19.

[10] O stumm ist die Ferne, da dringt

Kein Gruß mehr ans sehnende Herz,

Und kein Gedanke bezwingt

Den tödlichen Schmerz.


Kein Händedrücken, kein Wort

Scheucht vor dem harten Geschick

Die Sorgen, das Bangen mehr fort,

Kein Lächeln, kein Blick! –
[10]

Es dämmert, es neigt sich der Tag,

Der Glanz in den Wolken erblich.

Wer wär' jetzt, o Liebliche, sag,

Wer wär' jetzt um dich?


Wer böte dir jetzt den Arm

Und hieße dich tausendmal sein

Und wiegte dann innig und warm

In Schlummer dich ein?


Und wer, seines Glückes bewußt,

Wer böte, beseligt wie du,

Dir seine hochklopfende Brust

Als Kissen dazu?


Gedenkst du noch sein, mein Kind,

Des Ärmsten, der jetzt allein

Hinstürmt in Wetter und Wind,

Gedenkst du noch mein?

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 10-11.
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