VIII

[71] Als Alfred an einem der folgenden Abende in das Zimmer des Freundes trat, fand er ihn in Aktenstößen vergraben, mit einem seiner Beamten über eine Rechtsfrage verhandelnd. In dem strengen Ernste des Geschäftsmannes, in der schlagenden Kürze seiner Beweise erkannte man den Lebemann nicht wieder, der so weitläufig über die Bereitung einer Mahlzeit zu sprechen verstand. Er fertigte seinen Untergebenen schnell, aber sehr zuvorkommend ab und wendete sich dann mit freundlicher Begrüßung dem Freunde zu.

Dieser erklärte ihm gleich, welche Angelegenheit ihn beschäftige, und bat um den Rath des Präsidenten. Ich dachte, sagte er, als ich von Hause schied, nur an eine Trennung von meiner Frau; ja, ich war in diesen Tagen schon wieder einer Aussöhnung nicht abgeneigt, denn Du kannst Dir denken, daß ein solcher Entschluß mir hart ankommt. Ein Brief, den ich neulich von ihr erhielt, hat mich indeß in meinen Vorsätzen befestigt. Ich fühle, daß wir uns nie verstehen werden, daß ich in dem ewig schwankenden Zustand nicht leben kann. Ich hoffe nicht auf Glück, aber ich verlange Ruhe, innere Ruhe und meine Freiheit wieder. Unsere Ehe muß gerichtlich geschieden werden. Ich kenne die Schwierigkeiten, die man dabei macht; deshalb komme ich, Dich zu fragen: wie hilft man sich am leichtesten darüber fort?

Ist Deine Frau mit der Scheidung einverstanden? fragte der Präsident.[71]

Sieh, lieber Freund, da fangen die Schwierigkeiten gleich an. Du weißt es ja selbst, daß Caroline und ich katholisch sind. Nun fürchte ich, sie wird nicht in die Scheidung willigen, einmal, weil sie sich nicht so unglücklich in unserer Verbindung fühlt, als ich; zweitens, weil ihr die Trennung von Felix schwer sein wird, und endlich, weil sie nach ihren Begriffen durch die Scheidung eine Sünde begeht, ein Sakrament bricht.

Nicht zu vergessen, daß Du Dich leicht zu einer neuen Ehe entschließen dürftest, was Deiner Frau von den Pfaffen verwehrt werden möchte, ergänzte Julian mit seinem ironischen Lächeln.

Alfred beachtete die Worte nicht und fuhr fort: Ferner habe ich die Güter von meinem Großonkel, dem Domherrn, ererbt, und das Testament verlangt, daß sie immer von einem der katholischen Religion angehörenden und ergebenen Nachkommen der Reichenbach'schen Familie besessen werden, wo nicht, der Kirche zufallen sollen. Ich zweifle keinen Augenblick, daß die katholische Geistlichkeit des betreffenden Klosters, die eine Abschrift des Testaments besitzt, ihre Ansprüche gegen mich erheben wird, wenn sich ihr die Möglichkeit dazu eröffnet. Dasselbe könnte auch von Seiten eines sehr entfernten Agnaten geschehen. Ich für mein Theil würde mich unschwer entschließen, der Erbschaft zu entsagen, wenn dies das einzige Mittel wäre, mich frei zu machen. Ich habe durch die Fabriken, die ich angelegt, ein selbstständiges Vermögen erworben, das ich mein nennen darf, abgesehen davon, daß mir meine literarische Thätigkeit ein mäßiges Kapital abgeworfen, welches ich bis jetzt nie benutzt habe. Die Frage ist nur, ob es irgendwie bedenklich ist, daß mein Felix, als nächster Erbe, die Erbschaft antritt, wenn ich darauf verzichte?

Das hängt ganz von dem Testamente ab, meinte der Präsident, und ich würde Dich bitten, es mir zur Prüfung zu übergeben.[72]

Ich habe es Dir zu dem Zwecke mitgebracht, hier sind die Papiere. Hast Du Muße, Dich gleich jetzt damit zu beschäftigen, so möchte ich den Bescheid bei Deiner Schwester abwarten.

Thue das, lieber Freund! sagte der Präsident, und setzte sich an die Arbeit, nachdem Alfred sich bei Therese hatte melden lassen.

Er fand sie schreibend und entschuldigte sich wegen der Störung.

Es ist mir eine Freude, sagte sie, daß Sie kommen und daß es überhaupt diesen Winter recht lebhaft in unserm Hause werden wird. Sie waren der Erste, der sich uns als einen Gast für die langen Abende meldete, und Sie scheinen uns Glück gebracht zu haben. Unser Kreis wird sich noch um eine oder gar um zwei Personen vergrößern.

Und darf ich fragen, wer diese sein werden?

Der eine Gast wird ein junger Sternau sein.

Ein Verwandter von Ihnen? fragte Alfred.

Nein, antwortete Therese, ich kenne ihn gar nicht und darum bangt mir etwas bei dem Gedanken an seine Ankunft. Er soll ein liebenswürdiger junger Mann, von tiefem Gemüth, aber sehr kränklich und von der Mutter, deren einziges Kind er ist, körperlich und geistig verweichlicht worden sein. Der Vater, um ihn ins Leben einzuweisen, hat ihn angehalten, die juristische Laufbahn zu verfolgen, während des jungen Mannes Neigung ihn zum Landleben hinzog, für das der reiche Landbesitz des Vaters, der selbst Landwirth ist, ihn zu bestimmen schien. Das hat Teophil in mancherlei Zweifel gestürzt und eine unglückliche Liebe soll ihn in der letzten Zeit noch mehr entmuthigt haben. Er soll kränkeln und einen Lebensüberdruß verrathen, der selbst den ruhigen Vater sehr besorgt macht. Während nun der Sohn mehr als je nach der Einsamkeit verlangt,[73] sieht der Vater für ihn nur in angestrengter Thätigkeit Rettung, und die Mutter wünscht, daß er sich hier der Behandlung eines bedeutenden Arztes unterziehe. Beide Eltern haben sich an meinen Bruder gewendet, mit dem sie sehr befreundet sind, und dieser hat, als ob es von ihm ausginge, den jungen Mann auf seiner Reise besucht. Er hat sein Vertrauen erworben, ihn überredet, als Hilfsarbeiter bei seinem Collegium einzutreten und als willkommener Gast in unserm Hause zu leben. Morgen vielleicht dürfen wir ihn bereits erwarten.

Da sollen Sie also eine Erziehung übernehmen, eine Bekehrung machen! Beides ist entweder sehr leicht oder sehr schwer, bemerkte Alfred.

Das empfinde ich so lebhaft, sagte Therese, daß ich es fast abgelehnt habe, einer Freundin gefällig zu sein, die mir ihre sechzehnjährige Tochter für einige Zeit anvertrauen will, damit sie hier Unterricht im Tanzen und im Französischen nehmen könne. Es ist nicht zu berechnen, welchen Eindrücken solch ein junges Mädchen in ganz ungewohnter Umgebung ausgesetzt ist, und wie sie nachhaltig wirken können. So lieb mir die kleine Agnes war, als ich sie vor Jahren sah, so habe ich doch noch nichts bestimmt versprochen, weil ich mich vor der Verantwortung fürchte, wenn der Aufenthalt in der Residenz das Mädchen in seinen Wünschen und Ansprüchen verändern sollte.

Bei diesen Worten Theresen's trat der Präsident in das Zimmer. Ich bin in der Prüfung Deiner Papiere mehrmals durch unabweisliche Besuche gestört wor den, bester Reichenbach, sagte er, und muß sie nun auf die Frühstunden des nächsten Morgens verschieben, die immer meine ruhigste Arbeitszeit sind. Gönne mir Frist bis dahin. Ich bin ermüdet von der heutigen endlosen Sitzung, und mehr aufgelegt, mit Dir und Therese eine Stunde zu verplaudern, als angestrengt eine so wichtige[74] Sache zu prüfen. – Wovon war die Rede, als ich Euch unterbrach?

Von den Hausgenossen, die man uns für den Winter zugedacht hat, sagte Therese, und von all den Bedenken, die sich in mir dagegen regen.

Ich begreife diese Besorgnisse nicht, meinte der Präsident. Wären wir Eheleute, ich würde denken, die Erinnerung an Goethe's Wahlverwandtschaften mache Dich ängstlich, in denen durch den Zutritt neuer Personen ein altes, anscheinend wohl begründetes Verhältniß zerstört wird; denn allerdings hat unsere Lage mit den dortigen Zuständen eine gewisse Aehnlichkeit.

Therese lächelte und sagte erröthend: Wirst Du mich eine Thörin schelten, wenn ich Dir bekenne, daß gerade dieser Gedanke mir selbst gekommen ist und mich beunruhigt hat? Wer weiß, ob Dir unsere Häuslichkeit nicht einsam erscheinen wird, wenn unsere Gäste uns verlassen, ob ich Dir nicht eine zu ernste Gesellschafterin sein werde, wenn Dich die kleine Agnes an größere Fröhlichkeit gewöhnt haben wird.

Dacht' ich's doch! das ist echte Frauennatur! rief lachend der Präsident. Sie ist wirklich im voraus eifersüchtig auf ein Kind, das ich noch gar nicht kenne. Aber fürchte nichts! sagte er, indem er ihr die Hand bot, lasse die Kleine immerhin kommen, wie ich den Telemach kommen lasse, zu dessen Mentor man mich erkoren hat. Mich und Dich trennt Niemand.

Therese drückte dem Bruder die Hand und sagte dann nach einer kleinen Pause: Erinnern Sie sich wol, Herr von Reichenbach, daß Sie es waren, der mich zuerst mit den Wahlverwandtschaften bekannt gemacht hat?

Gewiß! antwortete Alfred, und ich weiß es gar wohl, daß es mir Vorwürfe von Ihrer Frau Mutter zuzog, weil selbst diese verständige Frau von dem Glauben befangen war, daß die Tendenz des Romanes eine unsittliche sei.[75]

Und ist sie dies nicht wirklich? fragte Therese.

Nichts weniger als das! erwiderte Alfred. Unsittlich ist die Tendenz eines Buches, wenn Das, was gegen die Moraloder die hergebrachten Sittengesetze verstößt, beschönigt, als Recht dargestellt und vom Glück gekrönt wird, wie das jetzt oft in den französischen und deutschen Romanen geschieht. Davon aber finden Sie in den Wahlverwandtschaften kein Beispiel!

Und wie wollen Sie es nennen, fragte Therese, wenn Gatten den Schwur der Treue brechen, der sie unauflöslich an einander bindet? Wie nennen Sie Charlotten's Liebe zu dem Hauptmann, Eduard's Leidenschaft für Ottilie? Wie wollen Sie das entschuldigen?

Entschuldigen! rief Alfred. Liebe, Leidenschaft entschuldigen? Liebe und Leidenschaft an sich bedürfen nie und nirgend einer Entschuldigung. Jede wahrhafte Liebe trägt wie ein Gottesurtheil ihre Freisprechung in sich.

Und so finden Sie die Personen des Romans frei von aller Schuld? fragte Therese zweifelnd. Mir scheint, mit dieser Ansicht von dem Recht der Liebe heben Sie das heilige Recht der Ehe auf. Nach Ihrer Theorie hätte jeder das Recht, eine Ehe aufzulösen, wenn er neue Liebe in seinem Herzen sich regen fühlt und – – sie stockte, im Bewußtsein, einen Gegenstand berührt zu haben, der dem Gaste peinlich sein könnte; Alfred selbst aber nahm das Wort.

Glauben Sie denn nicht, rief er, daß in tausend Fällen die Trennung einer Ehe eine hohe, sittliche That sein könne, ja, das sie in solchen Fällen zu einer heiligen Pflicht werden kann?

Gewiß! sagte der Präsident, denn im Grunde ehrt jede Ehescheidung den Gedanken der Ehe.

Wenn zwei Menschen empfinden, daß sie dem Gedanken einer wahren Ehe nicht genügen können, daß sie innerlich getrennt[76] sind, daß sie eigentlich nie zu einander gehörten und sich nur aus jugendlichem Misverstehen verbanden, sollen diese lebenslang zusammengeschmiedet bleiben? Sollen sie mitsammen leben, Unfrieden, Gram, und vielleicht am Ende noch eine wahre und edle Liebe für einen andern Gegenstand im Herzen? fragte Alfred heftig.

Therese schwieg mit scheuer Zurückhaltung und Alfred fuhr fort: Verbrechen werden allerdings in den Wahlverwandtschaften begangen. Daß Eduard aus eigensinniger Laune auf eine Verbindung mit der einst geliebten Charlotte besteht, daß diese, ganz gegen ihre bessere Ueberzeugung, aus Eitelkeit nachgibt, das ist das erste Verbrechen, das begangen wird. Wenn dann die verständige Charlotte den Hauptmann, Eduard die himmlische Ottilie liebt, so folgen sie nur dem Gesetz der Natur, die Ungleiches trennen, Zusammengehörendes verbinden will. Das fühlen Alle und hier tritt der Fall ein, in dem die Trennung einer Ehe, wie ich es nannte, zu einer hohen sittlichen That wird. Aber solche Thaten fordern Muth, fordern ein großes, sittliches Bewußtsein. Dies hat in dem Roman keiner von Allen, die es haben müßten. Von Ottilie ist es nicht zu verlangen; Charlotte hat die Einsicht, aber ängstliche Scheu vor dem Tadel der Welt, vor großem Aufsehen hält sie zurück. Der Hauptmann schweigt aus falschem Stolz, Eduard gibt nach aus kleinlicher Schwäche. Das sind die Verbrechen, die Sünden, welche begangen werden in dem Roman, und das ist es, was alle Betheiligten in die Hände der vergeltenden Nemesis liefert, die hier, wie in der antiken Tragödie, furchtbar waltet.

Ich stimme Dir ganz bei, sagte der Präsident, und habe selbst oft gestrebt, Therese für diese Ansicht zu gewinnen. Ich wüßte kaum eine andere Dichtung, in der diese Idee so rein und vollendet ausgesprochen wäre.

Denken Sie nur, rief Alfred, der sich um so mehr von[77] dem Gegenstand hinreißen ließ, als er sein innerstes Seelenleben so nahe berührte, denken Sie nur, meine Freundin; Ottilie, der sanfte, hingebende Engel selbst, muß das Werkzeug werden zum Tode des Kindes, das aus der verbrecherischen Umarmung der Gatten entsprang. Sie stirbt verzweifelnd, Eduard folgt ihr nach. Charlotte steht einsam zwischen den Gräbern aller Derer, die sie einst liebte, durch diese Gräber für immer von dem Hauptmann getrennt. Ihr wird das schwerste Loos, zur Strafe, weil sie es gewesen ist, welche den Fluch bannen konnte und aus selbstischen Rücksichten das Zauberwort verschwieg.

Ich muß Ihnen in gewissem Sinne beistimmen, sagte Therese, und doch kann ich des Widerwillens gegen diesen Roman nicht Herr werden. Schon auf den ersten Seiten, schon bei dem ersten Schritt in diesen Zauberkreis fühlt man den Athem der Dämonen wehen, die hier walten. Man möchte fliehen, sich losreißen, weil man die Nähe eines furchtbaren Geschickes, die Nähe schwerer Schuld empfindet; aber man ist gebannt durch das allmächtige Wort des Dichters, der uns zu Mitschuldigen macht, weil wir selbst zuletzt Recht und Unrecht kaum noch von einander zu scheiden vermögen. Alle Personen des Romans, Ottilie ausgenommen, sehen die Leidenschaften und die Drangsale hereinbrechen und Jeder überläßt sich in weicher Schwäche der unerlaubten Neigung. Darum nenne ich das Buch unsittlich, darum flößt es mir, ungeachtet all Eurer Erkärungen, ein heimliches Grauen ein, und doppeltes Grauen, weil ich den Sündern nicht zürnen kann, weil ich mich zuletzt, wie sie selbst, willenlos an die Gewalt ihrer Leidenschaft hingebe.

Das gerade ist der Triumph der Wahrheit in der Dichtung, sagte Alfred.

Oder das Verbrechen des Dichters, meinte Therese.

Es ist die Wahrheit des Romans und Goethe's vollendete[78] Kunst in der Technik, die das Werk zu einem Meisterstücke machen. Es beweist für die tiefe Einsicht Goethe's in das Menschenherz, bemerkte der Präsident, daß wir in seinen Romanen niemals den ganz unnatürlichen Engels- oder Teufelsfiguren begegnen, die uns so häufig geboten werden. Wenn dichtende Frauen uns Engelsgestalten vorführen, die unter dem Mantel ewiger Entsagung, nicht Fleisch, nicht Blut, sondern nur einen zarten Teint und eine frische Toilette haben; wenn ihnen jeder Mensch mit heißem Blut und daraus entspringenden Fehlern gleich wie ein Dämon vorkommt, so liegt das in einer an sich sehr schönen Eigenschaft des weiblichen Gemüths, aber mehr noch an gänzlicher Unkenntniß des Menschen und des Lebens. Diese würde ich den Frauen zur Ehre rechnen, falls sie nur nicht schreiben wollten. Daß aber auch Männer uns mit Engeln und Teufeln behelligen, die immer ganz uninteressant sind, weil ihnen die Wahrheit fehlt, das hat mich oft überrascht.

Darin liegt nichts Auffallendes, meinte Alfred; es ist nur ein Zeichen, daß sich auch in der Literatur, wie in allen Künsten, jetzt viel Stümperhaftes findet. Ein schlechter Maler, unfähig selbständig zu schaffen, und eben so unfähig, Das, was er wirklich gesehen hat, treu und schön wiederzugeben, wird aus jedem Portrait eine Caricatur machen, indem er Schönes sowohl als Unschönes übertreibt. Das begegnet in unsern Dichtungen ebenfalls täglich. Das Schlimmste aber scheint mir, wenn das fehlende Interesse an den Gestalten durch die Sonderbarkeit der Begebenheit ersetzt werden soll. Die fabelhaftesten Ereignisse werden aneinander gereiht, mit unnatürlichen Verbrechen, mit Verwirrungen, die ein Wort lösen könnte, stürmt man auf uns ein. Man hetzt uns, da das Reisen Gebrauch ist, durch alle Weltheile, wir müssen mit dem Helden unter den Cedern des Libanon jauchzen, auf Sibiriens Schneefeldern seufzen[79] und haben wir das Alles überwunden, sind wir endlich an das Ziel gelangt, so sind wir nur zu oft herzlich müde und ohne alle innere Anregung, ohne geistige Befriedigung geblieben. Man hat uns ein Märchen erzählt und wir haben die Zeit verloren. Daß Goethe uns in schlichtester Umgebung, in ganz gewöhnlichen Ereignissen das Menschenherz mit seinen Leidenschaften darzulegen weiß, daß er im Gefühl, Wahrheit sei Schönheit und Schönheit bedürfe der Zierrathen nicht, stets ebenso einfach als edel bleibt, das macht seine Dichtungen für alle Zeiten zu einem Vorbilde, das macht ihn zu einem classischen Dichter.

Alfred schwieg nachsinnend, denn obgleich er mit Theilnahme über die Schönheit der Wahlverwandtschaften gesprochen hatte, so war es doch vornehmlich die Tendenz des Buches, die ihn in diesem Augenblick beschäftigte. Er war leidenschaftlich bewegt, seine Freunde fühlten mit ihm und, nachdem man ihm Zeit zu innerer Beruhigung gegönnt, lenkte man die Unterhaltung andern Gegenständen zu und der Abend ging in erheiternden Gesprächen schnell vorüber.[80]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1872, S. 71-81.
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