Anhang

[663] Warburton, wie bekannt, unternahm die Verteidigung unsers Dichters wider die Beschuldigungen des Crousaz. Die Briefe, die er in dieser Absicht schrieb, erhielten Popens vollkommensten Beifall. Sie haben mir, sagt dieser in einem Briefe an seinen Retter, allzuviel Gerechtigkeit widerfahren lassen; so seltsam dieses auch klingen mag. Sie haben mein System so deutlich gemacht, als ich es hätte machen sollen, und nicht gekonnt habe – – Man sehe die ganze Stelle unten in der Note,1 aus welcher ich nur noch die Worte anführe: Sie verstehen mich vollkommen so wohl, als ich mich selbst verstehe;[663] allein Sie drücken mich besser aus, als ich mich habe ausdrücken können.

Was sagt nun denn aber dieser Mann, welcher die Meinung des Dichters, nach des Dichters eignem Geständnisse, so vollkommen eingesehen hat, von dem Systeme seines Helden? Er sagt: Pope sei durchaus nicht dem Hrn. von Leibniz, sondern dem Plato gefolgt, wenn er behauptet, Gott habe von allen möglichen Welten die beste wirklich werden lassen.

Plato also wäre die erste Quelle unsers Dichters! – Wir wollen sehen. – Doch Plato war auch eine Quelle für Leibnizen. Und Pope könnte also doch wohl noch ein Leibnizianer sein, indem er ein Platoniker ist. Hierauf aber sagt Warburton »nein! denn Pope hat die Platonische Lehren in der gehörigen Einschränkung angenommen, die Leibniz auf eine gewaltsame Art ausgedehnt. Plato sagte: Gott hat die beste Welt erwählt. Der Herr von Leibniz aber: Gott hat nicht anders können, als die beste wählen.

Der Unterschied zwischen diesen zwei Sätzen soll in dem Vermögen liegen, unter zwei gleich ähnlichen und guten Dingen, eines dem andern vorzuziehen; und dieses Vermögen habe Plato Gott gelassen; Leibniz aber ihm gänzlich genommen. Ich will hier nicht beweisen, was man schon unzähligmal bewiesen hat, daß dieses Vermögen eine leere Grille sei. Ich will nicht anführen, daß sie auch Plato dafür müsse erkannt haben, weil er bei jeder freien Wahl Bewegungsgründe zugesteht; wie Leibniz bereits angemerkt hat. (Theodizee 1. Abt. §. 45) Ich will nicht darauf dringen, daß folglich der Unterschied selbst wegfalle; sondern ich will ihn schlechter Dings so annehmen, wie ihn Warburton angegeben hat.

Plato mag also gelehrt haben: Gott habe die Welt gewählt, ob er gleich eine andre vielleicht eben so gute Welt hätte wählen können; und Leibniz mag gesetzt haben: Gott habe nicht[664] anders können als die beste wählen. Was sagt denn Pope? Drückt er sich auf die erste oder auf die andre Art aus? Man lese doch:


Of systems possible, if 'tis confest

That Wisdom infinite must form the best etc.


»Wenn es ausgemacht ist, daß die unendliche Weisheit von allen möglichen Systemen das beste wählen muß etc.« – – Daß sie muß? Wie ist es möglich, daß Warburton diesen Ausdruck übersehen hat? Heißt dieses mit dem Plato reden, wenn Plato anders, wie Warburton will, eine ohne alle Bewegungsgründe wirkende Freiheit in Gott angenommen hat?

Genug von dem Plato, den Pope folglich gleich bei dem ersten Schritte verlassen zu haben selbst glauben mußte! Ich komme zu der zweiten Quelle, die Warburton dem Dichter gibt; und diese ist der Lord Shaftesbury, von welchem er sagt, daß er den Platonischen Satz angenommen, und in ein deutlicher Licht gesetzt habe. In wie weit dieses geschehen sei, und welches das verbesserte System dieses Lords sei, will die Akademie jetzt nicht wissen. Ich will also hier nur so viel anführen, daß Pope den Shaftesbury zwar offenbar gelesen und gebraucht habe, daß er ihn aber ungleich besser würde gebraucht haben, wenn er ihn gehörig verstanden hätte.

