Achter Auftritt


[282] Die Szene: unter den Palmen, in der Nähe des Klosters, wo der Tempelherr Nathans wartet.


DER TEMPELHERR geht, mit sich selbst kämpfend, auf und ab; bis er losbricht.

– Hier hält das Opfertier ermüdet still. –

Nun gut! Ich mag nicht, mag nicht näher wissen,

Was in mir vorgeht; mag voraus nicht wittern,[282]

Was vorgehn wird. – Genug, ich bin umsonst

Geflohn! umsonst. – Und weiter konnt' ich doch

Auch nichts, als fliehn? – Nun komm', was kommen soll! –

Ihm auszubeugen, war der Streich zu schnell

Gefallen; unter den zu kommen, ich

So lang und viel mich weigerte. – Sie sehn,

Die ich zu sehn so wenig lüstern war, –

Sie sehn, und der Entschluß, sie wieder aus

Den Augen nie zu lassen – Was Entschluß?

Entschluß ist Vorsatz, Tat: und ich, ich litt',

Ich litte bloß. – Sie sehn, und das Gefühl,

An sie verstrickt, in sie verwebt zu sein,

War eins. – Bleibt eins. – Von ihr getrennt

Zu leben, ist mir ganz undenkbar; wär'

Mein Tod, – und wo wir immer nach dem Tode

Noch sind, auch da mein Tod. – Ist das nun Liebe:

So – liebt der Tempelritter freilich, – liebt

Der Christ das Judenmädchen freilich. – Hm!

Was tuts? – Ich hab' in dem gelobten Lande, –

Und drum auch mir gelobt auf immerdar! –

Der Vorurteile mehr schon abgelegt. –

Was will mein Orden auch? Ich Tempelherr

Bin tot; war von dem Augenblick ihm tot,

Der mich zu Saladins Gefangnen machte.

Der Kopf, den Saladin mir schenkte, wär'

Mein alter? – Ist ein neuer; der von allem

Nichts weiß, was jenem eingeplaudert ward,

Was jenen band. – Und ist ein beßrer; für

Den väterlichen Himmel mehr gemacht.

Das spür' ich ja. Denn erst mit ihm beginn'

Ich so zu denken, wie mein Vater hier

Gedacht muß haben; wenn man Märchen nicht

Von ihm mir vorgelogen. – Märchen? – doch

Ganz glaubliche; die glaublicher mir nie,

Als itzt geschienen, da ich nur Gefahr

Zu straucheln laufe, wo er fiel. – Er fiel?

Ich will mit Männern lieber fallen, als

Mit Kindern stehn. – Sein Beispiel bürget mir[283]

Für seinen Beifall. Und an wessen Beifall

Liegt mir denn sonst? – An Nathans? – O an dessen

Ermuntrung mehr, als Beifall, kann es mir

Noch weniger gebrechen. – Welch ein Jude! –

Und der so ganz nur Jude scheinen will!

Da kömmt er; kömmt mit Hast; glüht heitre Freude

Wer kam vom Saladin je anders? – He!

He, Nathan!


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 282-284.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Nathan der Weise
Nathan der Weise
Nathan der Weise: Studienausgabe
Nathan der Weise: Handreichungen für den Unterricht. Unterrichtsvorschläge und Kopiervorlagen
Nathan der Weise: Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen (Suhrkamp BasisBibliothek)
Nathan der Weise

Buchempfehlung

Anonym

Schau-Platz der Betrieger. Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln

Schau-Platz der Betrieger. Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln

Ohnerachtet Schande und Laster an ihnen selber verächtlich / findet man doch sehr viel Menschen von so gar ungebundener Unarth / daß sie denenselben offenbar obliegen / und sich deren als einer sonderbahre Tugend rühmen: Wer seinem Nächsten durch List etwas abzwacken kan / den preisen sie / als einen listig-klugen Menschen / und dahero ist der unverschämte Diebstahl / überlistige und lose Räncke / ja gar Meuchelmord und andere grobe Laster im solchem Uberfluß eingerissen / daß man nicht Gefängnüsse genug vor solche Leute haben mag.

310 Seiten, 17.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon