Attilas Schwert

[156] Unterm Eichbaum auf der Heide

Liegt ein Riesenschwert uralt;

Oft in seiner dunklen Scheide

Zuckt es durch den Felsenspalt.


Heimlich warten Gnom und Elfe

Wachsam bei dem großen Schatz,

Aber Eber nur und Wölfe

Wissen den gefeiten Platz.


Endlich finden's Hunnenkrieger,

Attila empfängt den Hort,

Und er ruft: »Als Weltbesieger

Grüßt mich hier ein Götterwort.«


Spricht's und schwingt das Schwert der Ahnen

Wie zum Wurf nach West empor;

Allen Hunnen und Alanen

Schien es wie ein Meteor.


Hoher Widerschein am Himmel

Dehnt sich wie Kometenglanz;

Durch die Luft ein Schlachtgetümmel

Hört der Kaiser in Byzanz.
[156]

Hört's und ruft den Astrologen,

Der ihm nun, wie alles schweigt,

Auf des Bospors dunklen Wogen

Schwanke blasse Sterne zeigt:


»Kaiser, Gott und Götter schlafen,

Deine großen Feinde nahn;

Mische Gift und opfre Sklaven,

Taten hast du nie getan!«

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 156-157.
Lizenz:
Kategorien: