Das zehende Buch.

[263] Der Graf von Rivera hatte noch nicht viel über vierzehen Meilen zurück geleget, als er den Tag nach seiner Abreise auf ein Dorf kam, wo die Post wechselte. Es war allda Kirchweih. Der Graf hatte ein kleines Mittagmahl bestellet, und gieng mittlerweile, daß darzu die Anstalten gemacht wurden, mit seinem Reise-Gefehrden nach der Wiesen, wo die junge Bauern und Bäuerinnen ihren Reyhen tanzeten. Sie hatten Kränze auf den Häuptern, und hüpften mit so natürlichen Sprüngen und Bewegungen um den Dudelsack, und ein paar kreischende Feld-Schalmayen herum, daß der Graf solches mit Vergnügen ansah; ein paar Ducaten, die er einem alten Greisen in den Hut warf, um dieses Fest damit zu verherrlichen, machten, daß man ihm den ersten Platz einräumte, und ihn mit Verwunderung betrachtete; denn das Gold war an dasigem Ort keine gar bekante Münze.

Der Graf kam mit dem Herrn von Greenhielm nicht weit von zwey Frauenzimmern zu stehen. Ihre vortreffliche Gestalt und ungemein nette Kleidung machte, daß er sie näher betrachtete; sie verbargen aber ihre Gesichter mit ihren Fächern, weil sie in der Sonne stunden:[264] der Graf warf insonderheit seine Augen auf die jüngste: er hatte nie einen niedlichem Aufputz gesehen: ein kleiner Hut von schwarzem Sammet, mit einem weissen Federbusch bedeckte das mit langen Haarlocken gezierte Haupt: ein von Lichtblauen Sammet, über den Leib dicht-angeschlossenes Kleid, reichte bis unter die Hüften, worunter ein von blaß-Rosenfarb mit silbernen Zügen und Bendelwerk gestickter Rock sich zeigte, welcher nicht so gar lang war, daß er nicht zugleich den schönsten Fuß hätte sehen lassen.

Alles dieses fiel dem Grafen mit solcher Verwunderung in die Augen, daß er sich nicht entbrechen konte, dieser Person sich zu nähern. Sie hatte ihn aber kaum erblicket, so that sie einen lauten Schrey, verlohr auf einmahl ihre Farbe, und sank der andern Dame, die neben ihr stund, in die Arme.

Dieses verursachte unter dem Volk ein schnelles Zusammenlauffen: man trug sie mehr, als man sie führte; und brachte sie in ein nah-gelegenes Haus. Der Graf drang mit dem Volk dahin. Ein Jäger stellte sich vor die Thür und wolte niemand einlassen: der Graf aber, welchen ein verborgener Trieb aufgebracht hatte, fragte ihn nicht lang: er faßte ihn bey dem Arm und schlenkerte ihn so hurtig von seinem Posten weg, daß dieser nicht wuste, wie ihm geschah. Er kam damit in das Zimmer, wo diese Schöne der andern Dame im Schoose lag: wie groß war nicht dessen Bestürzung, als er hier die Gräfin von[265] Monteras und Asmenien erkannte. Der Hut war der Gräfin abgefallen: ihre Haare hiengen in einer natürlichen Unordnung um ihr erblaßtes Angesicht: Die Brust war etwas mehr als sonst entblöset: Niemahls hat man etwas reitzendres, niemahls etwas schöners gesehen: der Graf war für Entzückung ausser sich: er lag zu ihren Füssen, und hatte sie an ihre beyde Hände gefasset: auf welche sein Mund alle Leidenschaft, die er empfand, abzudrucken schien. Die Gräfin kam darauf wieder zu sich selber: ihre halb-gebrochene Augen öffneten sich. Ach, Herr Graf! sagte sie mit einer schwächlichen Stimme, warum kommen sie an diesen Ort? Ich meynte sie nimmer wieder zu sehen.

Gnädige Gräfin, gab der Graf zur Antwort, ein unerforschliches Schicksal, und nicht einiger Vorsatz, führet mich hieher, um ihnen, vor meiner Abreis aus diesem Königreich, noch diejenige Ergebenheit zu bezeigen, damit ich dieselbe unendlich verehre. Wie, Herr Graf! versetzte die Gräfin, voller Verwunderung, wie schicket sich denn diese Reise für einen Verlobten der Herzogin von Salona? Ich! antwortete der Graf, ich ein Verlobter der Herzogin von Salona? wer hat Ew. Gnaden dieses Gedichte vorgesagt? die Gräfin antwortete: Mein Oheim der Herzog von Sandilien; welcher mich zugleich versichert, der Herr Graf würden nach geendigtem Feldzug ohnfehlbar mit dieser Herzogin sich vermählen. Der Graf betheuerte ihr, daß er[266] von keiner Verbindung, weder mit der Herzogin von Salona, noch mit einer andern, etwas wisse; und daß es ihn wunder nehme, wie die Gräfin nicht besser von den Neuigkeiten des Hofes unterrichtet wär. Die Herzogin von Salona seye mit einem Alemannischen Prinzen versprochen: ihn selbst aber hinderte eine grausame Pflicht, ihr von dem Zustand seines Herzens nähere Nachricht zu geben.

Der Graf hatte seine meiste Leute mit dem Gepäck voraus geschicket; sein bey sich habendes Gefolg bestund nur aus einigen Leib-Dienern: bey diesen erkundigte sich das neugierige Volk nach ihrem Herrn: der Graf aber hatte ihnen bereits verbotten, daß sie ihn nicht solten zu erkennen geben.

Weil es Mittag war, wolte das Land-Volk gern ihre Gräfin speisen sehen. Jung und Alt hatten sich darauf gefreuet: man verehrte sie wegen ihrer Leutseligkeit in der ganzen Gegend, nicht weniger als die Heyden eine ihrer Gottheiten. Der Graf und die Gräfin hatten sich einander so viel zu erzehlen, daß sie nicht so bald sich wieder trennen wolten; sie giengen deswegen zusammen in dasjenige Haus, wo man für die Gräfin das Mittagmahl bereitet hatte. Die junge Baurendirnen lieffen mit ihren Eltern neben her. Ach, was ein schöner Herr! ach, was ein schönes Paar! hörte man sie von allen Seiten ausrufen.[267]

Es war für die beyde frembde Herren mit aufgedeckt. Der Herr Caplan und ein Beamter hatten die Ehre, die Gräfin an der Tafel zu bedienen. Diese sowohl, als der Graf, konten ihre Neigungen vor so vielen Augen, die auf sie gerichtet waren, kaum verbergen: sie waren allzuvergnügt beysammen zu seyn: ihre Blicke sagten sich solches einander mit einer ungemeinen Lebhaftigkeit. Der Caplan, der ein starker wohl ausgemästeter Bruder war, und dem die Wollust aus seinem dicken rothen Kopf mehr als die Geistlichkeit leuchtete, beobachtete diese geheime Verständniß: er bekümmerte sich deswegen am meisten zu erforschen, wer dieser vornehme Herr wär. Er erfuhr aber weiter nichts, als daß er ein Befreundter von der Gräfin sey.

Die Dorf-Music mit ihrem Dudelsack ließ sich darauf vor dem Hause hören: man stund von der Tafel auf: die vergnügte Bauern-Jugend schloß wieder ihren Reyhen, und sang darunter mit Freuden ihre unschuldige Hirten-Lieder.

Während dieser Kurzweil bezeigte der Graf ein grosses Verlangen von der Gräfin zu vernehmen, wie es ihr seit der Zeit ergangen wär, als er sie zum letztenmahl in Prato gesehen hätte; und was sie bewegte, so einsam in dieser Gegend auf einem abgelegenen Meyer-Hof ihr Leben zuzubringen. Die Gräfin hatte gleiche Begierde auch des Grafens Begebenheiten zu wissen: sie erzehlten sich solche einander; der[268] Graf vergaß nicht, einige Umstände mit in seine Erzehlung zu setzen, daraus die Gräfin die Beständigkeit seiner Liebe urtheilen konte; die Gräfin aber hielt ihre Schamhaftigkeit zurück, dem Grafen alles dasjenige zu entdecken, was sie bisher seinetwegen gelitten hatte: Asmenie nahm deswegen hier das Wort.

Nachdem meine Gräfin, begunte dieselbe ihre Erzehlung, von ihrer Krankheit wieder so gut als genesen war, und nur verlangte wieder zu ihrer Frau Mutter nach Prato zu gehen; so brachte ihr der Herzog von Sandilien die Nachricht, daß zwischen dem Herrn Grafen und der Herzogin von Salona eine Heyrath im Vorschlag wär, damit dem König die auf sie geworfene Eifersucht aus dem Sinn mögte gebracht werden.

Wir hörten kurz darauf von eben demselben, daß diese Heyrath so gut als richtig sey. Meine Gräfin könte darüber ihre Empfindung nicht bergen: sie liebet den Herrn Grafen auf eine Art, daß ich solches ihre einzige Schwachheit nennen müste, wenn dieselbe einer so ausnehmenden Hochachtung weniger würdig wären. Sie suchte nichts destoweniger in dieser Neigung sich zu überwinden, und den Herrn Grafen aus ihren Gedanken zu schlagen. Die Liebe des Königs dünkte ihr eine würdige Rache zu schenken: sie stellte sich solche mit allen denen Annehmlichkeiten vor Augen, welche sie begleiteten, und die so leicht ein junges und hochmüthiges Herz zu rühren fähig sind.[269]

Die zarte Regungen, die sonst ihr Gemüth mit Huld und Güte durchdrangen, verwandelten sich bey ihr in eine stolze Heftigkeit. Sie fand in ihrer vermeinten Verachtung gegen den Herrn Grafen etwas edelmüthiges und grosses. Wohlan! leichtsinniger Graf, sprach sie, kostet es ihn so wenig, sein Herz einer andern zu schenken, so soll das meinige nicht niederträchtiger seyn. Ich will dem König Gehör geben, er ist meiner um so viel würdiger, weil er mich liebet.

In dieser Entschliessung kam sie zu dem Herzogen: sie wolte ihm die hurtige Veränderung ihres Gemüths entdecken; allein die Liebe lachte über dieses Vorhaben. Die Gräfin wuste nicht, daß sie nur deswegen so sehr aufgebracht war, weil sie von einer starken Leidenschaft beherrschet wurde; diese hatte allein das Feuer in ihrer Brust entzündet: Der Eifer war zu groß für ein Herz, das sich von der Liebe frey machen wolte.

Der Herzog vermerkte ihre Unruh: wenn werd ich euch, liebste Base, sagte er zu ihr, wieder ruhig sehen? wo ist das muntere und vergnügte Wesen, das euch ehedem belebet hat? Ach! lasset euch doch einreden; vergesset den Grafen von Rivera; ihr verdienet noch wohl einen beständigen Liebhaber. Ich, gnädiger Herr! antworte sie ihm, mit einer verächtlichen Mine, ich solte mich noch um den Grafen von Rivera bekümmern, nachdem er sich entschlossen[270] hat, die Herzogin von Salona zu heyrathen? Nein, fürwahr. Sie haben auch gar zu geringe Meynungen von mir. Wohlan! erwiederte der Herzog, so wird es euch also nicht ferner mehr schwer ankommen, den König zu lieben? Die Gräfin erröthete auf diese Worte: ihr ganzes Vorhaben verschwand mit einmahl, da der Herzog eine solche Erklärung von ihr verlangte: sie war verwirrt und wuste nicht, was sie sagen solte: allein der Herzog entwickelte leicht ihr ganzes Geheimniß. Gehet, sagt er, meine Tochter, ihr habt für den Grafen von Rivera noch keine solche Verachtung, wie ihr euch einbildet: ihr würdet sonst nicht so sehr den König fürchten, der euch die Ehr anthut euch zu lieben; mittlerweile, daß der Graf so wenig nach euch fraget.

Diese letzte Worte schnitten meiner Gräfin durchs Herz. Die Schönen in der Welt sind nicht darzu gebohren, daß sie sich können verachtet sehen; und wenn sie einem alles verzeihen, so übersteiget ihre gröste Gütigkeit doch niemahls die Beleidigung einer verschmäheten Liebe. Die Augen der holdseligen Gräfin wurden von einem fremden Feuer entzündet: Die Wangen durchlief ein wallendes Blut, welches ihr ganzes Gesicht mit Purpur färbte: sie schämte sich vor ihrem Oheim, daß er ihr so niederträchtige Empfindungen vorhielt: sie wolte lieber aus Grosmuth ehrsüchtig, als aus Liebe schwach scheinen: Sie versicherte deswegen ihren Oheim mit einem stolzen Eifer, daß wenn[271] sie so leicht den König lieben, als den Grafen von Rivera vergessen könte, so würde sie den Absichten, die man mit ihr hätte, ferner nicht widerstreben.

Nach diesem Gespräch begab sich die Gräfin in ihr Zimmer: die zurückgehaltene Bewegung der stärksten Leidenschaften, brach hier auf einmahl aus: das Herze war davon ganz beklemmt, die Augen öfneten also ihre verborgene Quellen, und stürzten die Schmerzen ihres Gemüths in einen Bach von Thränen aus: sie weinte heftig. Glückselige Thränen, die den sonst nicht erträglichen Kummer zertheilen, und der bedrängten Brust Luft und Erleichterung verschaffen.

Das Gemüth der Gräfin gerieth auf die Vergiessung so vieler Zähren in eine sanfte Stille. Die Traurigkeit wurde bey ihr an statt des vorempfundenen Leidens, ein mit Ruh und Schwermüthigkeit vermengter Zustand: sie suchte die Einsamkeit: alle Menschen waren ihr zuwider: kaum daß sie mich noch um sich leiden mogte.

Asmenie! sagte sie zu mir, ich bin der Welt müde: liebt ihr mich ein wenig, so redet mir von nichts anders, als wie man sich von ihr absondern, und sie verachten soll. Wir wollen wieder nach Prato gehen, und daselbst uns dem[272] Umgang aller Menschen entziehen. Wir wollen uns den Sommer über auf unsern nah-gelegenen Meyer-Hof begeben, und uns daselbst von den peinlichen Eitelkeiten des Hofs zu befreyen suchen. Wir wollen unser süsses Sayten-Spiel bald in den Waldern erklingen lassen, bald unsre Stimmen mit dem hellen Laut der singenden Vögel vermengen. Bald sollen uns die junge Hirtinnen ihre Reyhen tanzen, und die Hirten darzu ihre Flöten spielen: wir wollen zuweilen den grossen Teich, dessen breiter Canal bis nach Prato leitet, mit einem kleinen Kahn beschiffen, und den gestrickten Hahmen in den Grund senken, um Fische zu fangen; zuweilen wollen wir uns auf einen leichten Wagen von zween Rädern setzen, und damit die Wälder und Auen durchfahren. Vor allen Dingen wollen wir gute Bücher mitnehmen, und uns bald mit anmuthigen Geschichten, bald mit guten Lehren unterhalten; der Welt ihre Thorheiten aber von weitem belachen.

Ich ließ meine Gräfin diese sie vergnügende Fantasien ruhig entwerfen: ich war froh, daß sie etwas gefunden hatte, damit sie ihr Gemüth ein wenig beruhigen konte. Ich setzte selbst noch einige anmuthige Bilder mit in den süß-gemachten Entwurf dieser uns vorgenommenen neuen Lebens-Art; worunter ich auch den Scherz mit einmengte, daß wir gleichwohl eine gewisse Verfassung machen müsten, wenn ungefehr ein Cavalier, wie der Graf von Rivera, in unseren einsamen Gefildern sich verirren mögte,[273] wie wir denselben empfangen wolten; denn, fügte ich hinzu, da wir das alte Arcadien, bey unserm Land-Leben wieder einführen wollen, so könte uns auch leicht der Possen wiederfahren, daß ein getreuer Schäfer bey uns sich einschleichen, und das zarte Herz meiner schönen Gräfin in neue Gefahr setzen mögte.

Sie versicherte mich, daß sie dieses am wenigsten zu fürchten hätte, weil sie nimmermehr von einer so unglückseligen Neigung, wie die Liebe wär, sich wieder einnehmen lassen würde. Wie werden wir aber von Panopolis wegkommen, fragte ich sie weiter? Meine anhaltende Unpäßlichkeit, sagte sie, wird mir zu einem hinlänglichen Vorwand dienen, wieder nach Prato zurückzukehren. Meine Frau Mutter wird mir sodann leicht vergönnen, mich von da nach unserem Meyer-Hof zu begeben, um dadurch sowohl den Zuspruch des Königs, als seiner Höflinge zu vermeiden.

Die Gräfin eröffnete darauf dieses Vorhaben dem Herzogen: er willigte ungerne darein, sie wieder von sich zu lassen; denn er liebete sie sehr; sie wuste ihm aber solche Vorstellungen zu machen, und sich dabey so muthlos zu gebehrden, daß er sie endlich wegreisen ließ. Er hat uns seit dem öfters in unsrer Einsamkeit besucht, und seiner Basen, da er gesehen, daß ihre Gesundheit sich hergestellet hatte, des Königs halber sehr angelegen; allein, sie bat ihn beständig, ihre Ruhe nicht zu stöhren, und stellte ihm dabey[274] vor, daß ihre Gemüths-Art, sich zu nichts weniger als zu einer Königin schickte. Der Herzog sah wohl, daß dieses nur blosse Ausflüchte waren; er muste sich aber damit abweisen lassen. Je hochmüthiger sich hierbey ihr Herz gegen den König erklärte; desto gütiger war solches, wenn sie des Herrn Grafens sich erinnerte. Dieses geschah so oft, daß ich öfters darüber mit ihr scherzte: sie sprach von nichts lieber, sie erkundigte sich um alles, was man von ihnen sagte, und was ihnen begegnete.

Wir erhielten einsmahl die Nachricht, daß sie bey dem letzten Haupt-Treffen in grosser Lebens-Gefahr gewesen wären: wir lasen solches in den gedruckten Zeitungen. Dieses setzte die Zärtlichkeit meiner Gräfin in ungemeine Bewegung. Ach! seufzete sie, wenn nun der Graf geblieben wär, würde ich mir die Schuld davon nicht beyzumessen haben? er wär nimmermehr solcher Gefahr ausgestellt worden, wenn des Königs Eifersucht ihn nicht suchte aus dem Weg zu räumen. Ach, unglücklicher Graf! fügte sie hinzu, hätte ich ihn doch nie geliebet.

Als sie nun bey ihrer Zurückkunft die Nachricht erhielt, daß sie an die Herzogin von Salona sich würden trauen lassen, so hatte sie wieder eine andere Art von Bekümmerniß; und allem Ansehen nach wird das Vergnügen, welches sie jetzo empfindet, den Herrn Grafen noch frey zu wissen, sie doch nicht völlig beruhigen.[275]

Die Gräfin und der Herr von Greenhielm gesellten sich darauf wieder zu dem Grafen: dieser hätte gern die Gräfin bis auf ihren Meyer-Hof begleitet; allein die Umstände wolten es nicht erlauben. Er gieng deswegen mit ihr und Asmenien nur bis ein Stückwegs vor den Flecken: die Luft war nach der damahligen Zeit schon ziemlich rauh: diese beyde Damen aber waren derselben nicht mehr so entwöhnet, als das Frauenzimmer in den Städten. Der Graf und die Gräfin konten sich einander bey dieser Gelegenheit ihre Regungen nicht bergen. O, wie beredt waren hier ihre Augen! wie schön schmeichelte die Liebe! wie schmerzte der Abschied! wie grausam schien ihnen der Zwang, damit sie sich verstellen musten! der Graf küßte darauf der Gräfin die Hand, und brachte sie auf ihre Gutsche: sie hatte die Augen voll Thränen, und in dieser mehr als zärtlichen Bewegung schieden sie von einander.

Der Graf war unterwegs immer in tiefen Gedanken: der Herr von Greenhielm scherzte darüber mit ihm. Der Graf bekante ihm seine Empfindlichkeit: er hielt dafür, daß wir Menschen über die Regungen unseres Herzens nicht Meister wären: doch müste die Tugend und die Redlichkeit allen unordentlichen Ausschweiffungen Maaß und Ziel setzen.

Endlich kamen diese beyde Herren nach Toscana, allwo sie unter den zärtlichsten Versicherungen einer immerwährenden Freundschaft und[276] Hochachtung von einander Abschied nahmen. Der Herr von Greenhielm verfolgte seine Reise nach Scandinavien; der Graf aber, nachdem er in Toscana die nöthige Pässe erhalten, begab sich an den Licatischen Hof, nach Mönnisburg.

