Fünfter Auftritt


[327] Nathan und der Tempelherr, der von der Seite auf ihn zu kömmt.


TEMPELHERR.

He! wartet, Nathan; nehmt mich mit!

NATHAN.

Wer ruft? –

Seid Ihr es, Ritter? Wo gewesen, daß[327]

Ihr bei dem Sultan Euch nicht treffen lassen?

TEMPELHERR.

Wir sind einander fehl gegangen. Nehmts

Nicht übel.

NATHAN.

Ich nicht; aber Saladin ...

TEMPELHERR.

Ihr wart nur eben fort ...

NATHAN.

Und spracht ihn doch?

Nun, so ists gut.

TEMPELHERR.

Er will uns aber beide

Zusammen sprechen.

NATHAN.

Desto besser. Kommt

Nur mit. Mein Gang stand ohnehin zu ihm. –

TEMPELHERR.

Ich darf ja doch wohl fragen, Nathan, wer

Euch da verließ?

NATHAN.

Ihr kennt ihn doch wohl nicht?

TEMPELHERR.

Wars nicht die gute Haut, der Laienbruder,

Des sich der Patriarch so gern zum Stöber

Bedient?

NATHAN.

Kann sein! Beim Patriarchen ist

Er allerdings.

TEMPELHERR.

Der Pfiff ist gar nicht übel:

Die Einfalt vor der Schurkerei voraus

Zu schicken.

NATHAN.

Ja, die dumme; – nicht die fromme.

TEMPELHERR.

An fromme glaubt kein Patriarch.

NATHAN.

Für den

Nun steh ich. Der wird seinem Patriarchen

Nichts Ungebührliches vollziehen helfen.

TEMPELHERR.

So stellt er wenigstens sich an. – Doch hat

Er Euch von mir denn nichts gesagt?

NATHAN.

Von Euch?

Von Euch nun namentlich wohl nichts. – Er weiß

Ja wohl auch schwerlich Euern Namen?

TEMPELHERR.

Schwerlich.

NATHAN.

Von einem Tempelherren freilich hat

Er mir gesagt ...

TEMPELHERR.

Und was?

NATHAN.

Womit er Euch

Doch ein für allemal nicht meinen kann![328]

TEMPELHERR.

Wer weiß? Laßt doch nur hören.

NATHAN.

Daß mich einer

Bei seinem Patriarchen angeklagt ...

TEMPELHERR.

Euch angeklagt? – Das ist, mit seiner Gunst –

Erlogen. – Hört mich, Nathan! – Ich bin nicht

Der Mensch, der irgend etwas abzuleugnen

Im Stande wäre. Was ich tat, das tat ich!

Doch bin ich auch nicht der, der alles, was

Er tat, als wohl getan verteid'gen möchte.

Was sollt' ich eines Fehls mich schämen? Hab'

Ich nicht den festen Vorsatz ihn zu bessern?

Und weiß ich etwa nicht, wie weit mit dem

Es Menschen bringen können? – Hört mich, Nathan! –

Ich bin des Laienbruders Tempelherr,

Der Euch verklagt soll haben, allerdings. –

Ihr wißt ja, was mich wurmisch machte! was

Mein Blut in allen Adern sieden machte!

Ich Gauch! – ich kam, so ganz mit Leib und Seel'

Euch in die Arme mich zu werfen. Wie

Ihr mich empfingt – wie kalt – wie lau – denn lau

Ist schlimmer noch als kalt; wie abgemessen

Mir auszubeugen Ihr beflissen wart;

Mit welchen aus der Luft gegriffnen Fragen

Ihr Antwort mir zu geben scheinen wolltet:

Das darf ich kaum mir itzt noch denken, wenn

Ich soll gelassen bleiben. – Hört mich, Nathan! –

In dieser Gärung schlich mir Daja nach,

Und warf mir ihr Geheimnis an den Kopf,

Das mir den Aufschluß Euers rätselhaften

Betragens zu enthalten schien.

NATHAN.

Wie das?

TEMPELHERR.

Hört mich nur aus! – Ich bildete mir ein,

Ihr wolltet, was Ihr einmal nun den Christen

So abgejagt, an einen Christen wieder

Nicht gern verlieren. Und so fiel mir ein,

Euch kurz und gut das Messer an die Kehle

Zu setzen.[329]

NATHAN.

