Siebenter Auftritt


[312] Nathan und der Klosterbruder.


NATHAN.

(Ich bliebe Rechas Vater

Doch gar zu gern! – Zwar kann ichs denn nicht bleiben,

Auch wenn ich aufhör', es zu heißen? – Ihr,

Ihr selbst werd' ichs doch immer auch noch heißen,

Wenn sie erkennt, wie gern ichs wäre.) – Geh! –

Was ist zu Euern Diensten, frommer Bruder?

KLOSTERBRUDER.

Nicht eben viel. – Ich freue mich, Herr Nathan,

Euch annoch wohl zu sehn.

NATHAN.

So kennt Ihr mich?

KLOSTERBRUDER.

Je nu; wer kennt Euch nicht? Ihr habt so manchem

Ja Euern Namen in die Hand gedrückt.

Er steht in meiner auch, seit vielen Jahren.

NATHAN nach seinem Beutel langend.

Kommt, Bruder, kommt; ich frisch' ihn auf.

KLOSTERBRUDER.

Habt Dank!

Ich würd' es Ärmern stehlen; nehme nichts. –

Wenn Ihr mir nur erlauben wollt, ein wenig

Euch meinen Namen aufzufrischen. Denn

Ich kann mich rühmen, auch in Eure Hand

Etwas gelegt zu haben, was nicht zu

Verachten war.

NATHAN.

Verzeiht! – Ich schäme mich –[312]

Sagt, was? – und nehmt zur Buße siebenfach

Den Wert desselben von mir an.

KLOSTERBRUDER.

Hört doch

Vor allen Dingen, wie ich selber nur

Erst heut an dies mein Euch vertrautes Pfand

Erinnert worden.

NATHAN.

Mir vertrautes Pfand?

KLOSTERBRUDER.

Vor kurzem saß ich noch als Eremit

Auf Quarantana, unweit Jericho.

Da kam arabisch Raubgesindel, brach

Mein Gotteshäuschen ab und meine Zelle,

Und schleppte mich mit fort. Zum Glück entkam

Ich noch, und floh hierher zum Patriarchen,

Um mir ein ander Plätzchen auszubitten,

Allwo ich meinem Gott in Einsamkeit

Bis an mein selig Ende dienen könne.

NATHAN.

Ich steh auf Kohlen, guter Bruder. Macht

Es kurz. Das Pfand! das mir vertraute Pfand!

KLOSTERBRUDER.

Sogleich, Herr Nathan. – Nun, der Patriarch

Versprach mir eine Siedelei auf Tabor,

Sobald als eine leer; und hieß inzwischen

Im Kloster mich als Laienbruder bleiben.

Da bin ich itzt, Herr Nathan; und verlange

Des Tags wohl hundertmal auf Tabor. Denn

Der Patriarch braucht mich zu allerlei,

Wovor ich großen Ekel habe. Zum

Exempel:

NATHAN.

Macht, ich bitt' Euch!

KLOSTERBRUDER.

Nun, es kömmt! –

Da hat ihm jemand heut' ins Ohr gesetzt:

Es lebe hier herum ein Jude, der

Ein Christenkind als seine Tochter sich

Erzöge.

NATHAN.

Wie?


Betroffen.


KLOSTERBRUDER.

Hört mich nur aus! – Indem

Er mir nun aufträgt, diesem Juden stracks,[313]

Wo möglich, auf die Spur zu kommen, und

Gewaltig sich ob eines solchen Frevels

Erzürnt, der ihm die wahre Sünde wider

Den heil'gen Geist bedünkt; – das ist, die Sünde,

Die aller Sünden größte Sünd' uns gilt,

Nur daß wir, Gott sei Dank, so recht nicht wissen,

Worin sie eigentlich besteht: – da wacht

Mit einmal mein Gewissen auf; und mir

Fällt bei, ich könnte selber wohl vor Zeiten

Zu dieser unverzeihlich großen Sünde

Gelegenheit gegeben haben. – Sagt:

Hat Euch ein Reitknecht nicht vor achtzehn Jahren

Ein Töchterchen gebracht von wenig Wochen?

NATHAN.

Wie das? – Nun freilich – allerdings –

KLOSTERBRUDER.

Ei, seht

Mich doch recht an! – Der Reitknecht, der bin ich.

NATHAN.

Seid Ihr?

KLOSTERBRUDER.

Der Herr, von welchem ichs Euch brachte,

War – ist mir recht – ein Herr von Filneck. – Wolf

Von Filneck!

NATHAN.

Richtig!

KLOSTERBRUDER.

Weil die Mutter kurz

Vorher gestorben war; und sich der Vater

Nach – mein' ich – Gazza plötzlich werfen mußte,

Wohin das Würmchen ihm nicht folgen konnte:

So sandt ers Euch. Und traf ich Euch damit

Nicht in Darun?

NATHAN.

Ganz recht!

KLOSTERBRUDER.