Daß er ihn wirklich gebraucht habe, könnte ich aus mehr als einer Stelle der »Rhapsody« des Shaftesbury beweisen, welche Pope seinen Briefen eingeschaltet hat, ohne fast von dem Seinigen etwas mehr, als das Sylbenmaß und die Reime hinzu zu tun. Statt aller aber, will ich nur diese einzige anführen. Shaftesbury läßt den Philocles dem Palemon, welcher das physikalische Übel zwar entschuldigen will, gegen das moralische aber unversehnlich ist, antworten: The very Storms and Tempests had their Beauty in your account, those alone excepted, which arose in human Breast. »Selbst die Stürme und Ungewitter haben, Ihrem Bedünken nach, ihre Schönheit, nur diejenigen nicht, die in der menschlichen Brust aufsteigen.« Ist dieses nicht eben das, was Pope sagt:


If Plagues or earthquakes break not heav'n's design,

Why then a Borgia or a Catiline?[665]


Doch Pope muß den Shaftesbury nicht verstanden haben, oder er würde ihn ganz anders gebraucht haben. Dieser freie Weltweise war in die Materie weit tiefer eingedrungen, und drückt sich weit vorsichtiger aus, als der immer wankende Dichter. Hätte ihm Pope gefolgt, so würden seine Gedanken einem System ungleich ähnlicher sehen; er würde der Wahrheit und Leibnizen ungleich näher gekommen sein. Shaftesbury zum Exempel, sagt: Man hat auf vielerlei Art zeigen wollen, warum die Natur irre, und wie sie mit so vielem Unvermögen und Fehlern von einer Hand kömmt, die nicht irren kann. Aber ich leugne, daß sie irrt etc. Pope hingegen behauptet: die Natur weicht ab. – Ferner sagt unser Lord: die Natur ist in ihren Wirkungen sich immer gleich; sie wirkt nie auf eine verkehrte oder irrige Weise; nie Kraftlos oder nachlässig; sondern sie wird nur durch eine höhere Nebenbuhlerin und durch die stärkere Kraft einer andern Natur überwältiget.2 Leibniz selbst würde den Streit der Regeln einer zusammengesetzten Vollkommenheit nicht besser haben ausdrücken können. Aber was weiß Pope hievon, der dem Shaftesbury gleichwohl soll gefolgt sein? Auch sagt dieser: Vielmehr bewundern wir eben wegen dieser Ordnung der untern und obern Wesen die Schönheit der Welt, die auf sich einander entgegenstehende Dinge gegründet ist, weil aus solchen mannigfaltigen und widerwärtigen Grundursachen eine allgemeine Zusammenstimmung entspringt.3 Die Worte mannigfaltige und widerwärtige Grundursachen bedeuten hier abermals die Regeln der Ordnung, die oft neben einander nicht bestehen können; und hätte Pope davon einen Begriff[666] gehabt, so würde er sich weniger auf die Seite des Malebranche geneigt haben. Desgleichen von der Ordnung hat Shaftesbury einen vollkommenen richtigen Begriff, den Pope, wie wir gesehen, nicht hatte. Er nennt sie a Coherence or Sympathizing of Things; und unmittelbar darauf a Consent and Correspondence in all. Dieser Zusammenhang, dieses Sympathisieren, diese Übereinstimmung ist ganz etwas anders als des Dichters eingebildete Staffelordnung, welche man höchstens nur für poetisch schön erkennen kann.

Überhaupt muß ich gestehen, daß mir Shaftesbury sehr oft so glücklich mit Leibniz übereinzustimmen scheinet, daß ich mich wundre, warum man nicht längst beider Weltweisheit mit einander verglichen. Ich wundre mich sogar, warum nicht selbst die Akademie lieber das System des Shaftesbury, als das System des Pope zu untersuchen und gegen das Leibnizische zu halten, aufgegeben. Sie würde alsdenn doch wenigstens Weltweisen gegen Weltweisen, und Gründlichkeit gegen Gründlichkeit gestellt haben, anstatt daß sie den Dichter mit dem Philosophen, und das Sinnliche mit dem Abstrakten in ein ungleiches Gefechte verwickelt hat. Ja auch für die, würde bei dem Shaftesbury mehr zu gewinnen gewesen sein, als bei dem Pope, welche Leibnizen gern, vermittelst irgend einer Parallel mit einem andern berühmten Manne, erniedrigen möchten. Das Werk des Shaftesbury »The Moralists, a Philosophical Rhapsody« war bereits im Jahr 1709 herausgekommen; des Leibniz »Theodizee« hingegen trat erst gegen das Ende des Jahrs 1710 an das Licht. Aus diesem Umstande, sollte ich meinen, wäre etwas zu machen gewesen. Ein Philosoph, ein englischer Philosoph, welcher Dinge gedacht hat, die Leibniz erst ein ganzes Jahr nachher gedacht zu haben zeiget, sollte dieser von dem letztern nicht ein wenig sein geplündert worden? Ich bitte die Akademie es überlegen zu lassen!

