8. An seinen Bruder

[140] Auch dich hat, da du wardst geboren,

Die Muse lächelnd angeblickt;

Auch du hast dich dem Schwarm der Toren

Auf jungen Flügeln kühn entrückt!


Ihm nach, dem Liebling des Mäcenen!

Ihm nach, sein Name sporne dich!

Er lehrte dich, das Laster höhnen;

Er mache dich ihm fürchterlich![140]


O! schnitten wir mit gleichem Fluge

Die Lüfte durch zur Ewigkeit!

O! schilderte mit Einem Zuge

Zwei Brüder einst die Richterzeit!


»Die zwei, so soll die Nachwelt sprechen,

Betaumelte kein Modewahn,

Die Sprache schön zu radebrechen,

Zu stolz für eine Nebenbahn.«


Betritt der Alten sichre Wege!

Ein Feiger nur geht davon ab.

Er suchet blumenreichre Stege,

Und findet seines Ruhmes Grab.


Doch lerne früh das Lob entbehren,

Das hier die Scheelsucht vorenthält.

Gnug, wann versetzt in höhre Sphären,

Ein Nachkomm uns ins Helle stellt!


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 140-141.
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