Zehnter Auftritt

[157] Marinelli. Appiani.


APPIANI. Nun, mein Herr?

MARINELLI. Ich komme von des Prinzen Durchlaucht.

APPIANI. Was ist zu seinem Befehl?

MARINELLI. Ich bin stolz, der Überbringer einer so vorzüglichen Gnade zu sein. – Und wenn Graf Appiani nicht mit Gewalt einen seiner ergebensten Freunde in mir verkennen will – –

APPIANI. Ohne weitere Vorrede; wenn ich bitten darf.

MARINELLI. Auch das! – Der Prinz muß sogleich an den Herzog von Massa, in Angelegenheit seiner Vermählung mit dessen Prinzessin Tochter, einen Bevollmächtigten senden. Er war lange unschlüssig, wen er dazu ernennen solle. Endlich ist seine Wahl, Herr Graf, auf Sie gefallen.

APPIANI. Auf mich?

MARINELLI. Und das, – wenn die Freundschaft ruhmredig sein darf – nicht ohne mein Zutun –

APPIANI. Wahrlich, Sie setzen mich wegen eines Dankes in Verlegenheit.[157] – Ich habe schon längst nicht mehr erwartet, daß der Prinz mich zu brauchen geruhen werde. –

MARINELLI. Ich bin versichert, daß es ihm bloß an einer würdigen Gelegenheit gemangelt hat. Und wenn auch diese so eines Mannes, wie Graf Appiani, noch nicht würdig genug sein sollte: so ist freilich meine Freundschaft zu voreilig gewesen.

APPIANI. Freundschaft und Freundschaft, um das dritte Wort! – Mit wem red' ich denn? Des Marchese Marinelli Freundschaft hätt' ich mir nie träumen lassen. –

MARINELLI. Ich erkenne mein Unrecht, Herr Graf, mein unverzeihliches Unrecht, daß ich, ohne Ihre Erlaubnis, Ihr Freund sein wollen. – Bei dem allen: was tut das? Die Gnade des Prinzen, die Ihnen angetragene Ehre, bleiben, was sie sind: und ich zweifle nicht, Sie werden sie mit Begierd' ergreifen.

APPIANI nach einiger Überlegung. Allerdings.

MARINELLI. Nun so kommen Sie.

APPIANI. Wohin?

MARINELLI. Nach Dosalo, zu dem Prinzen. – Es liegt schon alles fertig; und Sie müssen noch heut' abreisen.

APPIANI. Was sagen Sie? – Noch heute?

MARINELLI. Lieber noch in dieser nämlichen Stunde, als in der folgenden. Die Sache ist von der äußersten Eil.

APPIANI. In Wahrheit? – So tut es mir leid, daß ich die Ehre, welche mir der Prinz zugedacht, verbitten muß.

MARINELLI. Wie?

APPIANI. Ich kann heute nicht abreisen; – auch morgen nicht; – auch übermorgen noch nicht. –

MARINELLI. Sie scherzen, Herr Graf.

APPIANI. Mit Ihnen?

MARINELLI. Unvergleichlich! Wenn der Scherz den Prinzen gilt, so ist er um so viel lustiger. – Sie können nicht?

APPIANI. Nein, mein Herr, nein. – Und ich hoffe, daß der Prinz selbst meine Entschuldigung wird gelten lassen.

MARINELLI. Die bin ich begierig, zu hören.

APPIANI. O, eine Kleinigkeit! – Sehen Sie; ich soll noch heut' eine Frau nehmen.

MARINELLI. Nun? und dann?[158]

APPIANI. Und dann? – und dann? – Ihre Frage ist auch verzweifelt naiv.

MARINELLI. Man hat Exempel, Herr Graf, daß sich Hochzeiten aufschieben lassen. – Ich glaube freilich nicht, daß der Braut oder dem Bräutigam immer damit gedient ist. Die Sache mag ihr Unangenehmes haben. Aber doch, dächt' ich, der Befehl des Herrn –

APPIANI. Der Befehl des Herrn? – des Herrn? Ein Herr, den man sich selber wählt, ist unser Herr so eigentlich nicht – Ich gebe zu, daß Sie dem Prinzen unbedingtern Gehorsam schuldig wären. Aber nicht ich. – Ich kam an seinen Hof als ein Freiwilliger. Ich wollte die Ehre haben, ihm zu dienen; aber nicht sein Sklave werden. Ich bin der Vasall eines größern Herrn –

MARINELLI. Größer oder kleiner: Herr ist Herr.

APPIANI. Daß ich mit Ihnen darüber stritte! – Genug, sagen Sie dem Prinzen, was Sie gehört haben; – daß es mir leid tut, seine Gnade nicht annehmen zu können; weil ich eben heut' eine Verbindung vollzöge, die mein ganzes Glück ausmache.

MARINELLI. Wollen Sie ihn nicht zugleich wissen lassen, mit wem?

APPIANI. Mit Emilia Galotti.

MARINELLI. Der Tochter aus diesem Hause?

APPIANI. Aus diesem Hause.

MARINELLI. Hm! hm!

APPIANI. Was beliebt?

MARINELLI. Ich sollte meinen, daß es sonach um so weniger Schwierigkeit haben könne, die Zeremonie bis zu Ihrer Zurückkunft auszusetzen.

APPIANI. Die Zeremonie? Nur die Zeremonie?

MARINELLI. Die guten Eltern werden es so genau nicht nehmen.

APPIANI. Die guten Eltern?

MARINELLI. Und Emilia bleibt Ihnen ja wohl gewiß.

APPIANI. Ja wohl gewiß? – Sie sind mit Ihrem Ja wohl – ja wohl ein ganzer Affe!

MARINELLI. Mir das, Graf?

APPIANI. Warum nicht?

MARINELLI. Himmel und Hölle! – Wir werden uns sprechen.

APPIANI. Pah! Hämisch ist der Affe; aber –[159]

MARINELLI. Tod und Verdammnis! – Graf, ich fodere Genugtuung.

APPIANI. Das versteht sich.

MARINELLI. Und würde sie gleich itzt nehmen: – nur daß ich dem zärtlichen Bräutigam den heutigen Tag nicht verderben mag.

APPIANI. Gutherziges Ding! Nicht doch! Nicht doch! Indem er ihn bei der Hand ergreift. Nach Massa freilich mag ich mich heute nicht schicken lassen; aber zu einem Spaziergange mit Ihnen hab' ich Zeit übrig. – Kommen Sie, kommen Sie!

MARINELLI der sich losreißt, und abgeht. Nur Geduld, Graf, nur Geduld!


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 157-160.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Emilia Galotti
Lektürehilfen Emilia Galotti. Ausführliche Inhaltsangabe und Interpretation
Lektürehilfen Gotthold E. Lessing
Emilia Galotti: Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen (Suhrkamp BasisBibliothek)
Emilia Galotti
Emilia Galotti

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon