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[69] Marie allein; dann die Försterin zurück.
MARIE hat ein Briefchen in der Hand. Daß ich's doch genommen hab'! – Bis ich mich besann – und da hatt' ich's schon in den Händen – und die Kathrine war auch so schnell wieder fort. – Ich hätt's nicht nehmen sollen.
FÖRSTERIN auftretend. Die harten Männer! Da hilft kein Bitten. Was hast du da, Marie?
MARIE. Einen Brief von Robert.
FÖRSTERIN. Wenn den dein Vater säh'![69]
MARIE. Ich weiß auch gar nicht, wie ich ihn genommen hab'. Aber der Robert dauerte mich so sehr. Die Kathrine sagte, er ständ' unten im Heimlichen Grund und wartete. Da fiel mir auch mein Traum ein von heute nacht.
FÖRSTERIN. Ein Traum?
MARIE. Da war ich dort am Quell bei den Weiden an meinem Lieblingsplätzchen und saß in den bunten Blumen und sah nach dem Himmel hinauf; da stand ein Gewitter, und mir war so schwer, daß ich vergehen wollte. Und das Kind, weißt du, das bei mir gewesen war vor vierzehn Jahren, wie ich mich verirrt hatte, das saß neben mir und sagte: »Arme Marie!« und zog mir den Brautkranz aus dem Haar und steckte mir dafür eine große blutrote Rose an die Brust. Da sank ich hinter mich in das Gras zurück, ich wußte nicht wie. Drüben im Dorfe läuteten sie, und das Singen der Vögel, das Zirpen der Grillen, die leise Abendluft in den Weiden über mir – das alles war wie ein Wiegenlied. Und der Rasen sank mit mir tiefer und immer tiefer, und das Läuten und das Singen klang immer ferner – der Himmel wurde wieder blau, und mir wurde so leicht – so leicht –
FÖRSTERIN. Ein eigener Traum. Hast du den Brief aufgemacht?
MARIE. Nein, Mutter; und ich will's auch nicht.
FÖRSTERIN. So laß ihn wenigstens den Vater nicht sehn. – Ach! Marie, wir werden fort müssen vom Vater!
MARIE. Vom Vater? Wir?
FÖRSTERIN. Er kommt; laß dir nichts merken. Steck den Brief ein. Nimm die Bibel da vor dich, daß er dir nichts anmerkt. Ich will's noch einmal versuchen – wenn er denkt, wir gehen sonst, gibt er doch vielleicht nach, und wir können bleiben.
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Der Erbförster
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