HERR ORONTE. Was? Sie erst funfzig Jahr? Ich denke, wer weiß wie alt Sie sind. O! da ist ihre Zeit noch nicht verflossen. Sara war 90 Jahr alt. Und nach Ihrem Gesichte hätte ich Sie gewiß auch nicht für jünger – –

JUNGFER OHLDIN. Ei! mein Gesicht – – mein Gesicht – – wem das nicht ansteht –[735]

HERR ORONTE. Wer sagt das? Ihr Gesichte hat noch seine Liebhaber. Würde denn sonst der Herr Capitaine von Schlag? – – –

JUNGFER OHLDIN. Was? von? ist er gar ein Adlicher?

HERR ORONTE. Ja freilich, und zwar aus einer der ältesten Familien. Er steht bei dem König vortrefflich angeschrieben, der ihm auch in Gnaden seinen Abschied erteilt hat, weil er das Unglück hatte, im letzten Feldzuge, zu fernern Diensten, untüchtig gemacht zu werden.

JUNGFER OHLDIN. Untüchtig? – – – Nein, ich besinne mich alleweile. Ich mag ihn nicht. Wenden Sie sich an eine andre. Ich kann nichts tun, als ihn bedauren.

HERR ORONTE. Er mag aber keine andre, als Sie. Und verlangen Sie denn einen Mann, der stets zu Felde liegt? und der um Sie des Jahrs kaum zwei Nächte sein kann? Die abgedankten Offizier sind die besten Ehemänner; wenn sie ihren Mut nicht mehr an den Feinden beweisen können, so sind sie desto mannhafter gegen ihre – – – Doch ich komme zu weit in Text. Sie verstehen mich doch nicht. – – –

JUNGFER OHLDIN. Ach – denkt doch – –

HERR ORONTE. So? verstehen Sies schon? Ich denke – – –

JUNGFER OHLDIN. Ich denke, daß Sie mich nur zum besten haben wollen.

HERR ORONTE. Oder Sie mich. Sage ich. Sie verstehens, so ist es nicht recht. Sage ich, Sie verstehens nicht, so ists wieder nicht recht. Ich sehe wohl, so alt Ihr Köpfchen ist, so eigensinnig ist es auch. Wollen Sie, oder wollen Sie nicht?

JUNGFER OHLDIN. Behüts Gott! muß man sich denn gleich ärgern? Reden Sie ihm doch zu, Frau Oronte.

FRAU ORONTE. Du mußt, mein lieber Mann, ein wenig gelinder mit ihr verfahren. Du wirst es ja wohl noch an meinem Beispiele wissen, wie es einem Frauenzimmer ist, wenn man ihr das erstemal dergleichen Sachen vorsagt.

JUNGFER OHLDIN. Ach, das erstemal – – das erstemal – – Wenn ich hätte heiraten wollen – –

HERR ORONTE. Sie wollen also nicht?

JUNGFER OHLDIN. Daß Gott! Sie sind auch gar zu stürmisch[736] – – Kann man sich denn in solchen wichtigen Sachen gleich auf der Stelle entschließen?

HERR ORONTE. Ja, ja. Man kann und muß. Gleich in der ersten Hitze. Wenn die verdammte Überlegung darzu kömmt, so ist es auf einmal aus. Gott sei Dank! die Überlegung ist mein Fehler nicht. Soll denn Ihr schönes Vermögen an lachende Erben kommen? In den Händen Ihres verschwendrischen Vetters wirds lange währen. Selbst Kinder gemacht, so weiß man doch, wem mans hinterläßt. Sie kommen durch die Heirat in ein altes adliches Geschlecht, Sie wissen nicht wie. Und wollen Sie denn in die Grube fahren, ohne das überirdische Vergnügen des Ehestands geschmeckt zu haben?

JUNGFER OHLDIN. Je nu, so wäre mein Trost, daß ich auch seine Beschwerlichkeiten nicht hätte ertragen dürfen.

FRAU ORONTE. O! die sind bei der Lust, die er uns schafft, zu dulden. Und kömmt ein Paar zusammen, wie ich und mein lieber Mann, so wird man wenig davon zu sagen haben. Nicht wahr, mein allerliebstes Kind? Wie – –

HERR ORONTE. Ja. Das ist wahr, mein Schätzchen, wir haben einander das Leben so süße gemacht, so anmutig – – Wir sind auch in unserer Nachbarschaft ein Muster einer glücklichen Ehe.

