Zehnter Auftritt


[287] Der Tempelherr und bald darauf Daja.


TEMPELHERR.

Schon mehr als gnug! – Des Menschen Hirn faßt so

Unendlich viel; und ist doch manchmal auch

So plötzlich voll! von einer Kleinigkeit

So plötzlich voll! – Taugt nichts, taugt nichts; es sei

Auch voll wovon es will. – Doch nur Geduld!

Die Seele wirkt den aufgedunsnen Stoff

Bald in einander, schafft sich Raum, und Licht

Und Ordnung kommen wieder. – Lieb' ich denn

Zum erstenmale? – Oder war, was ich

Als Liebe kenne, Liebe nicht? – Ist Liebe

Nur was ich itzt empfinde? ...

DAJA die sich von der Seite herbeigeschlichen.

Ritter! Ritter!

TEMPELHERR.

Wer ruft? – Ha, Daja, Ihr?

DAJA.

Ich habe mich

Bei ihm vorbei geschlichen. Aber noch

Könnt' er uns sehn, wo Ihr da steht. – Drum kommt

Doch näher zu mir, hinter diesen Baum.

TEMPELHERR.

Was gibts denn? – So geheimnisvoll? – Was ists?

DAJA.

Ja wohl betrifft es ein Geheimnis, was

Mich zu Euch bringt; und zwar ein doppeltes.

Das eine weiß nur ich; das andre wißt

Nur Ihr. – Wie wär es, wenn wir tauschten?

Vertraut mir Euers: so vertrau' ich Euch Das meine.

TEMPELHERR.

Mit Vergnügen. – Wenn ich nur

Erst weiß, was Ihr für meines achtet. Doch

Das wird aus Euerm wohl erhellen. – Fangt

Nur immer an.

DAJA.

Ei denkt doch! – Nein, Herr Ritter:

Erst Ihr; ich folge. – Denn versichert, mein[287]

Geheimnis kann Euch gar nichts nutzen, wenn

Ich nicht zuvor das Eure habe. – Nur

Geschwind! – Denn frag' ichs Euch erst ab: so habt

Ihr nichts vertrauet. Mein Geheimnis dann

Bleibt mein Geheimnis; und das Eure seid

Ihr los. – Doch armer Ritter! – Daß ihr Männer

Ein solch Geheimnis vor uns Weibern haben

Zu können, auch nur glaubt!

TEMPELHERR.

Das wir zu haben

Oft selbst nicht wissen.

DAJA.

Kann wohl sein. Drum muß

Ich freilich erst, Euch selbst damit bekannt

Zu machen, schon die Freundschaft haben. – Sagt:

Was hieß denn das, daß Ihr so Knall und Fall

Euch aus dem Staube machtet? daß Ihr uns

So sitzen ließet? – daß Ihr nun mit Nathan

Nicht wiederkommt? – Hat Recha denn so wenig

Auf Euch gewirkt? wie? oder auch, so viel? –

So viel! so viel! – Lehrt Ihr des armen Vogels,

Der an der Rute klebt, Geflattre mich

Doch kennen! – Kurz: gesteht es mir nur gleich,

Daß Ihr sie liebt, liebt bis zum Unsinn; und

Ich sag' Euch was ...

TEMPELHERR.

Zum Unsinn? Wahrlich; Ihr

Versteht Euch trefflich drauf.

DAJA.

Nun gebt mir nur

Die Liebe zu; den Unsinn will ich Euch

Erlassen.

TEMPELHERR.

Weil er sich von selbst versteht? –

Ein Tempelherr ein Judenmädchen lieben! ...

DAJA.

Scheint freilich wenig Sinn zu haben. – Doch

Zuweilen ist des Sinns in einer Sache

Auch mehr, als wir vermuten; und es wäre

So unerhört doch nicht, daß uns der Heiland

Auf Wegen zu sich zöge, die der Kluge

Von selbst nicht leicht betreten würde.

TEMPELHERR.

Das[288]

So feierlich? – (Und setz' ich statt des Heilands

Die Vorsicht: hat sie denn nicht Recht?) – Ihr macht

Mich neubegieriger, als ich wohl sonst

Zu sein gewohnt bin.

DAJA.

O! das ist das Land

Der Wunder!

TEMPELHERR.

(Nun! – des Wunderbaren. Kann

Es auch wohl anders sein? Die ganze Welt

Drängt sich ja hier zusammen.) – Liebe Daja,

Nehmt für gestanden an, was Ihr verlangt:

Daß ich sie liebe; daß ich nicht begreife,

Wie ohne sie ich leben werde; daß ...

DAJA.

Gewiß? gewiß? – So schwört mir, Ritter, sie

Zur Eurigen zu machen; sie zu retten;

Sie zeitlich hier, sie ewig dort zu retten.

TEMPELHERR.

Und wie? – Wie kann ich? – Kann ich schwören, was

In meiner Macht nicht steht?

DAJA.

In Eurer Macht

Steht es. Ich bring' es durch ein einzig Wort

In Eure Macht.

TEMPELHERR.

Daß selbst der Vater nichts

Dawider hätte?

DAJA.

Ei, was Vater! Vater!

Der Vater soll schon müssen.

TEMPELHERR.

Müssen, Daja? –

Noch ist er unter Räuber nicht gefallen. –

Er muß nicht müssen.

DAJA.

Nun, so muß er wollen;

Muß gern am Ende wollen.

TEMPELHERR.

Muß und gern! –

Doch, Daja, wenn ich Euch nun sage, daß

Ich selber diese Sait' ihm anzuschlagen

Bereits versucht?

DAJA.

Was? und er fiel nicht ein?

TEMPELHERR.

Er fiel mit einem Mißlaut ein, der mich –

Beleidigte.

DAJA.

Was sagt Ihr? – Wie? Ihr hättet[289]

Den Schatten eines Wunsches nur nach Recha

Ihm blicken lassen: und er wär' vor Freuden

Nicht aufgesprungen? hätte frostig sich

Zurückgezogen? hätte Schwierigkeiten

Gemacht?

TEMPELHERR.

So ungefähr.

DAJA.

So will ich denn

Mich länger keinen Augenblick bedenken –


Pause.


TEMPELHERR.

Und Ihr bedenkt Euch doch?

DAJA.

Der Mann ist sonst

So gut! – Ich selber bin so viel ihm schuldig! –

Daß er doch gar nicht hören will! – Gott weiß,

Das Herze blutet mir, ihn so zu zwingen.

TEMPELHERR.

Ich bitt' Euch, Daja, setzt mich kurz und gut

Aus dieser Ungewißheit. Seid Ihr aber

Noch selber ungewiß; ob, was Ihr vorhabt,

Gut oder böse, schändlich oder löblich

Zu nennen: – schweigt! Ich will vergessen, daß

Ihr etwas zu verschweigen habt.

DAJA.

Das spornt

Anstatt zu halten. Nun; so wißt denn: Recha

Ist keine Jüdin; ist – ist eine Christin.

TEMPELHERR kalt.

So? Wünsch' Euch Glück! Hats schwer gehalten? Laßt

Euch nicht die Wehen schrecken! – Fahret ja

Mit Eifer fort, den Himmel zu bevölkern;

Wenn Ihr die Erde nicht mehr könnt!

DAJA.

Wie, Ritter?

Verdienet meine Nachricht diesen Spott?

Daß Recha eine Christin ist: das freuet

Euch, einen Christen, einen Tempelherrn,

Der Ihr sie liebt, nicht mehr?

TEMPELHERR.

Besonders, da

Sie eine Christin ist von Eurer Mache.

DAJA.

Ah! so versteht Ihrs? So mags gelten! – Nein!

Den will ich sehn, der die bekehren soll!

Ihr Glück ist, längst zu sein, was sie zu werden[290]

Verdorben ist.

TEMPELHERR.

Erklärt Euch, oder – geht!

DAJA.

Sie ist ein Christenkind; von Christeneltern

Geboren; ist getauft ...

TEMPELHERR hastig.

Und Nathan?

DAJA.

Nicht

Ihr Vater!

TEMPELHERR.

Nathan nicht ihr Vater? – Wißt

Ihr, was Ihr sagt?

DAJA.

Die Wahrheit, die so oft

Mich blutge Tränen weinen machen. – Nein,

Er ist ihr Vater nicht ...

TEMPELHERR.

Und hätte sie,

Als seine Tochter nur erzogen? hätte

Das Christenkind als eine Jüdin sich

Erzogen?

DAJA.

Ganz gewiß.

TEMPELHERR.

Sie wüßte nicht,

Was sie geboren sei? – Sie hätt' es nie

Von ihm erfahren, daß sie eine Christin

Geboren sei, und keine Jüdin?

DAJA.

Nie!

TEMPELHERR.

Er hätt' in diesem Wahne nicht das Kind

Bloß auferzogen? ließ das Mädchen noch

In diesem Wahne?

DAJA.

Leider!

TEMPELHERR.

Nathan – Wie? –

Der weise gute Nathan hätte sich

Erlaubt, die Stimme der Natur so zu

Verfälschen? – Die Ergießung eines Herzens

So zu verlenken, die, sich selbst gelassen,

Ganz andre Wege nehmen würde? – Daja,

Ihr habt mir allerdings etwas vertraut –

Von Wichtigkeit, – was Folgen haben kann, –

Was mich verwirrt, – worauf ich gleich nicht weiß,

Was mir zu tun. – Drum laßt mir Zeit. – Drum geht!

Er kömmt hier wiederum vorbei. Er möcht'[291]

Uns überfallen. Geht!

DAJA.

Ich wär' des Todes!

TEMPELHERR.

Ich bin ihn itzt zu sprechen ganz und gar

Nicht fähig. Wenn Ihr ihm begegnet, sagt

Ihm nur, daß wir einander bei dem Sultan

Schon finden würden.

DAJA.

Aber laßt Euch ja

Nichts merken gegen ihn. – Das soll nur so

Den letzten Druck dem Dinge geben; soll

Euch, Rechas wegen, alle Skrupel nur

Benehmen! – Wenn Ihr aber dann, sie nach

Europa führt: so laßt Ihr doch mich nicht

Zurück?

TEMPELHERR.

Das wird sich finden. Geht nur, geht![292]

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 287-293.
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