|
[35] (Am Marien Magdalenentage 1227.)
Der König, der in Banden war
Des Grafen von Schwerin.
Das war der König Waldemar,
Verstäubter Hermelin.
Er sah vom Gitterfenster aus
Nur Schwalbenflug und Fledermaus,
Und sah die Wolken ziehn.
Bis er versprach, das ganze Land,
Wo deutscher Stamm und Kern,
Zurückzugeben in die Hand
Der anerkannten Herrn.
Doch als er los in Lenz und Flur,
Vergißt er bald den Friedenschwur,
Und glaubt an seinen Stern.
Auf Märschen lang und Märschen heiß
Des Königs Helmbusch vorn,
Der nickt und winkt scharlach und weiß
Und grüßt den Güldensporn.
Bis mitt' im Holstenland er hält,
Den Pflock einschlägt für Zaum und Zelt
Im sichelreifen Korn.
Genüber schnitzt sein Widerpart
Den Pfeil sich und den Bolz,
Von Bremen Bischof Gerihardt,
Graf Adolf, Holstenstolz.
Und Lübeck Bürgermeister fuhr
Dem Dänen an die Gurgelschnur,
Daß dem die Seele schmolz.
[36]
Maria Magdalenentag,
Mittsommersonnenschein,
Gelärm auf Schild und Eisendach,
Die Lanzen rasseln drein.
Doch allzuscharf die Sonne sticht
Dem Holstenvolk ins Treugesicht,
Die Reihen werden klein.
Wie Blatt und Zweig im Bachgespül,
So treibt manch blond Gesell.
Graf Adolf nur im Kampfgewühl,
Er treibt nicht von der Stell'.
Und bald aus Bach wird Strom und Schaum,
Nimmt Blumen mit und Ast und Baum,
Wie treibt die Woge schnell!
»Maria Magdalena, hilf,
Dämm' ab die Dänenflut,
Du hebst zerknicktes Rohr und Schilf,
Gieb uns den alten Mut,
Am Himmel zeig' dein Siegpanier,
Auf immer will ich dienen dir
In Hulden treu und gut.«
Der Graf packt fest in Zeug und Riem,
Sieg oder untergehn.
Da sieh! am Himmel zeigt sich ihm
Maria Magdalen,
Und breitet ihren Mantel aus,
Die Sonne zieht ins Wolkenhaus,
Und kühle Winde wehn.
[37]
Hei! flog der Graf ins Schlachtgedräng,
Die Axt durchbricht den Wald,
Um seinen Harnisch im Gemeng
Die Holstentatze krallt.
Und kratzt dem Dänen Bart und Bein,
Und hackt sich ihm ins Fleisch hinein,
Bis blaß er wird und kalt.
Herr Waldemar, der Dänen Schild,
Wie heißes Eisen glüht.
In seinen Augen roth und wild
Die Zornesblume blüht.
»Du Hundegraf, du Hurensohn,
Ich mähe dich wie Wiesenmohn,
Des Königs Lippe sprüht.
Hin, hin auf weisem Friesenhengst,
Schwert klirrt und Panzerkleid,
»Du Frosch, daß in den Schlamm du sänkst,«
Der König schreit es weit.
Der Graf sich wie der Löwe hebt,
Sein Helmbusch wie die Möwe schwebt
Auf Wassern, stoßbereit.
Ein Pantherthier vom Pfeil geritzt,
Der König wütend schlägt.
Herr Adolf ihm im Nacken sitzt,
Den Widerschlag verlegt,
Und stößt den König auf die Knie',
Der betet: »Jesus und Marie!« –
Vom Roß der Graf, bewegt.
[38]
Und hebt ihn auf den Sattel sacht,
Gewonnen ist das Spiel,
Und trägt ihn durch die Sternennacht
Bis auf sein Schloß zu Kiel.
Er löst ihm Kettenhemd und Schien',
Und stellt ihm Rosen und Jasmin
Um seine Wunden viel.
Dann denkt er an Maria rein
Und an sein heißes Flehn.
Er ministrirt am Altarschrein,
Und barfuß muß er gehn.
Als Bettelmönch mit Spottgewinn,
So dankt er seiner Helferin
Marien Magdalen.
Buchempfehlung
Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.
62 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro