Dritter Auftritt


[268] Recha und Daja.


RECHA.

Was ist das, Daja? –

So schnell? – Was kömmt ihm an? Was fiel ihm auf?

Was jagt ihn?

DAJA.

Laßt nur, laßt. Ich denk', es ist

Kein schlimmes Zeichen.

RECHA.

Zeichen? und wovon?

DAJA.

Daß etwas vorgeht innerhalb. Es kocht,

Und soll nicht überkochen. Laßt ihn nur.

Nun ists an Euch.

RECHA.

Was ist an mir? Du wirst,

Wie er, mir unbegreiflich.

DAJA.

Bald nun könnt

Ihr ihm die Unruh all vergelten, die

Er Euch gemacht hat. Seid nur aber auch

Nicht allzustreng, nicht allzu rachbegierig.

RECHA.

Wovon du sprichst, das magst du selber wissen.

DAJA.

Und seid denn Ihr bereits so ruhig wieder?

RECHA.

Das bin ich; ja das bin ich ...

DAJA.

Wenigstens

Gesteht, daß Ihr Euch seiner Unruh freut;

Und seiner Unruh danket, was Ihr itzt[268]

Von Ruh' genießt.

RECHA.

Mir völlig unbewußt!

Denn was ich höchstens dir gestehen könnte,

Wär', daß es mich – mich selbst befremdet, wie

Auf einen solchen Sturm in meinem Herzen

So eine Stille plötzlich folgen können.

Sein voller Anblick, sein Gespräch, sein Tun

Hat mich ...

DAJA.

Gesättigt schon?

RECHA.

Gesättigt, will

Ich nun nicht sagen; nein – bei weitem nicht –

DAJA.

Den heißen Hunger nur gestillt.

RECHA.

Nun ja;

Wenn du so willst.

DAJA.

Ich eben nicht.

RECHA.

Er wird

Mir ewig wert; mir ewig werter, als

Mein Leben bleiben: wenn auch schon mein Puls

Nicht mehr bei seinem bloßen Namen wechselt;

Nicht mehr mein Herz, so oft ich an ihn denke,

Geschwinder, stärker schlägt. – Was schwatz' ich? Komm,

Komm, liebe Daja, wieder an das Fenster,

Das auf die Palmen sieht.

DAJA.

So ist er doch

Wohl noch nicht ganz gestillt, der heiße Hunger.

RECHA.

Nun werd ich auch die Palmen wieder sehn:

Nicht ihn bloß untern Palmen.

DAJA.

Diese Kälte

Beginnt auch wohl ein neues Fieber nur.

RECHA.

Was Kält'? Ich bin nicht kalt. Ich sehe wahrlich

Nicht minder gern, was ich mit Ruhe sehe.[269]


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 268-270.
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