[112] Parmenio. Philotas.
PHILOTAS. Tritt näher, Parmenio. – Nun? warum so schüchtern? So voller Scham? Wessen schämst du dich? Deiner, oder meiner?
PARMENIO. Unser beider, Prinz.
PHILOTAS. Immer sprich, wie du denkst. Freilich, Parmenio, müssen wir beide nicht viel taugen, weil wir uns hier befinden. Hast du meine Geschichte bereits gehöret?
PARMENIO. Leider!
PHILOTAS. Und als du sie hörtest? –
PARMENIO. Ich betauerte dich, ich bewunderte dich, ich verwünschte dich, ich weiß selbst nicht, was ich alles tat.
PHILOTAS. Ja, ja! Nun aber, da du doch wohl auch erfahren, daß das Unglück so groß nicht ist, weil gleich darauf Polytimet von den Unserigen – –
PARMENIO. Ja nun; nun möchte ich fast lachen. Ich finde, daß das Glück zu einem kleinen Schlage, den es uns versetzen will, oft erschrecklich weit ausholt. Man sollte glauben, es wolle uns zerschmettern, und hat uns am Ende nichts, als eine Mücke auf der Stirne tot geschlagen.
PHILOTAS. Zur Sache! – Ich soll dich mit dem Herolde des Königs zu meinem Vater schicken.
PARMENIO. Gut! So wird deine Gefangenschaft der meinigen das Wort sprechen. Ohne die gute Nachricht, die ich ihm von dir bringen werde, und die eine freundliche Miene wohl wert ist, hätte ich mir eine ziemlich frostige von ihm versprechen müssen.
PHILOTAS. Nein, ehrlicher Parmenio; nun im Ernst! Mein Vater weiß es, daß dich der Feind verblutet und schon halb erstarrt von der Walstatt aufgehoben. Laß prahlen, wer prahlen will; der ist leicht gefangen zu nehmen, den der nahende Tod schon entwaffnet hat. – Wie viel Wunden hast du nun, alter Knecht? –
PARMENIO. O, davon konnte ich sonst eine lange Liste hersagen. Itzt aber habe ich sie um ein gut Teil verkürzt.[112]
PHILOTAS. Wie das?
PARMENIO. Ha! Ich rechne nun nicht mehr die Glieder, an welchen ich verwundet bin; Zeit und Atem zu ersparen, zähle ich die, an welchen ich es nicht bin. – Kleinigkeiten bei dem allen! Wozu hat man die Knochen anders, als daß sich die feindlichen Eisen darauf schartig hauen sollen?
PHILOTAS. Das ist wacker! – Aber nun – was willst du meinem Vater sagen?
PARMENIO. Was ich sehe; daß du dich wohl befindest. Denn deine Wunde, wenn man mir anders die Wahrheit gesagt hat, –
PHILOTAS. Ist so gut als keine.
PARMENIO. Ein kleines liebes Andenken. Dergleichen uns ein inbrünstiges Mädchen in die Lippe beißt. Nicht wahr, Prinz?
PHILOTAS. Was weiß ich davon?
PARMENIO. Na, nu; kömmt Zeit, kömmt Erfahrung. – Ferner will ich deinem Vater sagen, was ich glaube, daß du wünschest – –
PHILOTAS. Und was ist das?
PARMENIO. Je eher, je lieber wieder bei ihm zu sein. Deine kindliche Sehnsucht, deine bange Ungeduld –
PHILOTAS. Mein Heimweh lieber gar. Schalk! warte, ich will dich anders denken lehren!
PARMENIO. Bei dem Himmel, das mußt du nicht! Mein lieber frühzeitiger Held, laß dir das sagen: Du bist noch Kind! Gib nicht zu, daß der rauhe Soldat das zärtliche Kind so bald in dir ersticke. Man möchte sonst von deinem Herzen nicht zum besten denken; man möchte deine Tapferkeit für angeborne Wildheit halten. Ich bin auch Vater, Vater eines einzigen Sohnes, der nur wenig älter als du, mit gleicher Hitze du kennst ihn ja.
