Vierter Akt.


[337] Auf dem Wege von Modin nach Jerusalem.

Mehrere Felswege kreuzen sich unter Sykomoren und Granaten. Schroffe Felswände zu beiden Seiten. Vorn rechts eine große Sykomore; links ein Granatenbusch. Hinten Jerusalem. Es dämmert. Aaron und Gefolge mit dem gefangenen Johannes.


AARON.

Hier haltet einen Augenblick, bis Amri

Uns mit den Kleinen eingeholt.


Amri und Gefolge, in dessen Mitte Joarim und Benjamin.


AMRI.

Wo ist

Mein Oheim?

AARON.

Herr, voraus.

AMRI.

Hier laßt uns rasten!

BENJAMIN zu Joarim.

Dort kommt die Mutter. Wer ist's, der sie führt?

JOARIM.

Sie wankt' und fiel und rafft' sich wieder auf

Und fiel von neuem –

JOHANNES.

Welch ein Anblick!

JOARIM.

Da

Erbarmte sich ein ährenlesend Mädchen

Und lief herzu und hob sie auf.[338]

JOHANNES.

O seht!

Zerrissen das Gewand; wie ein Gewölk'

Vom Wind gepeitscht das Haar um ihre Schläfe,

Vom öftern Stürzen auf den Felsenkanten

Das Antlitz blutig und voll Staub!

BENJAMIN.

Ach, Mutter!

JOARIM.

Du arme Mutter!

LEA erst noch in der Szene.

Weile, blut'ger Amri!

AMRI.

Still, Brut, wenn sie am Leben bleiben soll.

Bei Simei! der Schwur ist heilig. Fort!


Er winkt; Amris und ein Teil von Aarons Gefolge mit den Kindern ab.


So ächzt der Kiebitz hinter seiner Brut.

Erst macht es Spaß mir, doch nun Langeweile.

Schnell fort, daß sie zurückbleibt!


Bleibt stehen und packt Aaron.


Daß der Herr

Dich treffe, Knecht! wo hast den Simon du,

Den Ältesten?

AARON.

Du bist nicht wütender

Als ich, und ich nicht schuldiger als du.

AMRI.

Nicht schuldiger, tilg' ich mit diesem Messer

Die Schulden dir!

AARON.

Erst höre, wie's geschah

Dort, wo der steilste Fels aus schmalstem Weg

Uns Mann nach Mann zu gehen zwang, dort sprang er

Wo die Gazelle nicht zu springen wagt –

AMRI.

Und keiner hielt ihn?[339]

AARON.

Doch. Assarja,

Der Nächste hinter ihm; ihn riß er mit

Und – lebt er? ist er tot? Ich weiß es nicht.

LEA tritt auf, von einem Mädchen geführt.

Häuf' nicht des Rächers Grimm! gib mir die Kinder,

Daß er dich schone!

AMRI.

Machst auch du den Kopf

Mir warm?

LEA.

Wo seid ihr?

AMRI.

Hörst du? Bleib' zurück!

LEA.

Johannes! Benjamin! Hört ihr?

AMRI.

Ich will

Mir Ruhe schaffen. Bindet mir das Weib

Dort an die Sykomore!

LEA.

Binden? Mich,

Die schon die Schwäche bindet?

AMRI.

Schnell! Hierher!


Sie wird ergriffen; das Mädchen flieht.


LEA.

Thu's nicht! Thu's nicht! Der Herr wird es nicht dulden,

Daß du es thust. – Läßt du die Luft doch mitgehn;

Sieh, die Gedanken könntst du mir nicht binden,

Daß sie nicht folgten deinem Schritt, und sieh,

So still wie ein Gedanke will ich sein.

Nicht einmal bitten will ich mehr!

AMRI zeigt an die vordere Seite des Stammes der Sykomore.

Hierher.

Vorwärts!


Zu einem.


Nicht weinen sollst du, binden, Schurke![340]

LEA während sie hingeschleppt und gebunden wird.