FRAU ORONTE. Wir sind ein Leib und eine Seele beständig gewesen – –

HERR ORONTE. Wir wissen von keinem Zank noch Streit. Des einen Verlangen ist stets auch des andern Wille gewesen. Ja, mein englisches Weibchen – –

FRAU ORONTE. Das ist wahr, mein goldnes Männchen.

JUNGFER OHLDIN. Wahrlich, so ein Paar macht einem den Mund ganz wäßrig.

HERR ORONTE. Und das nun schon in die 26 Jahr.

FRAU ORONTE. So einig, so vertraut, wie die Täubchen – –

HERR ORONTE. Schon 26 Jahr.

FRAU ORONTE. Du irrst dich, mein Kind; erst 24.

HERR ORONTE. Ei! wie so? Zähle doch nach.

FRAU ORONTE. Je nu ja. Vier und zwanzig Jahr, und nicht mehr.[737]

HERR ORONTE. Warum auch nicht? Vom Jahr Christi, Anno 1724. Ich weiß es ganz eigentlich, ich habe es an meine Cabinettüre geschrieben.

FRAU ORONTE. Cabinet – – Cabinet – – Vortreffliches Cabinetstückchen. Ich sehe wohl, dein einziges Vergnügen ist, mir zu widersprechen.

HERR ORONTE. O sachte! Du schreibst deine närrische Gemütsart auf meine Rechnung. Das Widersprechen eben ist dein Fehler, und zu meinem Unglücke nicht der einzige.

FRAU ORONTE. Mein Fehler? Der unbesonnene Mann!

HERR ORONTE. Ich unbesonnen? unbesonnen? Was hält mich?

FRAU ORONTE. Heirate Sie ja nicht, liebe Jungfer. So sind die Männer alle; und der beste ist nicht des Teufels wert.

HERR ORONTE. Was? Nicht des Teufels wert? Frau, ich erschlage dich. Nicht des Teufels wert?

FRAU ORONTE. Ja, ja. Er ist des Teufels wert.

HERR ORONTE. Dein Glück, daß du widerrufst! Von 1724 bis 1748 sollen nicht mehr als 24 Jahr sein! bist du närrisch?

FRAU ORONTE. Oder du? Zähle doch! 24 bis 34 sind zehn Jahr. 34 bis 44 sind zwanzig. 45. 46. 47. 48 sind vier Jahr; sind 24 Jahr.

HERR ORONTE. Du gottloses Weib. Nur, daß du widersprechen willst. Laß mich einmal zählen. 24 bis 34 sind zehn, 34 bis 44 sind zwanzig Jahr. 45. 46. 47. 48 sind, sind – – halt, ich habe mich verzählt. 24 bis 34 sind zehn Jahr, 34 bis 44 sind auch zehn Jahr, das sind zwanzig Jahr. 45. 46. 47. 48 – – Je verflucht! – – Nu Jungfer Ohldin, entschließen Sie sich kurz. Was wollen Sie tun? damit ich nur von der verzweifelten Rechthaberin wegkomme.

FRAU ORONTE. Sie machen sich unglücklich, wenn Sie ihm folgen. Sprechen Sie, um Gottes willen, nein.

JUNGFER OHLDIN. Ach, meine liebe Frau Oronte, man merkt Ihren Unwillen gegenen Ihren Mann gar zu deutlich.

HERR ORONTE. Du böses Weib! du willst mir auch meinen Rekompenz zu Wasser machen. Jungfer Ohldin, erklärt! erklärt!

JUNGFER OHLDIN. Je nu – – Ja – – Wenn – –[738]

HERR ORONTE. Ach! was wenn? Sie können die Bedingungen alle mit Freuden annehmen. Ich habe also Ihr Wort, und meinen Zweck erlangt! Gut. Wieder 50 Rtlr. erworben!


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 735-739.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die alte Jungfer
Sämmtliche Schriften: Miss Sara Sampson.-Philotas.-Emilia Galotti.-Nathan Der Weise.-Damon; Oder, Die Wahre Freundschaft.-Die Alte Jungfer.-Theatralischer Nachlass (German Edition)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Fräulein Else

Fräulein Else

Die neunzehnjährige Else erfährt in den Ferien auf dem Rückweg vom Tennisplatz vom Konkurs ihres Vaters und wird von ihrer Mutter gebeten, eine große Summe Geld von einem Geschäftsfreund des Vaters zu leihen. Dieser verlangt als Gegenleistung Ungeheuerliches. Else treibt in einem inneren Monolog einer Verzweiflungstat entgegen.

54 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon