[334] Szene: in Sittahs Harem.
Sittah und Recha in Unterhaltung begriffen.
SITTAH.
Was freu ich mich nicht deiner, süßes Mädchen! –
Sei so beklemmt nur nicht! so angst! so schüchtern! –
Sei munter! sei gesprächiger! vertrauter!
RECHA.
Prinzessin, ...
SITTAH.
Nicht doch! nicht Prinzessin! Nenn
Mich Sittah, – deine Freundin, – deine Schwester.
Nenn mich dein Mütterchen! – Ich könnte das
Ja schier auch sein. – So jung! so klug! so fromm!
Was du nicht alles weißt! nicht alles mußt
Gelesen haben!
RECHA.
Ich gelesen? – Sittah,
Du spottest deiner kleinen albern Schwester.
Ich kann kaum lesen.
SITTAH.
Kannst kaum, Lügnerin!
RECHA.
Ein wenig meines Vaters Hand! – Ich meinte,
Du sprächst von Büchern.
SITTAH.
Allerdings! von Büchern.
RECHA.
Nun, Bücher wird mir wahrlich schwer zu lesen! –
SITTAH.
Im Ernst?
RECHA.
In ganzem Ernst. Mein Vater liebt
Die kalte Buchgelehrsamkeit, die sich[334]
Mit toten Zeichen ins Gehirn nur drückt,
Zu wenig.
SITTAH.
Ei, was sagst du! – Hat indes
Wohl nicht sehr Unrecht! – Und so manches, was
Du weißt ...?
RECHA.
Weiß ich allein aus seinem Munde.
Und könnte bei dem meisten dir noch sagen,
Wie? wo? warum? er michs gelehrt.
SITTAH.
So hängt
Sich freilich alles besser an. So lernt
Mit eins die ganze Seele.
RECHA.
Sicher hat
Auch Sittah wenig oder nichts gelesen!
SITTAH.
Wie so? – Ich bin nicht stolz aufs Gegenteil. –
Allein wie so? Dein Grund! Sprich dreist. Dein Grund?
RECHA.
Sie ist so schlecht und recht; so unverkünstelt;
So ganz sich selbst nur ähnlich ...
SITTAH.
Nun?
RECHA.
Das sollen
Die Bücher uns nur selten lassen: sagt
Mein Vater.
SITTAH.
O was ist dein Vater für
Ein Mann!
RECHA.
Nicht wahr?
SITTAH.
Wie nah er immer doch
Zum Ziele trifft!
RECHA.
Nicht wahr? – Und diesen Vater –
SITTAH.
Was ist dir, Liebe?
RECHA.
Diesen Vater –
SITTAH.
Gott!
Du weinst?
RECHA.
Und diesen Vater – Ah! es muß
Heraus! Mein Herz will Luft, will Luft ...
Wirft sich, von Tränen überwältiget, zu ihren Füßen.
SITTAH.
Kind, was
Geschieht dir? Recha?
RECHA.
Diesen Vater soll –
Soll ich verlieren![335]
SITTAH.
Du? verlieren? ihn?
Wie das? – Sei ruhig! – Nimmermehr! – Steh auf!
RECHA.
Du sollst vergebens dich zu meiner Freundin,
Zu meiner Schwester nicht erboten haben!
SITTAH.
Ich bins ja! bins! – Steh doch nur auf! Ich muß
Sonst Hülfe rufen.
RECHA die sich ermannt und aufsteht.
Ah! verzeih! vergib! –
Mein Schmerz hat mich vergessen machen, wer
Du bist. Vor Sittah gilt kein Winseln, kein
Verzweifeln. Kalte, ruhige Vernunft
Will alles über sie allein vermögen.
Wes Sache diese bei ihr führt, der siegt!
SITTAH.
Nun dann?
RECHA.
Nein; meine Freundin, meine Schwester
Gibt das nicht zu! Gibt nimmer zu, daß mir
Ein andrer Vater aufgedrungen werde!
SITTAH.
Ein andrer Vater? aufgedrungen? dir?
Wer kann das? kann das auch nur wollen, Liebe?
RECHA.
Wer? Meine gute böse Daja kann
Das wollen, – will das können. – Ja; du kennst
Wohl diese gute böse Daja nicht?