Unmenschen, ein ohnmächtig Weib zu binden!

Nein, nicht Unmenschen! denn ihr könnt's ja nicht.

Seht, hier sind meine Hände; wie ein Kind

Laß ich mich binden; denn ihr könnt's ja nicht.

Und hättet ihr's gethan, ihr fluchtet euch

Vor Mitleid selbst und schnittet wieder auf –

AMRI.

Lernt Hochmut selber betteln?

LEA.

Sieh, wie ruhig

Dein Schmähn ich trage.

AMRI.

Schwäche ist geduldig.

LEA.

Mann, weine nicht, wenn du um mich weinst, was

Soll ich dann um die Kinder thun? Wenn du

Nur seufzest, müßt ich untergehn in Thränen.

AMRI.

Uns siedst du nicht in Thränen weich; versuch's

Nun mit dem Strang! Vielleicht reißt er aus Mitleid.


Amri, Aaron und Gefolge gehen.

Naemi tritt mit dem Mädchen auf, das auf Lea zeigt.


LEA.

Ich weiß, ihr könnt nicht gehn, nicht so mich lassen –

NAEMI.

So ist's! ich danke dir.


Mädchen geht.


O, welch ein Anblick!

LEA.

Weh' mir! was ist's so still? Sie sind gegangen,

Und ich – was folg' ich nicht? Elendes Seil,

Willst du die Mutter von den Kindern trennen?

Sieh, was die Mutterliebe kann; so reiß'

Ich dich in Stücken!


[341] Vergebliche Anstrengung; es wird Nacht.


Weh' mir! So allein

Im wilden Felsenthal muß ich verschmachten,

Und meine Kinder sterben fern von mir!

NAEMI.

Ich knüpf' sie los. O Hände, zittert nicht!

LEA.

Wer spricht hier? Wem gehört die Helferhand?

Wer knüpft mich los? Auf meinen Händen fühl'

Ich Thränen; weiche Locken fallen drauf.

O, das sind Haare, so wie Joarims,

Ein Veilchenatem, so wie Benjamins.

O, wer du bist, wenn du kein Engel bist,

Laß deine Mutter nicht! laß dich nicht stehlen!

Sieh, auf den Knien, wär' ich frei, läg' ich

Vor dir: o Kind, gehorch ihr, ist sie doch

Die Brust nur, und du bist das Herz darin,

Doch redet sie von Größe, hör' sie nicht!

Ist ihr der Thron zu niedrig, Größe selbst

Nicht groß genug für dich, hör's nicht; jed' Wort

Zuckt tausend Schwerter einst auf dich und sie.

Und rief der Herr dich selbst, o hör' es nicht!

Wir müssen thun nach unserm Wort; er thut,

Was ihm gefällt; wer rechtet mit dem Herrn?

Er zieht den Vorhang seiner Wolken zu,

So wie die Mächtigen der Welt es thun;

Stürm' deine Klage hin, du Leidender;

Schrei' auf um Unrecht, das sie dir gethan;

Sie lächeln ihrer Macht und hören's nicht!

NAEMI.

Ein Arm ist frei.

LEA.

O Kinder! meine Kinder!

Ihr solltet Helden, solltet Kön'ge sein; –

O wärt ihr Bettler, doch ich hätt' euch hier,

Wär't ihr verachtet, doch in meinen Armen,

Wär't ihr verabscheut, doch an meiner Brust!


Sie ist losgebunden.
[342]

Herr, was strafst du die Kinder? Strafe mich!

Such' meine Schuld, Herr, an mir selber heim!

Was schläft dein Donner? Herr, ruf' deinem Blitz!

Laß deine Winde rasen, dein Geschoß,

Den Hagel wirf nach mir; sieh, selber bahn'

Ich deinen Fluten einen Weg zu mir!


Sie reißt ihr Obergewand ab.


Fort, Spangen! Fluch, was glänzt und was verlockt!

Verflucht sei Größe, außen strahlenblendend,

Innen voll Dornen! Ruhm, verflucht seist du,

Ein Treiber ohn' Erbarmen! Winde, peitscht


Sie reißt die Haare los.


Mit meinen eignen Haaren mich! – O still:

Ein Hamster schleicht zu seinem Nest; er hat

Die Backen vollgefüllt für seine Kinder.

Der Vogel auf dem Zweig schrickt aus dem Schlaf,

Ein Habicht hat die Kinder ihm geraubt,

So träumt er, und er rafft sich auf, der Schwache,

Vom Starken sie zu retten. Seht mich, Mütter

In Feld und Wald, am Himmel und auf Erden,

Hier, eine Mutter, unnatürlich, wie

Sonst keine! Sieben Söhne, wie sie nie

Ein Mutterauge schöner sah, hat sie

Sie selbst verderbt! Helft mir der Tig'rin fluchen!

O, keine Tig'rin hätte das gethan! –

Der am einsamen Bett der Hindin steht, –

Ihr aushilft in der Stunde der Geburt,

Wenn ihre Seele zagt, Herr, sich verblutend

Ein Mutterherz aus sieben Todeswunden,

Das ganze Weib ein brechend Mutterherz,

Und sprich: Es ist genug!


Sie sinkt zusammen.


NAEMI sie haltend.

Herrin, du sinkst,

Erquicke dich an diesem Quell.

LEA matt.

Wer spricht?

Die Ährenleserin, die heut mich aufhob[343]

Und führte? Geh' und sei gesegnet; ist's

Auch nur der Segen eines armen Weibes.

Geh' heim; ich bleibe hier; ich will hier sterben.

NAEMI.

Von ihrem Schmerz erfüllt, kennt sie mich nicht.

Trink', Herrin!

LEA.

Deine Stimme thut mir weh.

Geh, Mädchen! Mädchen? Nein, du bist kein Mensch!

Die Mutter trinken, wenn die Kinder schmachten?

NAEMI.

Um deiner Kinder willen stärke dich,

Daß du sie rettest!

LEA wie erschreckt.

Rettest? Was sagst du?

Sie rettest?

NAEMI.

Ist der König doch ein Mensch;

Er wird die Kinder deinem Fleh'n nicht weigern.

LEA.

Er wird – bist du ein Engel? wird er? ja!

Er wird! Kenntest du meinen Benjamin;

Sähst du ihn lächeln, o, du müßtest sagen:

Er kann den Kindern nichts zuleide thun!

Fort! Weh' mir! Nun ich retten könnte, bin ich

Gelähmt.

NAEMI.

Hier trinke, daß dein Geist zurückkehrt

Zu dir. Ich führe dich und, wirst du matter,

So trag' ich dich –

LEA.

Gib! Gib den Trank. Vergebt

Mir, Kinder, daß ich trinke!


Sie trinkt.


Trink' ich doch

Nur, euch zu retten. – Sieh, nun bin ich stark.

Doch wohin führt der Weg zum Syrier nun?

NAEMI.

Schon such' ich ihn. Hörst du die fernen Klänge?[344]

Ein Bußpsalm – dorther kommt er, wo das Licht

Der Nacht den milden Silberduft sich selbst

Voranschickt und den breiten, dunkeln Hügel

Abzeichnet, hinter dem's heraufkommt. Dort

Der Hügel muß der Ölberg sein, dort liegt

Jerusalem –

LEA.

Die Stimme! Das ist nicht

Die Ährenleserin –

NAEMI.

Und dort im Thal

Seh' ich des Königs Zelte schimmern. Komm

Den Weg hier; schon wird's hell.


Der Mond geht über Jerusalem auf.


LEA.

Du bist Naemi!

Was willst du dort?

NAEMI.

Die Kinder retten.

LEA.

Du?

Fort! sei barmherzig! – Du, die ich gehaßt?

Die ich verfolgt?

NAEMI.

Du mußtest mich verfolgen,

Damit du endlich meine Treue säh'st.