Und also hat Pope auch aus dem Shaftesbury die wenigsten seiner metaphysischen Larven4 entlehnt. Wo mag er sie wohl sonst her haben? Wo mag er besonders die her haben,[667] die eine Leibnizische Miene machen? Ich verstehe diejenigen Sätze, die mit den Worten mögliche Systeme und dergleichen ausgedrückt sind. Die Anweisung Warburtons verläßt mich hier; ich glaube aber gleichwohl etwas entdeckt zu haben.

Man erinnere sich desjenigen Buches de Origine mali, über welches Leibniz Anmerkungen gemacht hat, die man gleich hinter seiner Theodizee findet. Er urteilet davon, der Verfasser desselben stimme, in der einen Hälfte der Materie, von dem Übel überhaupt, und dem physikalischen Übel insbesondre, sehr wohl mit ihm überein, und gehe nur in der andern Hälfte, vom moralischen Übel, von ihm ab. Es war dieser Verfasser der Hr. W. King, nachheriger Erzbischof von Dublin. Er war ein Engländer, und sein Werk war schon im Jahr 1702 herausgekommen.

Aus diesem nun behaupte ich, hat sich unser Dichter ungemein bereichert; und zwar so, daß er nicht selten, ganze Stellen aus dem Lateinischen übersetzt, und sie bloß mit poetischen Blümchen durchwirkt hat. Ich will bloß die vornehmsten derselben zum Beweise hersetzen, und die Vergleichung den Lesern, welche beider Sprachen mächtig sind, selbst überlassen.


1.

King. cap. III. p. m. Ed. Brem. 56


Credendum vero est, praesens mundi Systema optimum fuisse, quod fieri potuit, habito respectu ad Dei mentem in eo fabricando.


Pope. Ep. I. v. 43. 44


Of systems possible, if 'tis confest,

That Wisdom infinite must form the best.


2.

King. p. m. 58


Oportet igitur multos perfectionum gradus, forte infinitos, dari in opificiis divinis.


Pope. Ep. I. v. 46–47


Where all must fall or not coherent be

And all that rises, rise in due degree etc.


3.

[668] King. p. m. 72


Opus erat in systemate mundi globo materiae solidae, qualis est terra, et eam quasi rotae vicem habere credimus in magno hoc automato.


Pope. Ep. 1. v. 56 etc.


So man, who here seems principal alone,

Perhaps acts second to some sphere unknown,

Touches some wheel, or verges to some gole.

'Tis but a part we see and not the whole.


4.

King. p. m. 89


– Quaedam ejusmodi facienda erant, cum locus his in opificio Dei restabat, factis tot aliis, quot conveniebat. At optes alium tibi locum et sortem cessisse; fortasse. Sed si tu alterius locum occupasses, ille alter aut alius aliquis in tui locum sufficiendus erat, qui similiter providentiae divinae ingratus, locum illum quem jam occupasti, optaret. Scias igitur necessarium fuisse, ut aut sis, quod es, aut nullus. Occupatis enim ab aliis omni alio loco et statu, quem systema aut natura rerum ferebat, aut is, quem habeas, a te implendus, aut exulare te a rerum natura necesse est. An expectes enim, dejecto alio a statu suo, te ejus loco suffectum iri? id est, ut aliorum injuria munificentiam peculiarem et exsortem tibi Deus exhiberet. Suspicienda ergo est divina bonitas, non culpanda, qua ut sis, quod es, factum est. Nec alius nec melior fieri potuisti sine aliorum aut totius damno.

Den ganzen Inhalt dieser Worte wird man in dem ersten Briefe des Pope wieder finden; besonders gegen die 157te und 233te Zeile. Die Stellen selbst sind zu lang, sie ganz herzusetzen; und zum Teil sind sie auch bereits oben angeführt worden, wo von dem Popischen Begriffe der Ordnung, und der notwendigen Stelle, die der Mensch in der Reihe der Dinge erhalten müssen, die Rede war.

