Krieg und Frieden

[66] Ich stand an eines Gartens Rand

Und schaute in ein herrlich Land,

Das, weit geländet, vor mir blüht,

Wo heiß die Erntesonne glüht.

Und Arm in Arm, es war kein Traum,

Mein Wirt und ich am Apfelbaum,

Wir lauschten einer Nachtigall,

Und Frieden, Frieden überall.

Ein Zug auf fernem Schienendamm

Kam angebraust. Wie zaubersam,

Er brachte frohe Menschen her

Und Güterspende, segenschwer.

Einst sah ich den metallnen Strang

Zerstört, zerrissen meilenlang.

Und wo ich nun in Blumen stund,

War damals wildzerwühlter Grund.


Der Sommermorgen glänzte schön

Wie heute; glitzernd von den Höhn,

»Den ganzen Tag mit Sack und Pack«,

Strömt nieder aus Verhau, Verhack

Zum kühnsten Sturm, ein weißes Meer,

Des Feindes wundervolles Heer.[67]

Ich stützte, wie aus Erz gezeugt,

Mich auf den Säbel, vorgebeugt,

Mit weiten Augen, offnem Mund,

Als starrt' ich in den Höllenschlund.

Nun sind sie da! »Schnellfeuer!« »Steht!«

Wie hoch im Rauch die Fahne weht!

Und Mann an Mann, hinauf, hinab,

Und mancher sinkt in Graus und Grab.

Zu Boden stürz' ich, einer sticht

Und zerrt mich, ich erraff' mich nicht,

Und um mich, vor mir, unter mir

Ein furchtbar Ringen, Gall' und Gier.

Und über unserm wüsten Knaul

Bäumt sich ein scheu gewordner Gaul.

Ich seh' der Vorderhufe Blitz,

Blutfestgetrockneten Sporenritz,

Den Gurt, den angespritzten Kot,

Der aufgeblähten Nüstern Rot.

Und zwischen uns mit Klang und Kling

Platzt der Granate Eisenring:

Ein Drache brüllt, die Erde birst,

Einfällt der Weltenhimmelfirst.

Es ächzt, es stöhnt, und Schutt und Staub

Umhüllen Tod und Lorbeerlaub.


Ich stand an eines Gartens Rand

Und schaute in ein herrlich Land,

Das ausgebreitet vor mir liegt,

Vom Friedensfächer eingewiegt.

Und Arm in Arm, es ist kein Traum,

Mein Wirt und ich am Apfelbaum,

Wir lauschten einer Nachtigall,

Und Rosen, Rosen überall.


Quelle:
Detlev von Liliencron: Der Haidegänger und andere Gedichte, Leipzig 1890, S. 66-68.
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Gedichte

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Wenige Wochen vor seinem Tode äußerte Stramm in einem Brief an seinen Verleger Herwarth Walden die Absicht, seine Gedichte aus der Kriegszeit zu sammeln und ihnen den Titel »Tropfblut« zu geben. Walden nutzte diesen Titel dann jedoch für eine Nachlaßausgabe, die nach anderen Kriterien zusammengestellt wurde. – Hier sind, dem ursprünglichen Plan folgend, unter dem Titel »Tropfblut« die zwischen November 1914 und April 1915 entstandenen Gedichte in der Reihenfolge, in der sie 1915 in Waldens Zeitschrift »Der Sturm« erschienen sind, versammelt. Der Ausgabe beigegeben sind die Gedichte »Die Menscheit« und »Weltwehe«, so wie die Sammlung »Du. Liebesgedichte«, die bereits vor Stramms Kriegsteilnahme in »Der Sturm« veröffentlicht wurden.

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