LEA.

Dem Glücke folg'; ich hab' nichts mehr zu geben.

Zu deinem Vater geh', zu seinen Göttern!

NAEMI.

Ich geh' mit dir, wohin dein Fuß dich führt.

Dein Gott ist mein Gott; wo du stirbst, da sterb'

Ich auch; da will ich auch begraben sein.

Kehr' dich nicht weg. So wahr der Herr lebt, nur

Der Tod soll mich von Judas Mutter scheiden.


Lea sinkt vor ihr auf die Knie.
[345]

NAEMI.

Was thust du, Herrin?

LEA.

Laß mich! Du bist besser

Als ich. Vergib mir, und dann segne mich,

Damit ich gehe!

NAEMI.

Ohne mich?

LEA.

Wohin

Ging ich von nun, daß du nicht mit mir gingest

Als meiner Seele bessrer Teil? O sieh,

Schon hab' ich meiner armen Kinder Erbe

An dich gegeben, meine letzten Thränen. –

Soll dich, das schöne, junge Weib, das Aug'

Der rohen Krieger sehn? Nein, bleibe hier

Und warte mein; bald kehr' ich mit den Kindern.

NAEMI.

Gehorsam deinem Worte bleibt Naemi,

Und es geleiten dich des Herren Engel!


Sie führt sie ab. Von der andern Seite kommen Juda, Usiel und einige Krieger.


JUDA zu den Kriegern im Auftreten.

Schnell fort und ruft's durchs ganze Israel;

Ich schleiche nach Jerusalem mich durch.

Dort herrscht der Hunger und die Pest; doch hat

Die Herzen nur die Not noch nicht gelähmt,

Und kann ich's halten, bis ihr Hilfe bringt,

Dann, Syrier, sitz' fest auf deinem Thron,

Sonst schüttelt Juda dich wie reifes Obst!


Die Krieger gehen; Naemi kommt zurück.


NAEMI.

Hier im Granatenbusch will ich mich setzen,

Doch schlafen nicht; sonst säh' ich sie nicht kehren.

JUDA einige Schritt nach hinten.

Wie Sicherheit hier mit bequemem Flügel[346]

Dies Lager brütet. Kein Verhau! Kein Graben!

Ist Juda tot? Ist er ein Thor geworden,

Daß man ihn höhnen darf? Geduld, bis dir

Die ausgefallnen Schwingen wieder wachsen;

Dann zahl' die neue Schuld ihm mit der alten.

Nun nach Jerusalem!

NAEMI aufschreckend.

Es nahen Männer!

Die Stimme – ja, er ist's!


Sprachlos zu seinen Füßen.


JUDA.

Was will dies Weib?

NAEMI.

Mein Herr!

JUDA überrascht, er hebt sie auf.

Röslein von Saron! Lilie

Im Garten Salomo!

NAEMI weinend.

Voll Staub und Blut –

JUDA.

Nichts; nur mein Bett hat abgefärbt.

NAEMI.

Du schliefst

Auf Stein, mein armer Herr? und ohne Polster?

JUDA.

Wie mancher schlief die Nacht gar ohne Kopf.

NAEMI lachend.

Daß ich dich wieder habe, lieber Herr!

JUDA sie an sich drückend.

Blüh' auf, mein Röschen, blüh'; hier ist dein Boden.

NAEMI.

So schlug die Nachtigall, wie du zuerst

Hierher mich pflanztest, und so wob der Mond

Um sie und den Granatbusch all sein Gold.

JUDA.

Und doch, mein Röschen, deine Nachtigall[347]

Um einen Mund voll Brot, all deinen Mondschein

Um einen Becher Wein, und wär' er sauer!

NAEMI.

Du Armer hungerst, und ich habe nichts!

JUDA.

Hör', Usiel, ein Rätsel. Sprich, was ist's?

Der Männer hunderttausend sprengen's nicht.

Doch füllt ein einzig flüsternd Weib es aus. –

Doch wie kommst du hierher? Was macht meine Mutter?

Was meine Brüder?

NAEMI.

Deine Brüder sind –

Beim Syrier.

JUDA.

Mehr als ich fürchtete.

Und meine Mutter? wo, als bei den Kindern?

Wie? ja, ich traf's?

NAEMI.

Sie hofft –

JUDA.

Sie hofft –? Kein Weib

War weiser, keine Mutter thörichter!


Zu Usiel.


Ich eile nach Jerusalem; hörst du

Uns aus den Thoren brechen, wirf dein Häuflein

Vom Fels in ihre Sicherheit. Vom Syrier

Hoffst du die Kinder, Mutter? Selbst ein Kind

In deinem Wahn. Der Syrier wird sie geben

Nicht deinem Fleh'n, doch deines Juda Schwert!


Will gehn, bleibt.


Und wenn – nein – bleib' – hinunter, Herz; ich kann

Nicht helfen, Mutter! Mit Jerusalem

Ist Israel verloren. Nein; ich darf

Das Spiel nicht wagen. Hier verblute, Mensch

In Juda; wohn' von hier in dir allein,

Errettung Israels, des Juda Seele!

Ich lasse dich im Schutze Usiels,

Mein Weib. Leb' wohl! Vielleicht sehn wir uns wieder.[348]

NAEMI.

Nie, wenn du mit Vielleicht Naemi tötest!

Herr, wer giebt dir das Recht, allein zu sterben?

Ich geh' mit dir; mein Leben ist in deinem.

JUDA.

Nicht sterben, leben will ich! Geh'! Leb' wohl!


Er geht einige Schritt nach hinten, Usiel und Naemi nach der Seite; er bleibt stehen und wendet sich unwillkürlich noch einmal nach Naemi; er schämt sich, den wahren Grund seines Umwendens merken zu lassen, und ruft.


Usiel!

USIEL indem er und Naemi sich wenden.

Ja, Herr; was willst du?

JUDA.

Nichts; es kam

Mir ein Gedanke nur, doch nahm ich ihn

Zurück.


Naemi sprachlos in seinen Armen.


Röslein von Saron –


Er bezwingt sich.


Geh'! Leb' wohl!


Er macht sich los und geht rasch nach hinten, Usiel und Naemi nach der Seite ab.



Verwandlung.



Eine Straße in Jerusalem mit Aussicht nach dem Tempel; Mondschein, Gewitterwolken am Himmel.

Hungernde und Kranke vor den Thüren, vorn ein Weib mit einem Kinde und ein Greis. Simon von der einen, Jonathan von der andern Seite, sehn sich, wenden sich traurig ab, dann fallen sie sich schluchzend in die Arme.


SIMON.

O daß ich nie entrann den Händen Amris!

JONATHAN.

O Simon!

SIMON.

Jonathan!

JONATHAN.

Alles verloren!

Durch Zions Gassen rief ich auf zur Wehr –

Keine Antwort, kaum ein Blick, der matt sich hob,[349]

Als wollt' er fragen: Wer stört mich im Sterben?

Und schwach zurückfiel, eh' er mich erreicht.

SIMON.

Kein lebend Menschenaug' sah, was das meine

Den kurzen Weg durch Akras Straßen sah.

Hier tot ein junges Weib, das Kind verschmachtend

An ihrer Brust, und über sie hinweg

Lacht wild der Wahnsinn ans dem Aug' des Gatten.

JONATHAN.

Ich sah, wie Sterbende sich niederlegten

Gleichgiltig so, als wär's zum Schlaf, und Leichen

Zum Polster nahmen für ihr Haupt, um andern

Denselben Dienst zu leisten.

SIMON.

Hunger dient

Der Pest, und die dem Tod, schrecklich wetteifernd

In ihres Dienstes Hast; und wo nicht Tod,

Da schaut Verzweigung aus den stieren Augen.

Sie haben keinen Fluch mehr, keine Thränen.

Der Feind pocht an das Thor; sie hören's nicht.

Kein Ruf weckt die lebend'gen Leichen mehr.

DAS WEIB zu Jonathan, sein Gewand fassend.

O, einen Bissen nur! Sieh, Herr, mein Kind

Verschmachtet. Einen Bissen nur, und wär' er

So, daß dein Hund ihn ekelnd liegen ließ!

JONATHAN reißt sich los, schmerzlich.

Unglückliche, wer giebt mir, euch zu geben?

Wollt' ich von meinem eignen Fleisch dir geben,

Nicht so viel ließ mir Hunger, dich zu sätt'gen.

DAS WEIB.

Um deines Bruders Juda willen, Herr!

Meine Mutter, Herr, und meine sieben Brüder,

Sie hofften bis zum letzten Augenblick:[350]

Käm' Juda nur, dann wären wir gerettet.

Sie starben alle, und kein Juda kam.

JONATHAN.

Unglückliche, hier hilft kein Juda mehr!

GREIS ohne sich zu bewegen.

Kommt Juda?

WEIB.

Hörst du, Herr? er hörte uns

Den Juda nennen. Mein, mein armer Vater!

SIMON.

Was ist das? Hörst du? Fernes Schrei'n –

JONATHAN.

Das ist

Der Syrier, der unsre Schwäche nutzt.

Auf, Volk Jerusalems! der Syrier stürmt!

Auf! zu den Mauern, Krieger!

SIMON.

Ruf' die Steine:

Sie hören dich; doch diese Leichen nicht.

JONATHAN.

Schon naht der Lärm; er ist schon in den Mauern.

Herr, was beginnen?

SIMON.

Frag' die Weisen hier;

Beredt ist ihre stumme Antwort: Sterben!

JONATHAN.

Doch das ist weder Kriegsgeschrei noch Wehruf!

SIMON.

's ist Jubel –

JONATHAN.

Näher kommt's. Sie rufen –

VOLK erst noch in der Szene ganz fern.

Juda!

JONATHAN.

Deutlich hör' ich den Ruf: er ist's![351]

VOLK.

Er ist's!

DIE HERUMLIEGENDEN halb aufgerichtet.

Der Juda?

WEIB zum Greise.

Hörst du, Vater? Juda kommt!

GREIS.

Der Juda –


Er stirbt.


WEIB.

Herr, er stirbt! Weh' mir, er stirbt

Und hat den Juda nicht gesehn!

VOLK näher jubelnd.

Er ist's!


Die Herumliegenden sitzen voll Spannung, manche raffen sich auf.


SIMON.

Aufrafft sich, was halbtot schon lag; nur einer

Ist aus der Welt, der das vermag.

VOLK näher.

Der Juda!

Der Vater!

WEIB.

Ja, er ist's!

DIE ÜBRIGEN sich aufraffend.

Er ist's!

WEIB zu ihrem Kinde, das sie hoch hebt.

Schau, Joel,

Mein Knäblein, Juda, unser aller Vater!

JONATHAN.

Sieh, wie sie seine Knie umfassen. Kaum

Kann er den Fuß erheben. Lachend, schluchzend

Wie Kinder zu dem lang vermißten Vater,

Dursten sie auf zu seinem Heldenantlitz

Und trinken Mut aus ihm.

SIMON.

Sieh, wie dies Weib

Mit ausgezehrtem Arm ihr Kind erhebt,

Daß es ihn seh'![352]

JONATHAN.

Todkranke Greise schleppen

Sich mit der letzten Kraft in seinen Weg,

Nur um des Helden Kleider zu berühren.

O Schauspiel sondergleichen! Wunderanblick!

So wie ein Adler seine Kinder trägt,

So trägt er Israel auf seinen Schwingen.

Wie hinter Scherzen er sein Mitleid birgt,

Der Mann, der seine Tugenden verhüllt,

Daß unsre Armut nicht an sich verzweifle!

SIMON.

Willkommen, großes Herz von Israel!

Laß uns entgegen, wenn es möglich ist,

Dies Volksmeer zu durchschwimmen!


Beide ab.


VOLK hereindringend, durcheinander. Die Frauen ihre Schleier schwingend.

Hosianna!

Hosianna in der Höh'! Juda, der Vater!


Juda tritt auf mit Simon und Jonathan. Das Volk kämpft darum, an seinem Weg knieend, seine Kleider zu berühren.


JUDA.

Mein Volk –

VOLK wie vorhin.

Still, Juda spricht! Tod, wer ihn stört!

JUDA ist aufgeregt und bezwingt gewaltsam seine Rührung.

Ihr hungert, Kinder? Desto besser wird's

Euch schmecken, wenn der Syrier heimgejagt

An trocknen Rinden kauen muß. Und bald

Jag' ich ihn heim. Nur noch zehn Tage haltet

Jerusalem, dann zieht ein Heer von Brüdern

Heran, euch zu befrein.

JONATHAN.

Zehn Tage, Herr

Und Bruder? –

SIMON.

Kaum drei Tage reicht der Vorrat,[353]

Das Leben ärmlich uns zu fristen, nur

Daß wir nicht sterben.

JUDA.

Steht es so? – Dann hat

Der Herr uns auf uns selbst gestellt, zu zeigen,

Was er vermag. – So bringt, was ihr noch habt,

Zu einer Mahlzeit in des Tempels Vorhof;

Daß Kraft den schwachen Gliedern wiederkehre;

Dann in des Wetters Schutz, und wenn der Mond

Vom Himmel wich, mit leisem Tritte schleichen

Wir in des Syriers Lager uns, die Priester

Mit den Posaunen auf die Berge rings

Umher; und wenn die letzten unsrer Krieger

Im Lager, dann weckt ihr Posaunenruf

Den unsern und ringsum den Ruf der Höhn

Und die Verwirrung in dem Syrierlager,

Die, sich bedrängt von allen Seiten meinend,

Dem Tod im Innern selbst entgegenfliehn,


Es wetterleuchtet.


Was zagen? Lebt der alte Gott nicht mehr?

Zieht er nicht selber seinem Volk zu Hülfe?

Dort in der Wetterwolk' steht er gelagert

Mit allem Himmelsheer. Seht ihr das Glühn

Der Helm'? der Schwerter Glanz? der Speere Blitzen?

In seinen Händen hält er seine Donner;

Die Sterne streiten mit auf ihrer Bahn,

Wie da Deborah einst und Barak siegten.

Nun laßt umarmt uns sitzen bei dem Mahl,

Von dem Gesetz des Herren uns erzählend,

Wie oft dem Volke half sein Helfergott!

Wer einen Feind hat unter seinen Brüdern,

Der such' ihn auf, mit ihm sich zu versöhnen,

Umschling' ihn mit dem Arm, der ihn umschlingt,

Und küss' den Friedenskuß auf seine Stirne,

Daß wir ein heilig Heer sind vor dem Herrn.


Zu dem Weibe, indem er das Kind ihr von den Armen nimmt.
[354]

Läßt du dein Kind? – und soll der Herr uns lassen?

Sein Kind? Sein Knäblein Jeschirun?


Er nimmt's auf den Arm und schwingt's in die Höhe.


So wird

Er's heben mit den Armen seiner Macht;

So wird er lächeln, wie dies Kindlein lächelt.


Er gibt das Kind wieder.


Auf, Brüder, nun zum Mahl, und dann zum Sieg!


Er geht ab, Simon und Jonathan umschlingend.


VOLK indem es ihm, begeistert umarmt, folgt, durcheinander.

Ein heilig Heer des Herrn zum Mahl! zum Sieg!


Alle nach hinten. Vorhang fällt.



Ende des vierten Akts.


Quelle:
Otto Ludwig: Werke. Leipzig und Wien [1898], S. 337-355.
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