Er wurde von dem König auf das leutseligste empfangen, und hatte das Glück, sich über eine Stunde lang allein mit ihm zu unterreden. Der König verwunderte sich, daß der Graf in verschiedenen Umständen besser, als er selbst, von den Angelegenheiten seines Reichs unterrichtet war.

Ich komme, sagte der Graf zu demselben, Ew. Majestät gleiche Vortheile vor dero Reiche und Völker anzutragen, als ich für diejenige meines allergnädigsten Königs zu erlangen suche. Ich weiß, daß die Rechte der Majestäten heilig sind, und daß der Krieg für das einzige Mittel gehalten wird, ihre Streitigkeiten aus einander zu setzen; dieses Mittel aber ist immer der grösten Gefahr unterworfen: man muß endlich doch wieder Friede machen, und diese Nothwendigkeit zwinget sodenn die streitende Machten, dasjenige nach vielem Blutvergießen einzugehen, was sie zuvor mit weit geringeren Kosten, und mit Erhaltung der gemeinen Ruh, hätten thun können.

Daß die öffentliche Versammlungs-Plätze, wo man die Zwistigkeiten der Potentaten zu erörtern pflegt, nicht allemahl einen gewünschten[277] Ausgang haben, solches zeiget die Erfahrung. Es sind insgemein dabey zu vielerleiy Leute, die darunter ihren Nutzen finden, wenn sie die Tractaten fein weit hinaus spielen: die Herren Rechts-Gelehrten kommen auch dabey mit in die Anfrage, und wo diese erst mit einander sich in einen Feder-Krieg verwickeln, da ist der Knote nicht anders mehr, als durch einen Gordianischen Schwerd-Streich zu lösen. Bey solchen Tractaten muß man über dem stets neue Berichte von den Höfen einholen: der Rang und die Vorrechte der hohen Häupter verursachen auch öfters ein unnützliches und weitläuftiges Gezäncke; wodurch die Gemüther der Regenten mehr zum Krieg, als zum Frieden gereitzet werden. Es kommen unterdessen auch allerhand Zwischen-Fälle, welche die Unterhandlungen verwirren, oder doch wenigstens aufhalten: Zeit und Unkosten gehen darüber verlohren, und keiner weiß, woran er ist.

Diese und dergleichen Umstände, fuhr der Graf fort, haben meinen allergnädigsten König bewogen, an Ew. Königl. Majestät, mich in möglichster Eile abzusenden, und mich dahin zu bevollmächtigen, daß alles, was ich in dero höchsten Namen mit Ew. Königlichen Majestät schliessen würde, für genehm, und ausgemacht solte gehalten werden.

Der König bezeigte hierauf dem Grafen, daß es ihm lieb wär, daß der Aquitanische Hof ihm wegen der mit ihm obschwebenden Streitigkeiten[278] einige Friedens-Vorschläge wolte thun lassen; und war ihm darzu die Person des Herrn Grafens um so viel angenehmer, weil er bisher viel gutes und rühmliches von ihm gehöret hätte.

Als nun der Graf darauf seinen Vortrag gethan und dessen Vorstellungen auch dem König einzuleuchten schienen; so bat er den König, solche näher zu überlegen und ihm die Gnade zu erweisen, die Sache selbst, nach seiner eignen hohen Einsicht, mit ihm abzuthun; allein, der König wolte sich darauf in keine Wege mit dem Grafen einlassen; sondern verwies ihn disfalls lediglich an seinen obersten Staats-Minister, den Fürsten von Kärndtenburg.

O ihr stolze Beherrscher dieser Erden, dachte hier der Graf bey sich selbst, seyd ihr denn nur deswegen der Völker Herr und Haupt, um eure Tage in Wollust und Müßiggang zuzubringen? Er bedauerte heimlich diesen Monarchen, dem die Natur Vernunft und Gaben genug verliehen hatte, seine Staaten selbst zu beherrschen, und der aus blosser Weichlichkeit, welche von der Gewohnheit und einer üblen Erziehungs-Art herrührte, sich aller Geschäften entschlug; und nur deswegen König war, weil auch seine Vorfahren waren Könige gewesen; gleich als ob man mit der blossen Geburt, zugleich auch die Weisheit bekäm, Völker zu regieren.

Der Graf von Rivera muste sich also gefallen[279] lassen, mit seinen Friedens-Vorschlägen zu dem Fürsten von Karndtenburg zu gehen. Dieser hatte zwar Einsicht und Verstand; allein, noch weit mehr Einbildung und Hochmuth: ein stolzes aufgeblasenes Wesen begleitete alle seine Handlungen: seine Geburt, sein Glück, sein Gestalt, seine Würde und sein Pracht, gaben ihm das Ansehen einer ungemeinen Hoheit, welche so wohl der Hof als das Volk verehrte, und die gewisser massen der König selbst fürchtete. Niemand unterstund sich also ihm entgegen zu reden: was er wolte, das muste geschehen: Man konte noch sicherer den König selbst beleidigen, als ihn.

Weil der Graf ihn gleichsam war vorbey gegangen, indem er sich mit seinen Vorschlägen gerad an den König gemacht hatte; so gedachte jetzo der Fürst demselben die Wichtigkeit seiner Person recht in die Augen zu stellen. Der König hatte den Grafen mit der grösten Leutseligkeit empfangen; hier aber machte ihm der Minister eine spreustige Mine: er warf den Kopf, welcher in einer grossen auf beyden Seiten über den Bauch herunter hängenden Staats-Perrucke eingehüllet war, aus Hochmuth so weit zurück, als die Majestät des Monarchens, aus Freundlichkeit, vor dem Bevollmächtigten eines grossen benachbarten Königs, sich geneiget hatte. Der Graf zeigte dem Fürsten hierüber nicht die geringste Empfindlichkeit: seine Gebehrden waren von Natur frey und ungezwungen: er konte so wenig niederträchtig, als lächerlich-hochmüthig[280] seyn. Er sahe bald, daß er bey diesem Minister nicht viel ausrichten würde. Der Geist dieses Fürsten kam ihm um so viel kleiner vor, je grösser und schwülstiger derselbe sich seinen Augen darstellte: Selten, daß ein so aufgeblasener Cörper die Herberge einer weisen Seele ist.

Der Graf durchgieng dem ungeacht mit ihm die Ursachen, die den Krieg zwischen den beyden Cronen veranlasset hatten, und zeigte gantz natürlich, wie solche am leichtsten zu heben, und ein dauerhafter Friede mögte geschlossen werden; allein, der Fürst wolte alles besser wissen, und konte nicht leiden, daß sich der Graf anmassete, so viel Verstand zu haben; er verwarf dessen ganzen Plan, und wolte durchaus in allen Stücken nachgegeben haben.

Der Graf muste also hier auf andre Mittel sinnen, seinen Zweck zu erreichen: er sahe wohl, daß in solcherley Geschäften, ganz ohne List nicht wohl fortzukommen war. Der Endzweck macht öfters eine Sache gut, oder bös. Der Graf hatte die beste Absichten von der Welt. Er wolte niemand schaden, sondern vielmehr, wenn es in seiner Macht stünde, aller Menschen Wohlfahrt befördern helfen.

Er war nicht der Meynung, seinem König fremde Völker zu unterwerfen; er suchte es nur dahin zu bringen, daß er seine eigne in Ruh und Friede beherrschen mögte. Er hielt den Eroberungs-Geist[281] der Monarchen für den grösten Verderber des menschlichen Geschlechts. O, ihr Könige! pflegte er zu sagen, ist es nicht genug, daß ihr eure eigene Unterthanen durch eine böse Regierungs-Art in das Verderben stürzet? müsset ihr auch noch andere Menschen suchen, eurer Tyrannischen Bottmäßigkeit zu unterwerfen? gleich als ob die höchste Ehre gecrönter Häupter darinn bestünde: daß sie viele Länder beherrschten, und viele Völker unglücklich machten.

Des Grafens Endzweck gieng also blos allein auf die Erhaltung der gemeinen Ruh: er suchte solche durch unumstößliche Bündnisse mit den benachbahrten Staaten zu befestigen. Er war zu dem Ende darauf bedacht, ihnen allen Argwohn zu benehmen, als ob man ihre Gerechtsame verletzen, oder nicht aufrichtig mit ihnen handeln wolte: er suchte es mit der Zeit dahin zu bringen, daß bey entstehenden Zwistigkeiten der Nachbarn, der Aquitanische Hof sich ins Mittel schlagen, und sich dadurch das Ansehen eines Schieds-Richters erwerben könte. In welchem Fall nicht allein die Macht seines Königs und die Ruhe seines Reichs gesichert wär, sondern auch unsägliche Kosten könten erspahret werden, die zu vielerley Kriegs-Rüstungen, Gesandtschaften, Bestechungen anderer Höfen, und dergleichen, aufgewandt würden.

Der Graf erkundigte sich in diesen Absichten genau um den Zustand des Licatischen Hofes[282] weil dieses Königreich, nebst Hesperien, das gröste und wichtigste war, welches an die Aquitanische Gränzen stieß; so kam es vornehmlich darauf an, die Sicherheit des Königreichs gegen zwey so mächtige Nachbarn zu bewahren.

Er machte zu dem Ende mit allen Grossen des Licatischen Hofes Bekanntschaft; und suchte sie durch allerhand Mittel zum Vortheil seiner Absichten zu stimmen: er fand überhaupt, daß der König übel bedienet war. Alle dessen Befehlshaber vom obersten bis zum untersten suchten nichts als ihren eignen Nutzen, auf Unkosten des Staats; alle misbrauchten schier der Güte ihres allzuviel nachsehenden Königes: es war kein Hof in der Welt, der so viel vornehme Bedienten ernährte, welche gleichsam die öffentliche Schmelz-Tiegel der Reichthümer und Schätze des Landes waren.

Der Graf hatte einen jungen Edelmann bey sich, der ein Cheruscer von Geburt war, und die vornehmste Europäische Sprachen verstund: er besaß viele Wissenschaften, und hatte dabey einen aufgeweckten und verschmitzten Kopf: dieser gieng in die vornehmste Caffee- und Spiel-Häuser, und war in allen Gesellschaften angenehm: er hörte, was die Leute sprachen, und urtheilten: er gab sein Bedenken mit darzu, und machte sie dadurch treuherzig auch gegen ihn sich desto vertraulicher heraus zu lassen: er brachte auf diese Weise dem Grafen täglich eine Menge dienlicher Nachrichten nach Haus, welche[283] ihn allesamt versicherten, daß das Licatische Volk über die bißherige grosse Auflagen äusserst schwierig, und dergestalt gegen die Regierung aufgebracht wär; daß solches, wenn es nur noch ein wenig stärker angegriffen würde, allem Vermuthen nach, sich empören, und alle Anschläge des Hofes zu nichte machen dürfte.

Der Graf schrieb deswegen an seinen König, daß man in ganz Aquitanien neue Kriegs-Rüstungen machen, frische Völker anwerben, und mit einigen benachbarten Höfen gewisse Bündnisse schliessen mögte, auf erforderenden Fall eine Anzahl Hülfs-Völker zu stellen: man folgte seinem Rath: die Drommel wurde durch das ganze Königreich gerühret: die Flotten wurden ausgerüstet und in See gebracht: die Gränz-Vestungen mit neuen Werken versehen: die Hetrurier, Cheruscer, Hermundurer, Battaver und Britannier setzten sich in Waffen: man hörte aller Orten von nichts als einem abscheulichen Krieg.

Nur der Graf von Rivera dachte an den Frieden: er war versichert, ihn durch dergleichen Drohungen und Anstalten am hurtigsten zu erlangen. Er hatte an dem Licatischen Hof allenthalben seine heimliche Agenten, welche die Gemüther des Volks mit Furcht und Schrecken erfüllten. Der Hof stack in grossen Schulden: die Haushaltung war in Unordnung: das Kriegs-Heer wurde übel bezahlt; die Soldaten suchten deswegen bey dem armen Landmann sich[284] zu erholen und griffen zu, wo sie etwas fanden. Die Befehlshaber waren gezwungen, ihnen durch die Finger zu sehen, denn es hies: Der Soldat müste leben. Dieses verursachte allenthalben ein jämmerliches Klagen: alle Zeitungen waren voll von den Kriegs-Rüstungen in Aquitanien: Der Graf selbst ließ unter der Hand einige zu seinen Absichten dienliche Schriften in Toscana drucken, und sie heimlich in Mönnisburg ausstreuen. Dem Volk wurde darin die bevorstehende Gefahr des Kriegs vor Augen gemahlet: es begunte dadurch noch immer schwieriger zu werden, und desto eifriger nach dem Frieden zu schreyen.

Das Misvergnügen mehrte sich allenthalben durch den grossen Geld-Mangel. Nicht, daß nicht Geld genug noch wär im Land gewesen; sondern es war solches unter lauter solchen Leuten ausgetheilet, die mit gewissen Freyheiten versehen waren, zum Behuf der gemeinen Noth nichts beyzuschiessen. Diese waren der Adel und die Geistlichen: die Regierung wagte es dem ungeacht, von solchen eine ausserordentliche Beysteuer zu fordern: welche man auf gewisse Summen anschlug: dieses aber war so viel als in ein Wespen-Nest stöchern. Bisher hatte nur der gemeine Mann geschrien; wobey der Adel und die Geistlichkeit schwiegen und auf ihre Vorzüge stolz waren; da man aber auch diese beyde Stände mitnehmen wolte, da hies es allenthalben: es litte die Religion, es litte der ganze Staat.[285]

Der Beicht-Vater des Königs war der erste, welcher seinen andächtigen Eifer vor den König brachte, und ihn ermahnte, der Kirchen-Güter zu schonen: er sagte: daß sie von milden Stiftungen herrührten, welche der Macht des weltlichen Arms mit nichten unterworfen wären: er vermahnte deswegen den König, solche ja nicht anzutasten; sondern vielmehr, wie er bishero gethan, als ein würdiger Beschützer der Kirchen sich fernerhin zu erzeigen. Er fügte seiner Rede die Drohungen des Himmels und des Vaticans hinzu; und bedeutete dem König, daß noch alle Monarchen, die sich unterstanden hätten, dergleichen Eingriffe in die Geistliche Rechte zu thun, sich den Fluch des Himmels auf den Hals gezogen und weder Glück noch Seegen bey ihrer Regierung gehabt hätten, davon er ihm hurtig alle denkwürdige Geschichten, die sich ungefehr hieher schicken mogten, aus den Geschicht-Büchern anzuführen wuste.

Auf diesen so strengen Gewissens-Prediger folgte der Land-Marschall mit den Abgeordneten von der Ritterschaft. Dieser stellete ebenfalls dem König vor, daß bishero die treugehorsamste Stände alles gethan hatten, was in ihrem Vermögen gewesen wär, um der Königlichen Cammer zu dem verwichenen Feldzug den benöthigten Vorschub zu thun, und die siegreiche Waffen des Königs gegen seine Feinde zu unterstützen; allein, die bisherige Durchmarsche und stete Einquartirungen auf ihren Gütern[286] und Dorfschaften, zusammt dem erlittenen Miswachs der Feld-Früchten, hätten ihre Kräfte dermassen ausgesogen, daß sie nicht im Stand wären, ein mehrers zu bewilligen, als worzu sie bereits sich verstanden hätten: Ihro Majestät, der König, mögte solches alles in mildeste Erwegung ziehen, und dem schon vorhin genug gepresten Adel dero fernerweitigen allergnädigsten Königlichen Schutz huldreichst angedeihen lassen.

Der König wolte den Adel, sowohl als die Geistlichkeit, klaglos stellen; der Fürst von Kärndtenburg aber wuste keine andere Mittel zu ergreiffen, um Geld aufzubringen, als diese beyde Stände mit in die neue Anlage zu setzen. Er hatte gern auch das gemeine Volk noch mit mehrern Abgaben beschweret, und neue Zölle und Accisen angelegt; allein Handel und Wandel lag bereits ohnedem schon in diesen Ländern darnieder; und wenn man den Landmann noch härter angesetzt hätte, so würde ihm kaum sein Fuhrwerk noch übrig geblieben seyn, damit die nöthigste Le bens-Mittel in die Städte zu bringen.

Wie nun alle Dinge, wenn sie bis zu einem gewissen Grad gestiegen sind, entweder sich biegen oder brechen; so gieng es auch allhier. Der Graf von Rivera hatte sich wirklich bey dem König beurlaubet: alle dessen Vorstellungen waren bisher vergeblich gewesen: der König verließ sich auf seinen Staats-Minister, und dieser[287] wolte durchaus in einer Sache nicht nachgeben, die ihm einmahl sein Eigensinn zur Regel gemacht hatte.

Die Anstalten zur Abreise des Grafens machten unterdessen sowohl bey Hof, als bey dem Volk ein grosses Aufsehen: solche war schon auf den andern Tag festgestellet. Der Graf war gesonnen, an einen nechstgelegenen Alemannischen Fürsten-Hof sich zu begeben; unterdessen aber seinen Cheruscischen Edelmann zu Mönnis burg zu lassen; weil er aus den Umständen worin er den Licatischen Hof sahe, leicht urtheilen konte, daß er sich bald näher zum Ziel legen würde.

Dieser Zeitblick war bereits vor der Thür: eine grosse Menge Volks sammlete sich gegen den Abend vor dem Pallast des Fürstens von Kärndtenburg. Dem Fürsten kam solches gleich Anfangs verdächtig vor, und sandt deswegen auf die Hauptwache: allein, ehe man ihm noch zu Hülfe kommen konte, so hörte man ein dunkles und durchdringendes Geschrey: Es lebe der König / und sterben alle böse Rathgeber. Diese Losung wurde zugleich mit einem Hagel von Steinen begleitet, welche kein Fenster an dem Pallast des Fürstens auf der Strassen ganz liessen; und wo man nicht bey guter Zeit die Thoren des Pallasts geschlossen hätte; so wär ohne Zweifel dieser Tumult auf eine völlige Plünderung desselben hinaus gelauffen; wobey[288] die Person des Fürstens am wenigsten Sicherheit würde gefunden haben; dann die Erbitterung des gemeinen Volks gegen ihn war überaus groß.

Der wütende Pöbel wurde zwar darauf von der herannahenden Wache wieder auseinander getrieben; er sammlete sich aber von neuem auf dem grossen Burg-Platz, und wiederhohlte daselbst aus voller Kehle, doch mehr mit einem fürchterlichen Gebrüll, als vernehmlichen Ton, die vorige Losung: Es lebe der König / und sterben alle böse Rathgeber. Und da er auch hier von der aufgebotenen Besatzung aus einander gejagt wurde, so hörte man doch die ganze Nacht durch diese Worte von einzeln kleinen Hauffen noch hin und wieder in den Strassen erschallen.

Der Staats-Secretarius, als er sahe, wo die Sachen hinaus wolten, fuhr noch denselben Abend zu dem Grafen von Rivera. Er bat ihn, morgen noch nicht zu verreisen: er sagte, daß er in den Aspecten seines Hofs einen guten Planeten entdeckte, und daß sie würden Friede machen.

Der andere Tag war kaum erschienen, so wurde der Staats-Secretarius nebst den andern Staats-Räthen zu dem König gerufen: mittlerweile, daß der Fürst von Kärndtenburg, um der Wut des Pöbels zu entgehen sich heimlich aus der Stadt gemacht hatte. Der König[289] befragte den versammleten geheimen Rath, was bey so gestalten Sachen zu thun wäre: dieser riethe zum Frieden; nachdem er zuvor dem König die allgemeine Noth und das Misvergnügen aller Stände des Reichs aufs beweglichste vorgestellt hatte.

Der König ließ darauf den Grafen von Rivera nach Hofe bitten: man berathschlagte sich mit ihm aufs neue, wie man die Sache auseinander setzen, und die noch strittige Puncten vergleichen mögte. Der Graf aber wolte durchaus von seinem Plan, der auf einen beständigen Frieden zielte, nicht abweichen. Man fand endlich, daß die Absichten des Grafens Grund hatten, daß sie der Billigkeit gemäs waren, und daß sie den Wohlstand beyder Reiche schützten. Die Articul von dem Frieden und dem darauf sich gründenden Bündnis wurden demnach zu Papier gebracht, ausgefertiget und unterzeichnet.

Die Abreise des Grafens litt also hierdurch noch einigen Aufschub. Der König fand ein Vergnügen, mit demselben sich in vertrauliche Unterredungen einzulassen. Er verehrte ihm darauf nebst andern Kostbarkeiten sein Bildnis, welches reich mit Diamanten besetzt war, und versicherte ihn dabey seiner besondern Gnade und Hochachtung.

Quelle:
Johann Michael von Loën: Der redliche Mann am Hofe. Frankfurt am Main 1742., S. 263-290.
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