PHILOTAS. Ich kenne ihn. Er verspricht alles, was sein Vater geleistet hat.
PARMENIO. Aber wüßte ich, daß sich der junge Wildfang nicht in allen Augenblicken, die ihm der Dienst frei läßt, nach seinem Vater sehnte, und sich nicht so nach ihm sehnte, wie sich ein Lamm nach seiner Mutter sehnet: so möchte ich ihn gleich – siehst du! – nicht erzeugt haben. Itzt muß er mich noch[113] mehr lieben, als ehren. Mit dem Ehren werde ich mich so Zeit genug müssen begnügen lassen; wenn nämlich die Natur den Strom seiner Zärtlichkeit einen andern Weg leitet; wenn er selbst Vater wird. – Werde nicht ungehalten, Prinz.
PHILOTAS. Wer kann auf dich ungehalten werden? – Du hast Recht! Sage meinem Vater alles, was du glaubest, daß ihm ein zärtlicher Sohn bei dieser Gelegenheit muß sagen lassen. Entschuldige meine jugendliche Unbedachtsamkeit, die ihn und sein Reich fast ins Verderben gestürzt hätte. Bitte ihn, mir meinen Fehler zu vergeben. Versichere ihn, daß ich ihn nie durch einen ähnlichen Fehler wieder daran erinnern will; daß ich alles tun will, damit er ihn auch vergessen kann. Beschwöre ihn –
PARMENIO. Laß mich nur machen! So etwas können wir Soldaten recht gut sagen. – Und besser als ein gelehrter Schwätzer; denn wir sagen es treuherziger. – Laß mich nur machen! Ich weiß schon alles. – Lebe wohl, Prinz; ich eile –
PHILOTAS. Verzieh!
PARMENIO. Nun? – Und welch feierliches Ansehen gibst du dir auf einmal?
PHILOTAS. Der Sohn hat dich abgefertiget, aber noch nicht der Prinz. – Jener mußte fühlen; dieser muß überlegen. Wie gern wollte der Sohn gleich itzt, wie gern wollte er noch eher, als möglich, wieder um seinen Vater, um seinen geliebten Vater sein; aber der Prinz – der Prinz kann nicht. – Höre!
PARMENIO. Der Prinz kann nicht?
PHILOTAS. Und will nicht.
PARMENIO. Will nicht?
PHILOTAS. Höre!
PARMENIO. Ich erstaune – –
PHILOTAS. Ich sage, du sollst hören, und nicht erstaunen. Höre!
PARMENIO. Ich erstaune, weil ich höre. Es hat geblitzt, und ich erwarte den Schlag. – Rede! – Aber, junger Prinz, keine zweite Übereilung! –
PHILOTAS. Aber, Soldat, kein Vernünfteln! – Höre! Ich habe meine Ursachen, nicht eher ausgelöset zu sein, als morgen. Nicht eher als morgen! Hörst du? – Sage also unserm Könige, daß er sich an die Eilfertigkeit des feindlichen Herolds nicht[114] kehre. Eine gewisse Bedenklichkeit, ein gewisser Anschlag nötige den Philotas zu dieser Verzögerung. – Hast du mich verstanden?
PARMENIO. Nein!
PHILOTAS. Nicht? Verräter! –
PARMENIO. Sachte, Prinz! Ein Papagei versteht nicht, aber er behält, was man ihm vorsagt. Sei unbesorgt. Ich will deinem Vater alles wieder herplappern, was ich von dir höre.
PHILOTAS. Ha! ich untersagte dir, zu vernünfteln, und das verdreußt dich. Aber wie bist denn du so verwöhnt? Haben dir alle deine Befehlshaber Gründe gesagt? –
PARMENIO. Alle, Prinz; ausgenommen die jungen.
PHILOTAS. Vortrefflich! Parmenio, wenn ich so empfindlich wäre, als du – –
PARMENIO. Und doch kann nur derjenige meinen blinden Gehorsam heischen, dem die Erfahrung doppelte Augen gegeben.
PHILOTAS. Bald werde ich dich also um Verzeihung bitten müssen. – Nun wohl, ich bitte dich um Verzeihung, Parmenio. Murre nicht, Alter! Sei wieder gut, alter Vater! – Du bist freilich klüger, als ich. Aber nicht die Klügsten allein, haben die besten Einfälle. Gute Einfälle sind Geschenke des Glückes; und das Glück, weißt du wohl, beschenkt den Jüngling oft lieber, als den Greis. Denn das Glück ist blind. Blind, Parmenio; stockblind gegen alles Verdienst. Wenn es das nicht wäre, müßtest du nicht schon lange Feldherr sein?
PARMENIO. Sieh, wie du zu schmeicheln weißt, Prinz – Aber im Vertrauen, lieber Prinz! Willst du mich nicht etwa bestechen? mit Schmeicheleien bestechen?
PHILOTAS. Ich, schmeicheln! Und dich bestechen! Du bist der Mann, der sich bestechen läßt!
PARMENIO. Wenn du so fortfährest, so kann ich es werden. Schon traue ich mir selbst nicht mehr recht!
PHILOTAS. Was wollte ich also sagen? – So einen guten Einfall nun, wollte ich sagen, als das Glück oft in das albernste Gehirn wirft, so einen habe auch ich itzo ertappt. Bloß ertappt; von dem Meinigen ist nicht das geringste dazu gekommen. Denn hätte mein Verstand, meine Erfindungskraft einigen[115] Anteil daran, würde ich ihn nicht gern mit dir überlegen wollen? Aber so kann ich ihn nicht mit dir überlegen; er verschwindet, wenn ich ihn mitteile; so zärtlich, so fein ist er, ich getraue mir ihn nicht in Worte zu kleiden; ich denke ihn nur, wie mich der Philosoph Gott zu denken gelehrt hat, und aufs höchste könnte ich dir nur sagen, was er nicht ist – Möglich zwar genug, daß es im Grunde ein kindischer Einfall ist; ein Einfall, den ich für einen glücklichen Einfall halte, weil ich noch keinen glücklichern gehabt habe. Aber mag er doch; kann er nichts nützen, so kann er doch auch nichts schaden. Das weiß ich gewiß; es ist der unschädlichste Einfall von der Welt; so unschädlich als – als ein Gebet. Wirst du deswegen zu beten unterlassen, weil du nicht ganz gewiß weißt, ob dir das Gebet helfen wird? – Verdirb mir immer also meine Freude nicht, Parmenio, ehrlicher Parmenio! Ich bitte dich, ich umarme dich – Wenn du mich nur ein klein wenig lieb hast – Willst du? Kann ich mich darauf verlassen? Willst du machen, daß ich erst morgen ausgewechselt werde? Willst du?
PARMENIO. Ob ich will? Muß ich nicht? muß ich nicht? – Höre, Prinz, wenn du einmal König wirst, gib dich nicht mit dem Befehlen ab. Befehlen ist ein unsicheres Mittel, befolgt zu werden. Wem du etwas recht Schweres aufzulegen hast, mit dem mache es, wie du es itzt mit mir gemacht hast, und wenn er dir alsdenn seinen Gehorsam verweigert – Unmöglich! Er kann dir ihn nicht verweigern! Ich muß auch wissen, was ein Mann verweigern kann.
PHILOTAS. Was Gehorsam? Was hat die Freundschaft, die du mir erweisest, mit dem Gehorsame zu tun? Willst du, mein Freund? –
PARMENIO. Hör' auf! hör' auf! Du hast mich schon ganz. Ja doch, ich will alles. Ich will es, ich will es deinem Vater sagen, daß er dich erst morgen auslösen soll. Warum zwar erst morgen, – das weiß ich nicht! Das brauch' ich nicht zu wissen! Das braucht auch er nicht zu wissen. Genug, ich weiß, daß du es willst. Und ich will alles, was du willst. Willst du sonst nichts? Soll ich sonst nichts tun? Soll ich für dich durchs Feuer rennen? Mich für dich vom Felsen herab stürzen? Befiehl[116] nur, mein lieber kleiner Freund, befiehl! Itzt tu ich dir alles! So gar – sage ein Wort, und ich will für dich ein Verbrechen, ein Bubenstück begehen! Die Haut schaudert mir zwar; aber doch Prinz, wenn du willst, ich will, ich will –
PHILOTAS. O mein bester, feuriger Freund! O du – wie soll ich dich nennen? – du Schöpfer meines künftigen Ruhmes! Dir schwöre ich bei allem, was mir am heiligsten ist, bei der Ehre meines Vaters, bei dem Glücke seiner Waffen, bei der Wohlfahrt seines Landes, schwöre ich dir, nie in meinem Leben diese deine Bereitwilligkeit, deinen Eifer zu vergessen! Möchte ich ihn auch würdig genug belohnen können! – Höret, ihr Götter, meinen Schwur! – Und nun Parmenio, schwöre auch du! Schwöre mir, dein Wort treulich zu halten. –
PARMENIO. Ich schwören? Ich bin zu alt zum Schwören.
PHILOTAS. Und ich bin zu jung, dir ohne Schwur zu trauen. Schwöre mir! Ich habe dir bei meinem Vater geschworen, schwöre du mir bei deinem Sohne. Du liebst ihn doch, deinen Sohn? Du liebst ihn doch recht herzlich?
PARMENIO. So herzlich, wie dich! – Du willst es, und ich schwöre. Ich schwöre dir, bei meinem einzigen Sohne, bei meinem Blute, das in seinen Adern wallet, bei dem Blute, das ich gern für deinen Vater geblutet, das auch er gern für dich einst bluten wird, bei diesem Blute schwöre ich dir, mein Wort zu halten! Und wenn ich es nicht halte, so falle mein Sohn in seiner ersten Schlacht, und erlebe sie nicht, die glorreichen Tage deiner Regierung! – Höret, ihr Götter, meinen Schwur –
PHILOTAS. Höret ihn noch nicht, ihr Götter! – Du hast mich zum besten, Alter. In der ersten Schlacht fallen; meine Regierung nicht erleben: ist das ein Unglück? Ist früh sterben ein Unglück?
PARMENIO. Das sag ich nicht. Doch nur deswegen, um dich auf dem Throne zu sehen, um dir zu dienen, möchte ich – was ich sonst durchaus nicht möchte – noch einmal jung werden – Dein Vater ist gut; aber du wirst besser, als er.
PHILOTAS. Kein Lob zum Nachteile meines Vaters! – Ändere deinen Schwur! Komm, ändere ihn so: Wenn du dein Wort nicht hältst, so möge dein Sohn ein Feiger, ein Nichtswürdiger[117] werden; er möge, wenn er zwischen Tod und Schande zu wählen hat, die Schande wählen; er möge neunzig Jahr ein Spott der Weiber leben, und noch im neunzigsten Jahre ungern sterben.
PARMENIO. Ich entsetze mich – doch schwöre ich: das mög er! – Höret den gräßlichsten der Schwüre, ihr Götter!
PHILOTAS. Höret ihn! – Nun gut, nun kannst du gehen, Parmenio. Wir haben einander lange genug aufgehalten, und fast zu viel Umstände über eine Kleinigkeit gemacht. Denn ist es nicht eine wahre Kleinigkeit meinem Vater zu sagen, ihn zu überreden, daß er mich nicht eher als morgen auswechsle? Und wenn er ja die Ursache wissen will; wohl, so erdenke dir unter Weges eine Ursache.
PARMENIO. Das will ich auch! Ich habe zwar, so alt ich geworden bin, noch nie auf eine Unwahrheit gesonnen. Aber doch, dir zu Liebe, Prinz – Laß mich nur; das Böse lernt sich auch noch im Alter. – Lebe wohl!
PHILOTAS. Umarme mich! – Geh!
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