Sonnenuntergang am See

[52] Wie vor Jahren blick' ich wieder

Auf die braunen Wogen nieder,

Wie sie brandend mich umsprühn.

Immer seid ihr noch die gleichen,

An die Wolken wollt ihr reichen,

Felsen stürmt ihr – eitles Mühn!

Ach, in eurem Bild zerstieben

Schau' ich eignes Hoffen, Streben, Lieben!


Auf ihr Purpurkissen sinket

Müd die Sonne, goldhell blinket

Durch die Wolken noch ihr Licht.[52]

Einen Gruß noch ihren Wogen

Winkt sie, schon hinabgezogen,

Und die Dunkelheit umflicht

Ihre königliche Stirne, – stummer

Wird die Welt und sinkt mit ihr in Schlummer.

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 52-53.
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