Geiserich's Abzug von Rom

[227] Als nun mit ungeheuern Beutelasten

Die Flott' ins Meer ging durch den Tiberstrom,

Daß alle Schiffe kaum den Reichtum faßten

Und wie verwaist schien und erstorben Rom,

Da standen Marmorgötter an die Masten

Gebunden, Zierden sonst im Tempeldom,

Erzbilder, weggeführt aus heil'gen Nischen,

Sahn unter sich den Schaum der Woge zischen.
[227]

Gelagert in der Segel langen Schatten,

Bestaunten Krieger, was vom Capitol,

Was in den Villen sie geplündert hatten.

Gefiel sein Römerschwert dem Einen wohl,

So pries ein Andrer schwere Silberplatten,

Kunstwerke von Rubin und Karneol;

Armspangen, Ringe, goldner Ketten Splitter

Entschüttelte aus seinem Helm ein Dritter.


Und Vasen, Münzen, Leuchter, Gürtelbänder,

Trophä'n aus jedem Sieg, den Rom erfocht,

Pupurne Teppiche und Kriegsgewänder,

Dran wohl noch jüngst ein tapfres Herz gepocht,

Dies alles mit den Schätzen fernster Länder

Lag da in großen Ballen aufgejocht;

Daneben saßen stumm in Gram verloren

Gefangne Ritter, Frauen, Senatoren.


Oft, wenn ein Schiff sich um das andre wandte,

Erhob sich an den Borden Haupt um Haupt.

Hier rief ein Freund dem Freunde; Küsse sandte

Der lieben Tochter, die man ihr geraubt,

Dort eine Mutter zu; ein Sohn erkannte

Den Vater wieder, den er tot geglaubt;

Ein kurzer Augenblick voll Lust und Leiden

Vereinte Wiedersehn und neues Scheiden.


Wo ist nun euer Gott, der Weltenlenker?

Rief ein gefangner Römer, sprich du dort,

Du Mann des Kreuzes, sag mir, grauer Denker:

Bekämpfst du heute noch mein Zweifelwort?

Doch ja, dein Gott vergab ja seinem Henker,

Erlösend, sagst du, wirkt sein Leiden fort.

Nur – wenn vom Druck nicht, der uns jetzt betroffen,

Von welchem sollen wir Erlösung hoffen?
[228]

Der Herr erlöst uns aus der Haft der Sünden,

Aus keiner sonst, entgegnet ihm der Christ;

Doch statt den Grund des Bösen zu ergründen

Und wie der Schmerz der Sünde Sold nur ist,

Laß mich von jenem Bischof dir verkünden,

Den du im bleichen Schwarm dort walten siehst,

Wie nimmer müd' er sich zu allen wendet,

Verlassnen Trost, Arznei Erkrankten spendet.


Als einer Witwe einz'ger Sohn gefangen

An Bord geführt ward von der Sieger Hand,

Und Kind und Mutter weinend sich umschlangen,

Und tatlos klagend rings die Menge stand:

Da trat er vor, der Priester ohne Bangen,

Und sprach, zur beutegier'gen Schar gewandt:

Wollt ihr zur Arbeit einen Sklaven haben,

Nehmt mich, den Mann, statt dieses zarten Knaben!


Und als der Führer ihm erstaunt die Bitte

Gewährt, da streift er ab den Kreuztalar,

Und bietet, nicht, als ob er Schmerz erlitte,

Nein, lächelnd seinen Arm der Fessel dar,

Und hoch die reine Stirn, mit festem Schritte

Das Schiff betritt er in der Sklaven Schar.

Sprich Zweifler nun, wen so ein Gott begeistert,

Ob dessen Herz ein Übel noch bemeistert?


Der Alte schwieg und sah vertief vom Rande

Des Schiffs, wie Schaum an Schaum vorüberfloß.

Da trat zu ihm ein Sohn der Morgenlande

Und sprach: Jehovah nur, der Herr, ist groß.

Was Titus einst geraubt im Tempelbrande,

Sieh jene goldnen Leuchter Salomos!

Jetzt führt sie jener König aus dem Norden

Hinweg, vor welchem Rom ein Spott geworden.
[229]

Doch diesem auch, und mag er noch so prächtig

Am hohen Seestrand thronen, einmal naht

Auch ihm die Wolke schwarz und mitternächtig,

Und tilgt vom fremden Boden fremde Saat.

Kein Reich wird durch erdrückte Völker mächtig,

Vergeltung zeugt sich jede Freveltat.

Wie viele Völker waren Zions Hasser

Und sind dahin wie Schaum auf diesem Wasser?


