Vierter Auftritt


[270] Szene: ein Audienzsaal in dem Palaste des Saladin.

Saladin und Sittah.


SALADIN im Hereintreten, gegen die Türe.

Hier bringt den Juden her, so bald er kömmt.

Er scheint sich eben nicht zu übereilen.

SITTAH.

Er war auch wohl nicht bei der Hand; nicht gleich

Zu finden.

SALADIN.

Schwester! Schwester!

SITTAH.

Tust du doch

Als stünde dir ein Treffen vor.

SALADIN.

Und das

Mit Waffen, die ich nicht gelernt zu führen.

Ich soll mich stellen; soll besorgen lassen;

Soll Fallen legen; soll auf Glatteis führen.

Wenn hätt' ich das gekonnt? Wo hätt' ich das

Gelernt? – Und soll das alles, ah, wozu?

Wozu? – Um Geld zu fischen; Geld! – Um Geld,

Geld einem Juden abzubangen; Geld!

Zu solchen kleinen Listen wär' ich endlich

Gebracht, der Kleinigkeiten kleinste mir

Zu schaffen?

SITTAH.

Jede Kleinigkeit, zu sehr

Verschmäht, die rächt sich, Bruder.

SALADIN.

Leider wahr. –

Und wenn nun dieser Jude gar der gute,

Vernünftge Mann ist, wie der Derwisch dir

Ihn ehedem beschrieben?

SITTAH.

O nun dann!

Was hat es dann für Not! Die Schlinge liegt

Ja nur dem geizigen, besorglichen,

Furchtsamen Juden: nicht dem guten, nicht

Dem weisen Manne. Dieser ist ja so

Schon unser, ohne Schlinge. Das Vergnügen

Zu hören, wie ein solcher Mann sich ausredt;[270]

Mit welcher dreisten Stärk' entweder, er

Die Stricke kurz zerreißet; oder auch

Mit welcher schlauen Vorsicht er die Netze

Vorbei sich windet: dies Vergnügen hast

Du obendrein.

SALADIN.

Nun, das ist wahr. Gewiß;

Ich freue mich darauf.

SITTAH.

So kann dich ja

Auch weiter nichts verlegen machen. Denn

Ists einer aus der Menge bloß; ists bloß

Ein Jude, wie ein Jude: gegen den

Wirst du dich doch nicht schämen, so zu scheinen

Wie er die Menschen all sich denkt? Vielmehr;

Wer sich ihm besser zeigt, der zeigt sich ihm

Als Geck, als Narr.

SALADIN.

So muß ich ja wohl gar

Schlecht handeln, daß von mir der Schlechte nicht

Schlecht denke?

SITTAH.

Traun! wenn du schlecht handeln nennst,

Ein jedes Ding nach seiner Art zu brauchen.

SALADIN.

Was hätt' ein Weiberkopf erdacht, das er

Nicht zu beschönen wüßte!

SITTAH.

Zu beschönen!

SALADIN.

Das feine, spitze Ding, besorg ich nur,

In meiner plumpen Hand zerbricht! – So was

Will ausgeführt sein, wies erfunden ist:

Mit aller Pfiffigkeit, Gewandtheit. – Doch,

Mags doch nur, mags! Ich tanze, wie ich kann;

Und könnt' es freilich, lieber – schlechter noch

Als besser.

SITTAH.

Trau dir auch nur nicht zu wenig!

Ich stehe dir für dich! Wenn du nur willst. –

Daß uns die Männer deines gleichen doch

So gern bereden möchten, nur ihr Schwert,

Ihr Schwert nur habe sie so weit gebracht.

Der Löwe schämt sich freilich, wenn er mit

Dem Fuchse jagt; – des Fuchses, nicht der List.

SALADIN.

Und daß die Weiber doch so gern den Mann[271]

Zu sich herunter hätten! – Geh nur, geh! –

Ich glaube meine Lektion zu können.

SITTAH.

Was? ich soll gehn?

SALADIN.

Du wolltest doch nicht bleiben?

SITTAH.

Wenn auch nicht bleiben ... im Gesicht euch bleiben –

Doch hier im Nebenzimmer –

SALADIN.

Da zu horchen?

Auch das nicht, Schwester; wenn ich soll bestehn. –

Fort, fort! der Vorhang rauscht; er kömmt! – doch daß

Du ja nicht da verweilst! Ich sehe nach.


Indem sie sich durch die eine Türe entfernt, tritt Nathan zu der andern herein; und Saladin hat sich gesetzt.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 270-272.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Nathan der Weise
Nathan der Weise
Nathan der Weise: Studienausgabe
Nathan der Weise: Handreichungen für den Unterricht. Unterrichtsvorschläge und Kopiervorlagen
Nathan der Weise: Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen (Suhrkamp BasisBibliothek)
Nathan der Weise

Buchempfehlung

Kleist, Heinrich von

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.

112 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon