In Palermo's Dom

[252] Orgelklang und Gesang durchwogen

Den Dom und seine Säulenpracht,

Die hohe Wölbung und der Apsis Bogen;

Vom Meer her rollt gewitterschwer die Nacht.


Durch bunte Fenster, dämmerhell, nach innen

Dringt noch ein letzter Sonnenschein

Und strahlt auf Gold und Edelstein,

Auf Heil'genbild und schöne Beterinnen.


Ihr Töne wogt so fromm und ernst dahin!

Ich seh' mit euch aus längst verklungnen Tagen[252]

Zum säulengetragenen Baldachin

Heranziehn geistbeschwingte Scharen

Und an den Grüften niederknien.


Hie ruhen sie, die auf Siziliens Thron

Den Königsgoldreif um die Stirn getragen,

Den stets im Kampf errungnen Siegeslohn,

Hier ruhen sie in Porphyrsarkophagen.


In Frieden ruht hier Roger, der Normanne,

Und Kaiser Heinrich und nach langem Streit

Sein großer Sohn, die Sonne jener Zeit,

Der noch im Tode ringend mit dem Banne,

Der Tücke seiner Feinde nur erlag –

Behütet, Löwen, seinen Sarkophag!


Wo bei des Doriers Bau das rasche Zelt

Der Punier band und über beider Fall

Der Römer trat und eine Welt

Von Prunk und Stolz umspann die Völker all',

Wo nahend mit dem sturmerprobten Schiff

Der Normann kühn vom Land Besitz ergriff,

Da hält nun Hof in niegeseh'ner Pracht

In höchstem Glanz des deutschen Kaisers Macht.

Ihm huldigt Meer und Berggebiet,

Der Normann weicht, der Sarazene kniet,

Und unter Dornen schmückt, lorbeerumlaubt,

Die Krone von Jerusalem sein Haupt.


O wie viel Glanz und Größe ruht verschlossen

Im Sarg mit ihm, welch minnefroher Stunden

Erinnerung – und welcher Wunden!

Wie viele Tränen wurden da vergossen,

Als Kron' um Krone, Macht um Macht zerfiel,

Als Haupt um Haupt dahinsank! O wie viel[253]

Der herbsten Tränen vor dem Leichentuch

Geweint von holden Frau'n in Klaggewanden!

Wie mancher Haß ist und wie mancher Fluch

Hier, knirschend ins Gebet, vor Gott gestanden!

Wie manches Wort, das nur von Rache sprach,

So dunkel, schwer und wie in Blut getaucht!

Wie mancher Seufzer übers Meer gehaucht,

Der klagend sich an diesen Mauern brach!


Ein letztes Echo, bis auch dies verhallt,

Wenn hie und da ein Pilger noch vom Norden

Zur Gruft der Hohenstaufen wallt

Und fragt: Was ist aus deinem Reich geworden?


Es blitzt – erschütternd folgt ein Donnerschlag –

Behütet, Löwen, seinen Sarkophag!

Und Blitz auf Blitz. Da, an den Kirchenwänden,

Hineingeschrieben wie von Geisterhänden,

Zeigt in Arabiens Schrift sich Spruch an Spruch

Und, wie von Rosen süßer Wohlgeruch,

So strömt von diesen Zeichen ein Arom

Der weisheitsreichen Dichtung durch den Dom!

»Schlaft wohl in heil'gem Schweigen, bis auf Erden

Beim Schalle der Posaunen zum Gericht

Die Toten ihrer Gruft entsteigen werden!

Denn der geschieden hat von Nacht das Licht

Und ließ aus Nichts hervor die Schöpfung gehen,

Läßt auch vom Staube wieder auferstehen.« –

Behütet bis zu jenem letzten Tag,

Behütet, Löwen, seinen Sarkophag!

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 252-254.
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