Was kann man nun zu so offenbaren Beweisen, daß Pope den metaphysischen Teil seiner Materie mehr zusammen geborgt, als gedacht habe, sagen? Und was wird man vollends[669] sagen, wenn ich sogar zeige, daß er sich selbst nichts besser bewußt zu sein scheinet? – Man höre also, was er in einem Briefe an seinen Freund den D. Swift schreibt. Pope hatte seinen Versuch über den Menschen, ohne seinem Namen drucken lassen, und er kam Swiften in die Hände, ehe ihm Pope davon Nachricht geben konnte. Swift las das Werk, allein er erkannte seinen Freund darin nicht. Hierüber nun wundert sich Pope und schreibt: ich sollte meinen, ob Sie mich gleich in dem ersten dieser Versuche aus dem Gesichte verloren, daß Sie mich doch in dem zweiten würden erkannt haben5. Heißt dieses nicht ungefähr: ob Sie mir gleich die metaphysische Tiefsinnigkeit, die aus dem ersten Briefe hervor zu leuchten scheinet, nicht zutrauen dürfen; so hätten Sie doch wohl in den übrigen Briefen, wo die Materie leichter und des poetischen Putzes fähiger wird, meine Art zu denken erkennen sollen? – – Swift gesteht es in seiner Antwort auch in der Tat, daß er Popen für keinen so großen Philosophen gehalten habe, eben so wenig als sich Pope selbst dafür hielt. Denn würde er wohl sonst, gleich nach obiger Stelle, geschrieben haben: Nur um eines bitte ich Sie; lachen Sie über meine Ernsthaftigkeit nicht, sondern erlauben Sie mir, den philosophischen Bart so lange zu tragen, bis ich ihn selbst ausrupfe, und ein Gespötte daraus mache6. Das will viel sagen! Wie sehr sollte er sich also wundern, wenn er erfahren könnte, daß gleichwohl eine berühmte Akademie diesen falschen Bart für wert erkannt habe, ernsthafte Untersuchungen darüber anzustellen.

1

I can only say, you do him (Crousaz) too much honour and me too much right, so odd as the expression seems, for you have made my system as clear, as i ought to have done, and could not. It is indeed the same system as mine, but illustrated with a ray of your own, as they say our natural body is the same still when it is glorified. I am sure i like it better, than i did before, and so will every man else. I know i meant just what you explain, but i did not explain my own meaning so well as you. You understand me as well, as i do myself, but you express me better, than i could express myself. In einem Briefe an Warburton vom 11. April 1739.

2

Much is alledg'd in answer, to shew why Nature errs, and how she came thus impotent and erring from an unerring hand. But i deny she errs – – Nature still working as before, and not perversly or erroneously; not faintly or with feeble Endeavours; but o'erpower'd by a superior Rival, and by another Nature's justly conquering Force. Rhapsody Part. 2. Sect. 3.

3

'Tis on the contrary, from this Order of inferiour and superiour Things that we admire the World's Beauty, founded thus on Contrarietys: whilst from such various and disagreeing Principles a Universal Concord is established. Eben daselbst.

4

Eine beiläufige Erklärung der Vignette unsers Titels!

5

I fancy, tho' you lost sight of me in the first of those Essays, you saw me in the second.

6

I have only one piece of mercy to beg of you; do not laugh at my gravity, but permit to me, to wear the beard of a Philosopher till i pull it off and make a jest of it myself. In einem Briefe an den D. Swift, welcher in dem 9ten Teile der Popischen Werke, der Knoptonschen Ausgabe von 1752 auf der 254. Seite stehet.

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 3, München 1970 ff..
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Pope ein Metaphysiker!
Sämmtliche Schriften: Pope, Ein Metaphysiker, 1755. Fabeln, 1759. Etc (German Edition)

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Die Betschwester. Lustspiel

Die Betschwester. Lustspiel

Simon lernt Lorchen kennen als er um ihre Freundin Christianchen wirbt, deren Mutter - eine heuchlerische Frömmlerin - sie zu einem weltfremden Einfaltspinsel erzogen hat. Simon schwankt zwischen den Freundinnen bis schließlich alles doch ganz anders kommt.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon