321. Schwerttänze in Hessen.

[237] Tacitus giebt uns in der Germania Nachricht von einem öffentlichen Spiele der Germanen, dem Schwerttanze, von welchem in Hessen Name und Sage sich erhalten haben. Daß es die Chatten geübt und geliebt, beweist ebensowohl die unter Nr. 226 oben mitgetheilte Sage vom Schwerttanze zu Weißenstein, als das Zeugniß Winkelmanns, der 1651, bei der Heimführung der Gemahlin des Landgrafen Ludwigs VI. von Hessen-Darmstadt, noch einem Schwerttanze beiwohnte, welchen das junge Landvolk im Felde vor Lollar, eine Stunde von Gießen, aufführte. Ursprünglich führten es nackte Jünglinge aus, indem sie mit einer außerordentlichen Kühnheit und Behendigkeit zwischen scharfen Schwertern und Spießen (Frameen) herumtanzten. Ohne einen andern Lohn als den Beifall der Zuschauer, erregten sie Bewunderung und Vergnügen.

Zu Winkelmanns Zeiten waren die Schwerttänze schon um Vieles milder, wenn auch nicht ohne Gefahr; man führte sie zu Fastnacht und bei Hochzeiten auf. Die Tänzer, deren es 16 bis 20 waren, trugen weiße gegürtete Hemden und Hüte, welche mit bunten Bändern und weißem Tuche ausgeziert waren. An den Kniescheiben hatten sie Schellen befestigt und um die Arme lang herabhängende Bänder gewunden. Ein Führer leitete die Tänze, sagte den Zuschauern mit gehöriger Förmlichkeit seinen Gruß und redete sie darauf, nach althergebrachter Weise, in gebundener Rede folgendermaßen an:


Hier sind wir herkommen auf diesen Platz und Plan,

Einen ehrlichen Schwerttanz wollen wir fangen an;

Nicht aus freiem Muth,

Sondern erlaubt von der Obrigkeit gut.

Also sollen meine Gesellen ihre Schellen lassen klingen

Wie die Engel im Himmel singen.[238]

Mancher spricht: solchen Tanz habe ich nie gesehen,

Ich sage aber, was Plinius schreibt, daß es vor tausend

Jahren ist auch geschehen.

Einer der da singt,

Der Andre der da klingt

Und der Dritte der auf der Trommel klingt.

Trommelschläger schlag auf die Trommen,

Daß wir zu dem Tanzen kommen!


Hierauf begann der Tanz, wobei die Schellen taktmäßig nach ihren Tritten klangen. In der rechten Hand trugen sie Degen. Oft ging es im wirren Knäuel durcheinander, und mit überraschender Gewandheit schwenkten sie sich gleich darauf wieder in geregeltem Takte und in schönster Ordnung. Nachdem der Tanz beendigt war, sprach der Führer abermals zu den Zuschauern:

Dieser Tanz ist nun aus

Den wir den Herrn haben bracht zu Haus.

Die Herren werden sich auch bedenken,

Und werden uns ein Trankgeld schenken:

Ein Kopfstück oder vier,

So komm ich mit meinen Gesellen zum Bier;

Ein Kopfstück oder neun,

So komm ich mit meinen Gesellen zum kühlen Wein.

Nicht daß wir euch setzen Maas oder Ziel,

Ihr mögt uns verehren mehr oder viel. –

Da ich war wie ein Krug,

Da mich mein Vater zum Haus hinaus schlug.

Er gab mir einen weißen Stecken in meine rechte Hand,

Und wies mich damit in das dreiunddreißigste Land.

Ich zog das dreiunddreißigste Land auf und nieder,

Ich bettelt' mein Brod und verkauft' es wieder.

Da meinte mein Vater ich wäre verdorben,

Da war ich zu einem Kaufmann worden.

Ich hab' verthan mein Gut,

Bis auf einen alten Filzhut,

Der liegt zu Speyer auf dem Keller,

Und ist versetzt für drei Heller.[239]

Guter Gesell, willst Du ihn haben, ich will ihn Dir schenken,

Dabei sollst Du meiner gedenken!

Ihr Weiber auf der Reih!

Geht hin, holt uns eine Steig' Eier oder drei,

Oder schneid't ein Stück aus der Seite und schabt damit den Spahn,

Und sagt zum Hausvater, die Katz' hab' es gethan.

So wird die Katz' belogen,

Und der Hausvater betrogen.

Damit daß wir den Schwerttanz vollbringen,

Es möchte uns sonst mißlingen.

Darnach sollen meine Gesellen ihre Schellen lassen klingen,

Wie die Engel im Himmel singen,

Und lassen mich frisch und fröhlich zur Erde springen.

Hab ich aber mein Wort nicht recht gesprochen,

So gebt uns das Fleisch und den Hunden die Knochen!


Nach dieser Rede brachten ihnen die Zuschauer freiwillig Geld, Speck, Eier, Bratwürste etc.

Wie schon gesagt, war auch in späterer Zeit dieser Tanz nicht ohne Gefahr, es verlor noch im Jahr 1571 zu Iba, bei Rotenburg, einer der Tänzer sein Leben, indem er beim Tanze erstochen wurde.

Tacitus, Germ. cap. 24. – Winkelmann, III, 374. – Landau im hess. Volksbl. 1843, S. 352.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CCXXXVII237-CCXL240.
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