Es wär' kein Wunder,

Wenn mein Gedächtnis mich betrög'. Ich habe

Der braven Herrn so viel gehabt; und diesem

Hab' ich nur gar zu kurze Zeit gedient.

Er blieb bald drauf bei Askalon; und war

Wohl sonst ein lieber Herr.

NATHAN.

Ja wohl! ja wohl!

Dem ich so viel, so viel zu danken habe!

Der mehr als einmal mich dem Schwert entrissen![314]

KLOSTERBRUDER.

O schön! So werd't Ihr seines Töchterchens

Euch um so lieber angenommen haben.

NATHAN.

Das könnt Ihr denken.

KLOSTERBRUDER.

Nun, wo ist es denn?

Es ist doch wohl nicht etwa gar gestorben? –

Laßts lieber nicht gestorben sein! – Wenn sonst

Nur niemand um die Sache weiß: so hat

Es gute Wege.

NATHAN.

Hat es?

KLOSTERBRUDER.

Traut mir, Nathan!

Denn seht, ich denke so! Wenn an das Gute,

Das ich zu tun vermeine, gar zu nah

Was gar zu Schlimmes grenzt: so tu ich lieber

Das Gute nicht; weil wir das Schlimme zwar

So ziemlich zuverlässig kennen, aber

Bei weiten nicht das Gute. – War ja wohl

Natürlich; wenn das Christentöchterchen

Recht gut von Euch erzogen werden sollte:

Daß Ihrs als Euer eigen Töchterchen

Erzögt. – Das hättet Ihr mit aller Lieb'

Und Treue nun getan, und müßtet so

Belohnet werden? Das will mir nicht ein.

Ei freilich, klüger hättet Ihr getan;

Wenn Ihr die Christin durch die zweite Hand

Als Christin auferziehen lassen: aber

So hättet Ihr das Kindchen Eures Freunds

Auch nicht geliebt. Und Kinder brauchen Liebe,

Wärs eines wilden Tieres Lieb' auch nur,

In solchen Jahren mehr, als Christentum.

Zum Christentume hats noch immer Zeit.

Wenn nur das Mädchen sonst gesund und fromm

Vor Euern Augen aufgewachsen ist,

So bliebs vor Gottes Augen, was es war.

Und ist denn nicht das ganze Christentum

Aufs Judentum gebaut? Es hat mich oft

Geärgert, hat mir Tränen gnug gekostet,

Wenn Christen gar so sehr vergessen konnten,

Daß unser Herr ja selbst ein Jude war.[315]

NATHAN.

Ihr, guter Bruder, müßt mein Fürsprach sein,

Wenn Haß und Gleisnerei sich gegen mich

Erheben sollten, – wegen einer Tat –

Ah, wegen einer Tat! – Nur Ihr, Ihr sollt

Sie wissen! – Nehmt sie aber mit ins Grab!

Noch hat mich nie die Eitelkeit versucht,

Sie jemand andern zu erzählen. Euch

Allein erzähl' ich sie. Der frommen Einfalt

Allein erzähl' ich sie. Weil die allein

Versteht, was sich der gottergebne Mensch

Für Taten abgewinnen kann.

KLOSTERBRUDER.

Ihr seid

Gerührt, und Euer Auge steht voll Wasser?

NATHAN.

Ihr traft mich mit dem Kinde zu Darun.

Ihr wißt wohl aber nicht, daß wenig Tage

Zuvor, in Gath die Christen alle Juden

Mit Weib und Kind ermordet hatten; wißt

Wohl nicht, daß unter diesen meine Frau

Mit sieben hoffnungsvollen Söhnen sich

Befunden, die in meines Bruders Hause,

Zu dem ich sie geflüchtet, insgesamt

Verbrennen müssen.

KLOSTERBRUDER.

Allgerechter!

NATHAN.

Als

Ihr kamt, hatt' ich drei Tag' und Nächt' in Asch'

Und Staub vor Gott gelegen, und geweint. –

Geweint? Beiher mit Gott auch wohl gerechtet,

Gezürnt, getobt, mich und die Welt verwünscht;

Der Christenheit den unversöhnlichsten

Haß zugeschworen –

KLOSTERBRUDER.

Ach! Ich glaubs Euch wohl!

NATHAN.

Doch nun kam die Vernunft allmählig wieder.

Sie sprach mit sanfter Stimm': »und doch ist Gott!

Doch war auch Gottes Ratschluß das! Wohlan!

Komm! übe, was du längst begriffen hast;

Was sicherlich zu üben schwerer nicht,

Als zu begreifen ist, wenn du nur willst.

Steh auf!« – Ich stand! und rief zu Gott: ich will![316]

Willst du nur, daß ich will! – Indem stiegt Ihr

Vom Pferd', und überreichtet mir das Kind,

In Euern Mantel eingehüllt. – Was Ihr

Mir damals sagtet; was ich Euch: hab' ich

Vergessen. So viel weiß ich nur; ich nahm

Das Kind, trugs auf mein Lager, küßt' es, warf

Mich auf die Knie' und schluchzte: Gott! auf Sieben

Doch nun schon Eines wieder!

KLOSTERBRUDER.

Nathan! Nathan!

Ihr seid ein Christ! – Bei Gott, Ihr seid ein Christ!

Ein beßrer Christ war nie!

NATHAN.

Wohl uns! Denn was

Mich Euch zum Christen macht, das macht Euch mir

Zum Juden! – Aber laßt uns länger nicht

Einander nur erweichen. Hier brauchts Tat!

Und ob mich siebenfache Liebe schon

Bald an dies einz'ge fremde Mädchen band;

Ob der Gedanke mich schon tötet, daß

Ich meine sieben Söhn' in ihr aufs neue

Verlieren soll: – wenn sie von meinen Händen

Die Vorsicht wiederfodert, – ich gehorche!

KLOSTERBRUDER.

Nun vollends! – Eben das bedacht' ich mich

So viel, Euch anzuraten! Und so hats

Euch Euer guter Geist schon angeraten!

NATHAN.

Nur muß der erste beste mir sie nicht

Entreißen wollen!

KLOSTERBRUDER.

Nein, gewiß nicht!

NATHAN.

Wer

Auf sie nicht größre Rechte hat, als ich;

Muß frühere zum mindsten haben –

KLOSTERBRUDER.

Freilich!

NATHAN.

Die ihm Natur und Blut erteilen.

KLOSTERBRUDER.

So

Mein' ich es auch!

NATHAN.

Drum nennt mir nur geschwind

Den Mann, der ihr als Bruder oder Ohm,

Als Vetter oder sonst als Sipp verwandt:

Ihm will ich sie nicht vorenthalten – Sie,[317]

Die jedes Hauses, jedes Glaubens Zierde

Zu sein erschaffen und erzogen ward. –

Ich hoff', Ihr wißt von diesem Euern Herrn

Und dem Geschlechte dessen, mehr als ich.

KLOSTERBRUDER.

Das, guter Nathan, wohl nun schwerlich! – Denn

Ihr habt ja schon gehört, daß ich nur gar

Zu kurze Zeit bei ihm gewesen.

NATHAN.

Wißt

Ihr denn nicht wenigstens, was für Geschlechts

Die Mutter war? – War sie nicht eine Stauffin?

KLOSTERBRUDER.

Wohl möglich! – Ja, mich dünkt.

NATHAN.

Hieß nicht ihr Bruder

Conrad von Stauffen? – und war Tempelherr?

KLOSTERBRUDER.

Wenn michs nicht triegt. Doch halt! Da fällt mir ein,

Daß ich vom selgen Herrn ein Büchelchen

Noch hab'. Ich zogs ihm aus dem Busen, als

Wir ihn bei Askalon verscharrten.

NATHAN.

Nun?

KLOSTERBRUDER.

Es sind Gebete drin. Wir nennens ein

Brevier. – Das, dacht' ich, kann ein Christenmensch

Ja wohl noch brauchen. – Ich nun freilich nicht –

Ich kann nicht lesen –

NATHAN.

Tut nichts! – Nur zur Sache.

KLOSTERBRUDER.

In diesem Büchelchen stehn vorn und hinten,

Wie ich mir sagen lassen, mit des Herrn

Selbsteigner Hand, die Angehörigen

Von ihm und ihr geschrieben.

NATHAN.

O erwünscht!

Geht! lauft! holt mir das Büchelchen. Geschwind!

Ich bin bereit mit Gold es aufzuwiegen;

Und tausend Dank dazu! Eilt! lauft!

KLOSTERBRUDER.

Recht gern!

Es ist Arabisch aber, was der Herr

Hineingeschrieben.


Ab.


NATHAN.

Einerlei! Nur her! –[318]

Gott! wenn ich doch das Mädchen noch behalten,

Und einen solchen Eidam mir damit

Erkaufen könnte! – Schwerlich wohl! – Nun, fall'

Es aus, wie's will! – Wer mag es aber denn

Gewesen sein, der bei dem Patriarchen

So etwas angebracht? Das muß ich doch

Zu fragen nicht vergessen. – Wenn es gar

Von Daja käme?


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 312-319.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Nathan der Weise
Nathan der Weise
Nathan der Weise: Studienausgabe
Nathan der Weise: Handreichungen für den Unterricht. Unterrichtsvorschläge und Kopiervorlagen
Nathan der Weise: Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen (Suhrkamp BasisBibliothek)
Nathan der Weise

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Zwei Schwestern

Zwei Schwestern

Camilla und Maria, zwei Schwestern, die unteschiedlicher kaum sein könnten; eine begnadete Violinistin und eine hemdsärmelige Gärtnerin. Als Alfred sich in Maria verliebt, weist diese ihn ab weil sie weiß, dass Camilla ihn liebt. Die Kunst und das bürgerliche Leben. Ein Gegensatz, der Stifter zeit seines Schaffens begleitet, künstlerisch wie lebensweltlich, und in dieser Allegorie erneuten Ausdruck findet.

114 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon