[230] Cognitio veritatis omnia falsa, si modo proferantur, etiam quae prius inaudita erant, et dijudicare et subvertere idonea esti.
Augustinus ad Dioscorum
O glückliche Zeiten, da die Geistlichkeit noch alles in allem war, – für uns dachte und für uns aß! Wie gern brächte euch der Herr Hauptpastor im Triumphe wieder zurück! Wie gern möchte er, daß sich Deutschlands Regenten zu dieser heilsamen Absicht mit ihm vereinigten! Er predigt ihnen süß und sauer, er stellt ihnen Himmel und Hölle vor. Nun, wenn sie nicht hören wollen: so mögen sie fühlen. Witz und Landessprache sind die Mistbeete, in welchen der Same der Rebellion so gern und so geschwind reifet. Heute ein Dichter: morgen ein Konigsmörder. Clement, Ravaillac, Damiens sind nicht in den Beichtstühlen, sind auf dem Parnasse gebildet.
Doch auf diesem Gemeinorte des Herrn Hauptpastors lasse ich mich wohl wieder ein andermal treffen. Itzt will ich nur, wem es noch nicht klar genug ist, vollends klar machen, daß Herr Goeze schlechterdings nicht gestattet, was er zu gestatten scheinet; und daß eben das die Klauen sind, die der Tiger nur in das hölzerne Gitter schlagen zu können, sich so ärgert.
Ich sage nämlich: es ist mit seiner Erlaubnis, Einwürfe gegen Religion und Bibel, gegen das, was er Religion und Bibel nennt, machen zu dürfen, nur Larifari. Er gibt sie und gibt sie nicht: denn er verklausuliert sie von allen Seiten so streng und rabulistisch, daß man sich, Gebrauch davon zu machen, wohl hüten muß.
Die Klausel, in Ansehung der Sprache, habe ich genugsam beleuchtet. Auch habe ich die Klausel in Ansehung der Personen und der Absicht, berühret. Aber noch ist die Klausel in Ansehung[230] der Punkte selbst übrig, welche die Einwürfe nur sollen treffen können; und diese verdient um so mehr, daß wir uns einen Augenblick dabei verweilen, je billiger sie klingt, je weniger man, dem ersten Ansehen nach, etwas dagegen einzuwenden haben sollte.
»Nur müßte«, sind die Worte des Herrn Hauptpastors, »der angreifende Teil die Freiheit nicht haben, die heiligen Männer Gottes, von welchen die ganze Christenheit glaubt, daß sie geredet und geschrieben haben, getrieben von dem heiligen Geiste, als Dummköpfe, als Bösewichter, als Leichenräuber zu lästern.«
Wie gesagt, dieses klingt so billig, daß man sich fast schämen sollte, eine Erinnerung dagegen zu machen. Und doch ist es im Grunde mehr nicht, als Pfiff, oder Armseligkeit. Denn verstehen wir uns nur erst recht!
Will der Herr Hauptpastor bloß, daß der angreifende Teil die Freiheit nicht haben müßte, dergleichen Schimpfworte, als er ihm in den Mund legt, anstatt aller Gründe, zu gebrauchen? Oder will er zugleich, daß der angreifende Teil auch die Freiheit nicht haben müßte, solche Dinge und Tatsachen zu berühren, aus deren Erweisung erst folgen würde, daß den Aposteln jene Benennungen gewissermaßen zukommen? Das ist die Frage, deren er sich wohl nicht versehen hat.
Will er bloß jenes: so ist seine Forderung höchst gerecht; aber sie betrifft eine Armseligkeit, über die sich der Christ lieber hinwegsetzt. Leere Schimpfworte bringen ihn nicht auf; sie mögen wider ihn selbst, oder wider seinen Glauben gerichtet sein. Ruhige Verachtung ist alles, was er ihnen entgegen setzt. Wehe seinem Gegner, der nichts anders hat, womit er ihn bestreite, und ihn doch bestreitet! –
Will der Herr Hauptpastor aber auch zugleich dieses: so geht er mit Pfiffen um, deren sich nur eine theologische Memme schuldig macht; und jeder muß sich ihm widersetzen, dem die Wahrheit der christlichen Religion am Herzen liegt. – Denn wie? So hat die christliche Religion kranke Stellen, die schlechterdings keine Betastung dulden? die man selbst der Luft nicht auslegen darf? Oder hat sie keine solche Stellen: warum sollen ihre Freunde immer und ewig den Vorwurf hören, »daß man nur nicht alles sagen dürfe, was man gegen sie sagen könnte?« Dieser[231] Vorwurf ist so erniedrigend, ist so marternd! Ich wiederhole es: nur eine theologische Memme kann ihm nicht ein Ende gemacht zu sehen wünschen, kann durch ihr Betragen länger dazu berechtigen. Nicht, daß mir der Theologische Renommist lieber wäre, welcher mitten vom Pflaster dem leutescheuen Freigeiste, der sich an den Häusern hinschleicht, ein Schnippchen schlägt, und trotzig zuruft: »komm heraus, wenn du was hast!« Ich kann beide nicht leiden; und das sonderbarste ist, daß auch hier nicht selten Memme und Renommist in Einer Person sind. Sondern ich glaube, daß der wahre Christ weder den einen noch den andern spielt: zu mißtrauisch auf seine Vernunft; zu stolz auf seine Empfindung. –
So viel gegen die Foderung des Herrn Hauptpastors, im Allgemeinen betrachtet. Ich komme auf den einzeln Fall, den er dabei im Sinne hat. Denn mein Ungenannter muß es doch wohl sein sollen, der sich einer Freiheit bedienet, die er nicht haben müßte.
