|
[78] Christnacht 1717.
Sieben Tage hats gedauert,
Sieben Nächte blieb das Wasser,
Bis der große Länderhasser,
Der stets vor den Deichen lauert,
Sich verlaufen hat, verloren,
Und sein altes Bett erkoren.
Tage, Nächte, düster, dunkel:
Wer wird all die Angst erlösen?
Einsam blinzelt eines bösen,
Giftigen lila Sterns Gefunkel.
Typhon-Orgel, Noah-Lieder,
Gischt, Tumult, Schaum, auf und nieder.
Viele Tausend sind ertrunken,
Unzählbares Vieh gestorben;
Städte, Dörfer sind verdorben,
Sind verspült und sind versunken.
Wo sind Korn und Milch geblieben?
Alles hat der Strom vertrieben.
Ach, die Nächte! Firstverklettert,
Halb verfroren auf den Dächern,[79]
Nackt, im Frost von Nordsturmfächern,
Und im Balkensturz zerschmettert.
Tote Mutter treibt an Küsten,
Hat ihr Kind noch an den Brüsten.
Dort der Greis in seinem Bette,
Das zum Kahn ihm ist geworden,
Das ihn sicher mag umborden,
Fehlt ihm auch die Ankerkette.
Zitternd fleht er hoch zum Himmel
Auf der Fahrt durchs Fischgewimmel.
Schiffe poltern durch die Marschen,
Die sich her vom Meer verirrten,
Sich in Baum und Strauch verwirrten
Und im Sande dann verharschen.
Häusertrümmer, hell in Flammen,
Prasseln chaoswild zusammen.
Über Wind und Hagelstöße:
Welch Geschrei, Gekreisch und Jammern,
Die sich an die Sparren klammern:
Hilfe! Hilfe unsrer Blöße!
Pferdenüstern tauchen, schnaufen
Aus den wüsten Wellentraufen.
[80]
Den Altar der Kirchen klüften
Weit der salzigen See Gewalten:
Reißen Särge weg aus Spalten,
Heben Steine von den Grüften.
Alte Knochen, neue Leichen
Steuern eins im Sintflutzeichen.
Und in einer Morgenröte
Kommt geschwommen eine Wiege,
Und ein Kind im Wogenkriege
Liegt drin selig, ohne Nöte,
Spielt mit seinem Puppenvater,
Neben ihm ein schwarzer Kater.
Endlich ist die Flut verflossen;
Alles eilt nun, um zu landen,
Was noch lebend ist vorhanden,
Was der Schwall noch nicht zergossen.
Und die Liebe, das Erbarmen
Walten bald mit regen Armen.
Jenes Haus, wills grad zerkrachen?
»Heda! lebt hier noch die Sippe?
Keiner mehr an Herd und Krippe?
Wir sind da, euch Mut zu machen!«[81]
Tod und ausgeweinte Tränen –
»Still doch! War das nicht ein Gähnen?«
Aufgeweckt aus tiefen Träumen,
Reckt ein Mädchen ihre Glieder,
Nestelt träg am offnen Mieder,
Mault, als könnt sie nichts versäumen:
Bin ein büschen eingeschlafen,
Nichts zu tun bei meinen Schafen.
Ausgewählte Ausgaben von
Gute Nacht
|
Buchempfehlung
In elf Briefen erzählt Peter Schlemihl die wundersame Geschichte wie er einem Mann begegnet, der ihm für viel Geld seinen Schatten abkauft. Erst als es zu spät ist, bemerkt Peter wie wichtig ihm der nutzlos geglaubte Schatten in der Gesellschaft ist. Er verliert sein Ansehen und seine Liebe trotz seines vielen Geldes. Doch Fortuna wendet sich ihm wieder zu.
56 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro