Abseits

[81] In einer Riesenstadt durchschritt ich jüngst

Die volkbelebteste der großen Straßen.

Und eine Stille kam, und, wunderbar,

In all' dem Schreien, Fluchen, Stoßen, Treiben,

Zog klar vorüber mir ein liebes Bild:

Ganz wie versteckt in Wald und Feld und Heide,

Von großen und von kleinen Städten fern,

Liegt unser Haus, vereinsamt und verloren

In eines alten Gartens stiller Welt.

Die Sonne schien auf kiesbedeckte Wege,

Und in den Bäumen war ein Maienleben.

Du gingst zur Seite mir, und Hand in Hand,

So standen endlich wir am lichten Rande

Der kleinen Hölzung. Vor uns schwieg die Landschaft.

Ein Läuten kam aus unsichtbarer Ferne.

Wie schön es war. Es zogen tiefe Schatten

Um uns, und fröhlich küßte deine Augen

Ein frischer Buchenzweig.[81]

Als Abends dann noch einmal wir durchschritten

Des Parkes Grund, die Nachtigall zu finden,

– Du wolltest ja durchaus sie singen sehen

Wie lehntest halb erschrocken du den Kopf

An meine Schulter, als im Dickicht, plötzlich,

Der Marmorfaun gespenstig auf uns sah.

Und grade hier mit voller Inbrunst schlug,

In einem kaum erblühten Apfelbaum,

Die Liederkönigin. Die schönsten Weisen

Sang klagend sie dem frechen Gotte vor.

Das Glück, der Schnelläufer, hielt Ruhetag

In unsern Herzen, und es zog der Friede

Weit über's Land. Hell leuchteten die Sterne,

Hell über uns in stiller Frühlingsnacht.

Quelle:
Detlev von Liliencron: Adjudantenritte und andere Gedichte, Leipzig 1883, S. 81-82.
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