Aber wo hat er sich denn ihrer bedienet? Wo hat er denn die Apostel als Dummköpfe, Bösewichter, Leichenräuber gelästert? Ich biete dem Herrn Hauptpastor Trotz, mir eine einzige Stelle in den Fragmenten zu zeigen, wo er mit solchen Ehrentiteln um sich wirft. Der Herr Hauptpastor sind es einzig und allein selbst, dem sie hier zuerst über die Zunge, oder aus der Feder, – zuerst in die Gedanken gekommen. Er, er mußte, im Namen des Ungenannten, die Apostel lästern, damit er den Ungenannten lästern könne.
Und daß man ja nicht glaube, als ob ich meinen Ungenannten bloß damit schützen wolle, daß jene Ehrentitel nicht buchstäblich bei ihm zu finden! Mein Ungenannter hat sogar nichts von den Aposteln positiv behauptet, was sie derselben würdig machen könnte; nirgends ihnen den Gehalt derselben gerade auf den Kopf zugesagt.
Es ist nicht wahr, daß mein Ungenannter schlechthin sagt: »Christus ist nicht auferstanden, sondern seine Jünger haben seinen Leichnam gestohlen.« Er hat die Apostel dieses Diebstahls weder überwiesen, noch überweisen wollen. Er sahe zu wohl ein, daß er sie dessen nicht überweisen könne. Denn ein Verdacht, selbst ein höchstwahrscheinlicher Verdacht, ist noch lange kein Beweis.[232]
Mein Ungenannter sagt bloß: dieser Verdacht, welchen sein Gehirn nicht ausgebrütet, welcher sich aus dem Neuen Testamente selbst herschreibt, dieser Verdacht sei durch die Erzählung des Matthäus von Bewahrung des Grabes, nicht so völlig gehoben und widerlegt, daß er nicht noch immer wahrscheinlich und glaublich bleibe; indem besagte Erzählung nicht allein ihrer innern Beschaffenheit nach höchst verdächtig, sondern auch ein απαξ λεγομενον sei, dergleichen in der Geschichte überhaupt nicht viel Glauben verdiene; und hier destoweniger, weil sich selbst diejenigen nie darauf zu berufen getrauet, denen an der Wahrheit derselben am meisten gelegen gewesen.
Wer sieht nun nicht, daß es sonach hier weniger auf die Wahrheit der Sache, als auf die glaubwürdige Art der Erzählung ankömmt? Und da die Erzählung einer sehr wahren Sache sehr unglaublich sein kann: wer erkennt nicht, daß diese Unglaublichkeit jener Wahrheit nur in so weit präjudiziert, als man die Wahrheit einzig und allein von der Erzählung will abhangen lassen?
Doch gesetzt auch, mein Ungenannter hätte sich in diesen Grenzen nicht gehalten, er hätte nicht bloß zeigen wollen, was jeder gute Katholik ohne Anstoß glauben und behaupten kann, daß in der schriftlichen Erzählung der Evangelisten und Apostel einzig und allein, gewisse heilige Begebenheiten so ungezweifelt nicht erscheinen, daß sie nicht noch einer anderweitigen Bekräftigung bedürfen; gesetzt, er hätte das wahrscheinliche für wahr, das glaubliche für unleugbar gehalten, er hätte es schlechterdings für ausgemacht gehalten, daß die Apostel den Leichnam Jesu entwendet: so bin ich auch sodann noch überzeugt, daß er diesen Männern, durch welche gleichwohl so unsäglich viel Gutes in die Welt gekommen, wie er selbst nicht in Abrede ist, daß er, sage ich, diesen uns in aller Absicht so teuren Männern, die schimpflichen Namen Betrüger, Bösewichter, Leichenräuber würde erspart haben, die dem Herrn Hauptpastor so geläufig sind.
Und zwar würde er sie ihnen nicht bloß aus Höflichkeit erspart haben; nicht bloß aus Besorglichkeit, das Kalb, wie man zu sagen pflegt, zu sehr in die Augen zu schlagen: sondern er würde sie ihnen erspart haben, weil er überzeugt sein mußte, daß ihnen zu viel damit geschähe.[233]
Denn wenn es schon wahr ist, daß moralische Handlungen, sie mögen zu noch so verschiednen Zeiten, bei noch so verschiednen Völkern vorkommen, in sich betrachtet immer die nämlichen bleiben: so haben doch darum die nämlichen Handlungen nicht immer die nämlichen Benennungen, und es ist ungerecht, irgend einer eine andere Benennung zu geben, als die, welche sie zu ihren Zeiten, und bei ihrem Volk zu haben pflegte.
Nun ist es erwiesen und ausgemacht, daß die ältesten und angesehnsten Kirchenväter einen Betrug, der in guter Absicht geschiehet, für keinen Betrug gehalten, und diese nämliche Denkungsart den Aposteln beizulegen, sich kein Bedenken gemacht haben. Wer diesen Punkt von einem unverdächtigen Theologen selbst, belegt und aufs Reine gebracht lesen will, der lese Ribovs Programm de Oeconomia patrum. Die Stellen sind unwidersprechlich, die Ribov daselbst mit Verschwendung zusammen trägt, um zu beweisen, daß die Kirchenväter fast ohne Ausnahme der festen Meinung gewesen, integrum omnino Doctoribus et coetus Christiani Antistitibus esse, ut dolos versent, falsa veris intermisceant et imprimis religionis hostes fallant, dummodo veritatis commodis et utilitati inserviant. Auch sind die Stellen der andern Art, wo die Kirchenväter den Aposteln selbst eine dergleichen οικονομιαν, eine dergleichen falsitatem dispensativam beilegen, eben so unleugbar. Was Hieronymus unter andern vom h. Paulus versichert,9 ist so naiv, daß es dem naiven Ribov selbst auffällt, darum aber nicht weniger die wahre Meinung des Hieronymus bleibt.
Man sage nicht, daß diese uns itzt so befremdende Vorstellung von der Aufrichtigkeit der ersten Kirchenväter und Apostel, bloße Vorteile der Auslegungskunst, bloßen Wörterkram betreffe. Worte und Handlungen liegen nicht so weit auseinander, als man insgemein glaubt. Wer fähig ist, eine Schriftstelle wider besser Wissen und Gewissen zu verdrehen, ist zu allem andern fähig; kann falsch Zeugnis ablegen, kann Schriften unterschieben, kann Tatsachen erdichten, kann zu Bestätigung derselben jedes Mittel für erlaubt halten.[234]
Gott bewahre mich, daß ich zu verstehen geben sollte, daß die Apostel zu diesem allen fähig gewesen, weil sie die Kirchenväter zu einem für fähig gehalten! Ich will nur die Frage veranlassen: ob in eben dem Geiste, in welchem wir itzt in Ansehung dieses einen über sie urteilen, ein billiger Mann allenfalls nicht auch in Ansehung des übrigen urteilen müßte, wenn es ihnen wirklich zur Last fiele?
Und so ein billiger Mann war mein Ungenannter allerdings. Er hat keine Schuld, die in leichtem Gelde gemacht war, in schwerem wiedergefodert. Er hat kein Verbrechen, welches unter nachsehendern Gesetzen begangen war, nach spätern geschärfteren Gesetzen gerichtet. Er hat keine Benennung, die dem Abstracto der Tat zu ihrer Zeit nicht zukam, dem Concreto des Täters zu unsrer Zeit beigelegt. Er hat immer in seinem Herzen dafür halten können, daß wir betrogen sind: aber er hat sich wohl gehütet zu sagen, daß wir von Betrügern betrogen sind.
Vielmehr spielt jeder, welcher meinen Ungenannten dieses letztere sagen läßt, weil er ihn überführen kann, daß er das erstere geglaubt habe, selbst einen Betrug, um einen Pöbel in Harnisch zu bringen, der keinen Unterschied zu machen fähig ist. Ob aber diese Absicht auch zu den Absichten gehört, die einen Betrug entschuldigen, das lasse ich dahin gestellt sein. Ich sehe wenigstens den Nutzen, der daraus entspringen soll, noch nicht ein; und ich muß erst erfahren, ob selbst der Pöbel itziger Zeit nicht schon klüger und vernünftiger ist, als die Prediger, die ihn so gern hetzen möchten.
Herr Goeze weiß sehr wohl, daß mein Ungenannter eigentlich nur behauptet, daß die Apostel es ebenfalls gemacht, wie es alle Gesetzgeber, alle Stifter neuer Religionen und Staaten zu machen für gut befunden. Aber das fällt dem Pöbel, für den er schreibt und prediget, nicht so recht auf. Er spricht also mit dem Pöbel die Sprache des Pöbels, und schreiet, daß mein Ungenannter die Apostel als Betrüger und Bösewichter lästere. – Das klingt! das tut Wirkung! – Vielleicht, wie gesagt, aber auch nicht. Denn auch der geringste Pöbel, wenn er nur von seiner Obrigkeit gut gelenkt wird, wird von Zeit zu Zeit erleuchteter, gesitteter, besser: anstatt, daß es bei gewissen Predigern ein Grundgesetz ist, auf dem nämlichen Punkte der Moral und Religion immer und[235] ewig stehen zu bleiben, auf welchem ihre Vorfahren vor vielen hundert Jahren standen. Sie reißen sich nicht von dem Pöbel, – aber der Pöbel reißt sich endlich von ihnen los.[236]
9 | Paulus in testimoniis, quae sumit de veteri testamento, quam artifex, quam prudens, quam dissimulator est ejus quod agit! |
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