Kurz und gut? und gut? – Wo steckt

Das Gute?

TEMPELHERR.

Hört mich, Nathan! – Allerdings:

Ich tat nicht recht! – Ihr seid wohl gar nicht schuldig. –

Die Närrin Daja weiß nicht was sie spricht –

Ist Euch gehässig – Sucht Euch nur damit

In einen bösen Handel zu verwickeln –

Kann sein! kann sein! – Ich bin ein junger Laffe,

Der immer nur an beiden Enden schwärmt;

Bald viel zu viel, bald viel zu wenig tut –

Auch das kann sein! Verzeiht mir, Nathan.

NATHAN.

Wenn

Ihr so mich freilich fasset –

TEMPELHERR.

Kurz, ich ging

Zum Patriarchen! – hab' Euch aber nicht

Genannt. Das ist erlogen, wie gesagt!

Ich hab ihm bloß den Fall ganz allgemein

Erzählt, um seine Meinung zu vernehmen. –

Auch das hätt' unterbleiben können: ja doch! –

Denn kannt' ich nicht den Patriarchen schon

Als einen Schurken? Konnt' ich Euch nicht selber

Nur gleich zur Rede stellen? – Mußt ich der

Gefahr, so einen Vater zu verlieren,

Das arme Mädchen opfern? – Nun, was tuts?

Die Schurkerei des Patriarchen, die

So ähnlich immer sich erhält, hat mich

Des nächsten Weges wieder zu mir selbst

Gebracht. – Denn hört mich, Nathan; hört mich aus! –

Gesetzt; er wüßt' auch Euern Namen: was

Nun mehr, was mehr? – Er kann Euch ja das Mädchen

Nur nehmen, wenn sie niemands ist, als Euer.

Er kann sie doch aus Euerm Hause nur

Ins Kloster schleppen. – Also – gebt sie mir!

Gebt sie nur mir; und laßt ihn kommen. Ha!

Er solls wohl bleiben lassen, mir mein Weib

Zu nehmen. – Gebt sie mir; geschwind! – Sie sei

Nun Eure Tochter, oder sei es nicht![330]

Sei Christin, oder Jüdin, oder keines!

Gleich viel! gleich viel! Ich werd' Euch weder itzt

Noch jemals sonst in meinem ganzen Leben

Darum befragen. Sei, wie's sei!

NATHAN.

Ihr wähnt

Wohl gar, daß mir die Wahrheit zu verbergen

Sehr nötig?

TEMPELHERR.

Sei, wie's sei!

NATHAN.

Ich hab' es ja

Euch – oder wem es sonst zu wissen ziemt –

Noch nicht geleugnet, daß sie eine Christin,

Und nichts als meine Pflegetochter ist. –

Warum ichs aber ihr noch nicht entdeckt? –

Darüber brauch' ich nur bei ihr mich zu

Entschuldigen.

TEMPELHERR.

Das sollt Ihr auch bei ihr

Nicht brauchen. – Gönnts ihr doch, daß sie Euch nie

Mit andern Augen darf betrachten! Spart

Ihr die Entdeckung doch! – Noch habt Ihr ja,

Ihr ganz allein, mit ihr zu schalten. Gebt

Sie mir! Ich bitt' Euch, Nathan; gebt sie mir!

Ich bins allein, der sie zum zweitenmale

Euch retten kann – und will.

NATHAN.

Ja – konnte! konnte!

Nun auch nicht mehr. Es ist damit zu spät.

TEMPELHERR.

Wie so? zu spät?

NATHAN.

Dank sei dem Patriarchen ...

TEMPELHERR.

Dem Patriarchen? Dank? ihm Dank? wofür?

Dank hätte der bei uns verdienen wollen?

Wofür? wofür?

NATHAN.

Daß wir nun wissen, wem

Sie anverwandt; nun wissen, wessen Händen

Sie sicher ausgeliefert werden kann:

TEMPELHERR.

Das dank' ihm – wer für mehr ihm danken wird!

NATHAN.

Aus diesen müßt Ihr sie nun auch erhalten;

Und nicht aus meinen.

TEMPELHERR.

