Neunter Auftritt


[284] Nathan und der Tempelherr.


NATHAN.

Wie? seid Ihrs?

TEMPELHERR.

Ihr habt

Sehr lang' Euch bei dem Sultan aufgehalten.

NATHAN.

So lange nun wohl nicht. Ich ward im Hingehn

Zu viel verweilt. – Ah, wahrlich Curd; der Mann

Steht seinen Ruhm. Sein Ruhm ist bloß sein Schatten.

Doch laßt vor allen Dingen Euch geschwind

Nur sagen ...

TEMPELHERR.

Was?

NATHAN.

Er will Euch sprechen; will,

Daß ungesäumt Ihr zu ihm kommt. Begleitet

Mich nur nach Hause, wo ich noch für ihn

Erst etwas anders zu verfügen habe:

Und dann, so gehn wir.

TEMPELHERR.

Nathan, Euer Haus

Betret' ich wieder eher nicht ...

NATHAN.

So seid

Ihr doch indes schon da gewesen? habt

Indes sie doch gesprochen? – Nun? – Sagt: wie

Gefällt Euch Recha?

TEMPELHERR.

Über allen Ausdruck! –

Allein, – sie wiedersehn – das werd ich nie!

Nie! nie! – Ihr müßtet mir zur Stelle denn

Versprechen: – daß ich sie auf immer, immer –[284]

Soll können sehn.

NATHAN.

Wie wollt Ihr, daß ich das

Versteh'?

TEMPELHERR nach einer kurzen Pause ihm plötzlich um den Hals fallend.

Mein Vater!

NATHAN.

– Junger Mann!

TEMPELHERR ihn eben so plötzlich wieder lassend.

Nicht Sohn? –

Ich bitt' Euch, Nathan! –

NATHAN.

Lieber junger Mann!

TEMPELHERR.

Nicht Sohn? – Ich bitt' Euch, Nathan! – Ich beschwör'

Euch bei den ersten Banden der Natur! –

Zieht ihnen spätre Fesseln doch nicht vor! –

Begnügt Euch doch ein Mensch zu sein! – Stoßt mich

Nicht von Euch!

NATHAN.

Lieber, lieber Freund! ...

TEMPELHERR.

Und Sohn?

Sohn nicht? – Auch dann nicht, dann nicht einmal, wenn

Erkenntlichkeit zum Herzen Eurer Tochter

Der Liebe schon den Weg gebahnet hätte?

Auch dann nicht einmal, wenn in eins zu schmelzen

Auf Euern Wink nur beide warteten? –

Ihr schweigt?

NATHAN.

Ihr überrascht mich, junger Ritter.

TEMPELHERR.

Ich überrasch' Euch? – überrasch' Euch, Nathan,

Mit Euern eigenen Gedanken? – Ihr

Verkennt sie doch in meinem Munde nicht? –

Ich überrasch' Euch?

NATHAN.

Eh ich einmal weiß,

Was für ein Stauffen Euer Vater denn

Gewesen ist!

TEMPELHERR.

Was sagt Ihr, Nathan? was? –

In diesem Augenblicke fühlt Ihr nichts,

Als Neubegier?

NATHAN.

Denn seht! Ich habe selbst

Wohl einen Stauffen ehedem gekannt,[285]

Der Conrad hieß.

TEMPELHERR.

Nun – wenn mein Vater denn

Nun eben so geheißen hätte?

NATHAN.

Wahrlich?

TEMPELHERR.

Ich heiße selber ja nach meinem Vater: Curd

Ist Conrad.

NATHAN.

Nun – so war mein Conrad doch

Nicht Euer Vater. Denn mein Conrad war,

Was Ihr; war Tempelherr; war nie vermählt.

TEMPELHERR.

O darum!

NATHAN.

Wie?

TEMPELHERR.

O darum könnt' er doch

Mein Vater wohl gewesen sein.

NATHAN.

Ihr scherzt.

TEMPELHERR.

Und Ihr nehmts wahrlich zu genau! – Was wärs

Denn nun? So was von Bastard oder Bankert!

Der Schlag ist auch nicht zu verachten. – Doch

Entlaßt mich immer meiner Ahnenprobe.

Ich will Euch Eurer wiederum entlassen.

Nicht zwar, als ob ich den geringsten Zweifel

In Euern Stammbaum setzte. Gott behüte!

Ihr könnt ihn Blatt vor Blatt bis Abraham

Hinauf belegen. Und von da so weiter,

Weiß ich ihn selbst; will ich ihn selbst beschwören.

NATHAN.

Ihr werdet bitter. – Doch verdien' ichs? – Schlug

Ich denn Euch schon was ab? – Ich will Euch ja

Nur bei dem Worte nicht den Augenblick

So fassen. – Weiter nichts.

TEMPELHERR.

Gewiß? – Nichts weiter?

O so vergebt! ...

NATHAN.

Nun kommt nur, kommt!

TEMPELHERR.

Wohin?

Nein! – Mit in Euer Haus? – Das nicht! das nicht! –

Da brennts! – Ich will Euch hier erwarten. Geht! –

Soll ich sie wiedersehn: so seh ich sie

Noch oft genug. Wo nicht: so sah ich sie

Schon viel zu viel ...

NATHAN.

Ich will mich möglichst eilen.[286]


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 284-287.
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