Am Steuer saß, umringt von erznen Streitern,

Karthago's Fürst. Jetzt winkt' er und befahl,

Mit Liedern, die ein banges Herz erweitern,

Mit Feuerwein und reichbesetztem Mahl

Die Seelen der Gefangnen zu erheitern.

Auch mir, so rief er, füllt den Festpokal!

Wer weiß von morgen! Weil wir's heute dürfen,

Laßt uns des Sieges froh Falerner schlürfen!


Der König rief's. Und bald in freudevollster

Bewegung war das Schiff; manch brauner Schlauch

Ward hergeschleppt, man legte Purpurpolster

Um Marmortisch' und Bretter schwarz von Rauch,

Und Heil'ges und Profanes ward in tollster

Vermischung nun verwandt zum Trinkgebrauch,

Vom Weine troff beim wilden Bacchanale

Der Kelch des Nachtmahls wie die Opferschale.


Doch als allmählich sich in Abendferne

Die letzte Küste dämmernder verlor,

Da kamen nicht wie sonst die goldnen Sterne,

Da stieg vom Norden schwarz Gewölk empor.

Von jedem Maste nun, als flücht' es gerne,

Bog ängstlich sich das weiße Segel vor;

An jedes Kiels umerzter Eichenwandung

Zischt' höher schon und rauschender die Brandung.
[230]

Laut sausend kommt der Sturm; da bäumt mit Grollen

Die Woge sich, eisgrün emporgeschwellt.

Die schaumgekrönten Flutgebirge rollen,

Von blauen Flammen schrecklich nun erhellt,

Nun wieder zugedeckt von schauervollen

Verfinstrungen, die der Orkan durchgellt.

Bald irrt nach allen Winden die zerstreute

Vandalenflotte mit der Römerbeute.


An Bord des Schiffs, auf welchem in Verbannung

Von Götterbildern ein Olymp entflog,

Trotzt' heldenkühn im Sturme die Bemannung.

So oft ein Windstoß tief die Masten bog,

So oft das Segel in der höchsten Spannung

Das Schiff fast mit sich in die Wogen zog,

Erhoben sie, das Element zu höhnen,

Ein lachend Lied in lauten Jubeltönen.


Doch wie nun Blitz um Blitz mit grellen Strahlen

Die Götterbilder flammend übergoß,

Erschienen wie belebt die kolossalen

Metallnen Glieder bleich und riesengroß.

Zu drohen schien ihr Antlitz den Vandalen,

Ein Zürnen wie erzürnter Geister schoß

Aus ihrem starren Blick und ließ hingegen

Erstarrung auf die Lebenden sich legen.


Ein Bild Neptuns stand zwischen Eichenkloben

Aufrecht gebunden an den Vordermast.

Wenn nun das Schiff vom Sturm emporgehoben

Hoch in die Wellen sprang mit seiner Last,

Erschien der Meergott wie in Wolken oben,

Den goldnen Dreizack hielt sein Arm gefaßt,

Und neben ihm, der finster niederdrohte,

Stand furchtbar Hermes da, der Götterbote.
[231]

Ein Steuermann rief aus: Gewiß beschwören

Den Sturm uns diese fremden Götzen nur;

Denn ihrer dunkeln Höllenmacht gehören

Noch stets die blinden Kräfte der Natur.

Wohlauf denn, Brüder, laßt uns sie zerstören,

Eh' das Verderben auf uns niederfuhr!

Kein Zaudern mehr! Ergreift die Waffen schnelle!

Zerschlagt und werft sie stückweis in die Welle!


Er ruft's, und Jene folgen ihm. Durchs Heulen

Des Sturmes brüllt ihr Kampfruf in die Nacht.

Mit Äxten, Schwertern, ries'gen Eisenkeulen

Beginnen sie die unerhörte Schlacht.

Schon trümmern Glieder von den Göttersäulen,

Da fährt der Blitz ins Schiff. Der Mast zerkracht,

Bordüber schlägt die Flut, entführt das Steuer,

Und durch die Taue prasselnd saust das Feuer.


So gegen Götter mit den halbverbrannten,

Halbnackten Leibern gleicht ihr Kampf dem Drohn

Der alten Himmelsstürmer und Giganten,

Wie sie mit Zeus im Zwist vom Pelion

Machtlose Schwerter gegen Blitze wandten.

Und so ihr Tod: die nächste Sturzflut schon

Begräbt mit donnerähnlichem Gedröhne

Ins Meer die nordischen Titanensöhne.

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 227-232.
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