Arme Recha! Was[331]

Dir alles zustößt, arme Recha! Was

Ein Glück für andre Waisen wäre, wird

Dein Unglück! – Nathan! – Und wo sind sie, diese

Verwandte?

NATHAN.

Wo sie sind?

TEMPELHERR.

Und wer sie sind?

NATHAN.

Besonders hat ein Bruder sich gefunden,

Bei dem Ihr um sie werben müßt.

TEMPELHERR.

Ein Bruder?

Was ist er, dieser Bruder? Ein Soldat?

Ein Geistlicher? – Laßt hören, was ich mir

Versprechen darf.

NATHAN.

Ich glaube, daß er keines

Von beiden – oder beides ist. Ich kenn'

Ihn noch nicht recht.

TEMPELHERR.

Und sonst?

NATHAN.

Ein braver Mann!

Bei dem sich Recha gar nicht übel wird

Befinden.

TEMPELHERR.

Doch ein Christ! – Ich weiß zu Zeiten

Auch gar nicht, was ich von Euch denken soll: –

Nehmt mirs nicht ungut, Nathan. – Wird sie nicht

Die Christin spielen müssen, unter Christen?

Und wird sie, was sie lange gnug gespielt,

Nicht endlich werden? Wird den lautern Weizen,

Den Ihr gesä't, das Unkraut endlich nicht

Ersticken? – Und das kümmert Euch so wenig?

Dem ungeachtet könnt Ihr sagen – Ihr? –

Daß sie bei ihrem Bruder sich nicht übel

Befinden werde?

NATHAN.

Denk' ich! hoff' ich! – Wenn

Ihr ja bei ihm was mangeln sollte, hat

Sie Euch und mich denn nicht noch immer?

TEMPELHERR.

Oh!

Was wird bei ihm ihr mangeln können! Wird

Das Brüderchen mit Essen und mit Kleidung,

Mit Naschwerk und mit Putz, das Schwesterchen[332]

Nicht reichlich gnug versorgen? Und was braucht

Ein Schwesterchen denn mehr? – Ei freilich: auch

Noch einen Mann! – Nun, nun; auch den, auch den

Wird ihr das Brüderchen zu seiner Zeit

Schon schaffen; wie er immer nur zu finden!

Der Christlichste der Beste! – Nathan, Nathan!

Welch einen Engel hattet Ihr gebildet,

Den Euch nun andre so verhunzen werden!

NATHAN.

Hat keine Not! Er wird sich unsrer Liebe

Noch immer wert genug behaupten.

TEMPELHERR.

Sagt

Das nicht! Von meiner Liebe sagt das nicht!

Denn die läßt nichts sich unterschlagen; nichts.

Es sei auch noch so klein! Auch keinen Namen! –

Doch halt! – Argwohnt sie wohl bereits, was mit

Ihr vorgeht?

NATHAN.

Möglich; ob ich schon nicht wüßte,

Woher?

TEMPELHERR.

Auch eben viel; sie soll – sie muß

In beiden Fällen, was ihr Schicksal droht,

Von mir zuerst erfahren. Mein Gedanke,

Sie eher wieder nicht zu sehn, zu sprechen,

Als bis ich sie die Meine nennen dürfe,

Fällt weg. Ich eile ...

NATHAN.

Bleibt! wohin?

TEMPELHERR.

Zu ihr!

Zu sehn, ob diese Mädchenseele Manns genug

Wohl ist, den einzigen Entschluß zu fassen

Der ihrer würdig wäre!

NATHAN.

Welchen?

TEMPELHERR.

Den:

Nach Euch und ihrem Bruder weiter nicht

Zu fragen –

NATHAN.

Und?

TEMPELHERR.

Und mir zu folgen; – wenn

Sie drüber eines Muselmannes Frau

Auch werden müßte.[333]

NATHAN.

Bleibt! Ihr trefft sie nicht.

Sie ist bei Sittah, bei des Sultans Schwester.

TEMPELHERR.

Seit wenn? warum?

NATHAN.

Und wollt Ihr da bei ihnen

Zugleich den Bruder finden: kommt nur mit.

TEMPELHERR.

Den Bruder? welchen? Sittahs oder Rechas?

NATHAN.

Leicht beide. Kommt nur mit! Ich bitt' Euch, kommt!


Er führt ihn fort.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 327-334.
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