Nun, Gott vergeb' es ihr! – belohn' es ihr!
Sie hat mir so viel Gutes, – so viel Böses
Erwiesen!
SITTAH.
Böses dir? – So muß sie Gutes
Doch wahrlich wenig haben.
RECHA.
Doch! recht viel,
Recht viel!
SITTAH.
Wer ist sie?
RECHA.
Eine Christin, die
In meiner Kindheit mich gepflegt; mich so
Gepflegt! – Du glaubst nicht! – Die mir eine Mutter
So wenig missen lassen! – Gott vergelt'
Es ihr! – Die aber mich auch so geängstet!
Mich so gequält!
SITTAH.
Und über was? warum?
Wie?[336]
RECHA.
Ach! die arme Frau, – ich sag' dirs ja –
Ist eine Christin; – muß aus Liebe quälen; –
Ist eine von den Schwärmerinnen, die
Den allgemeinen, einzig wahren Weg
Nach Gott, zu wissen wähnen!
SITTAH.
Nun versteh' ich!
RECHA.
Und sich gedrungen fühlen, einen jeden,
Der dieses Wegs verfehlt, darauf zu lenken. –
Kaum können sie auch anders. Denn ists wahr,
Daß dieser Weg allein nur richtig führt:
Wie sollen sie gelassen ihre Freunde
Auf einem andern wandeln sehn, – der ins
Verderben stürzt, ins ewige Verderben?
Es müßte möglich sein, denselben Menschen
Zur selben Zeit zu lieben und zu hassen. –
Auch ists das nicht, was endlich laute Klagen
Mich über sie zu führen zwingt. Ihr Seufzen,
Ihr Warnen, ihr Gebet, ihr Drohen hätt'
Ich gern noch länger ausgehalten; gern!
Es brachte mich doch immer auf Gedanken,
Die gut und nützlich. Und wem schmeichelts doch
Im Grunde nicht, sich gar so wert und teuer,
Von wems auch sei, gehalten fühlen, daß
Er den Gedanken nicht ertragen kann,
Er müß' einmal auf ewig uns entbehren!
SITTAH.
Sehr wahr!
RECHA.
Allein – allein – das geht zu weit!
Dem kann ich nichts entgegensetzen; nicht
Geduld, nicht Überlegung; nichts!
SITTAH.
Was? wem?
RECHA.
Was sie mir eben itzt entdeckt will haben.
SITTAH.
Entdeckt? und eben itzt?
RECHA.
Nur eben itzt!
Wir nahten, auf dem Weg' hierher, uns einem
Verfallnen Christentempel. Plötzlich stand
Sie still; schien mit sich selbst zu kämpfen; blickte
Mit nassen Augen bald gen Himmel, bald[337]
Auf mich. Komm, sprach sie endlich, laß uns hier
Durch diesen Tempel in die Richte gehn!
Sie geht; ich folg' ihr, und mein Auge schweift
Mit Graus die wankenden Ruinen durch.
Nun steht sie wieder; und ich sehe mich
An den versunknen Stufen eines morschen
Altars mit ihr. Wie ward mir? als sie da
Mit heißen Tränen, mit gerungnen Händen,
Zu meinen Füßen stürzte ...
SITTAH.
Gutes Kind!
RECHA.
Und bei der Göttlichen, die da wohl sonst
So manch Gebet erhört, so manches Wunder
Verrichtet habe, mich beschwor; – mit Blicken
Des wahren Mitleids mich beschwor, mich meiner
Doch zu erbarmen! – Wenigstens, ihr zu
Vergeben, wenn sie mir entdecken müsse,
Was ihre Kirch' auf mich für Anspruch habe.
SITTAH.
(Unglückliche! – Es ahndte mir!)
RECHA.
Ich sei
Aus christlichem Geblüte; sei getauft;
Sei Nathans Tochter nicht; er nicht mein Vater! –
Gott! Gott! Er nicht mein Vater! – Sittah! Sittah!
Sieh mich aufs neu' zu deinen Füßen ...
SITTAH.
Recha!
Nicht doch! steh auf! – Mein Bruder kömmt! steh auf!
Ausgewählte Ausgaben von
Nathan der Weise
|
Buchempfehlung
Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.
42 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro