Viertes Capitel.

Der Oberstlieutenant.

[546] Die Nähe des Mineralbrunnens erinnerte uns wieder an die Gegenwart und daß wir unser vorläufiges Ziel erreicht hatten.[546]

Schweigend spähte meine Gefährtin nach der schattigen Umgebung der Quelle hinüber. Sie suchte ihren Onkel, den ich schon längst auf einer Bank ganz im Hintergrunde mit seiner trauten Lisette – wie seine Gattin hieß – zur Seite, entdeckt hatte.

»Sie versprachen mir doch, um diese Zeit hier sein zu wollen,« tönte es leise und mit dem Ausdruck der Enttäuschung von den jugendfrischen rothen Lippen.

»Sollten es nicht die Herrschaften dort drüben in dem Winkel sein?« fragte ich, indem ich, um nicht sogleich bemerkt zu werden, etwas zurücktrat; »ich erkenne wenigstens einen mächtigen weißen Schnurrbart –«

»Ja, ja, das sind sie –« unterbrach das junge Mädchen mich lebhaft, aber flüsternd, »ich will hier absteigen und mich ihnen heimlich nähern; bis jetzt haben sie mich noch nicht gesehen.«

In ihrem Eifer, die guten Alten zu überraschen, duldete sie es unbefangen, daß ich sie wie ein Kind aus dem Sattel hob; sie nahm sogar meinen Arm an, als ich ihr versprach, sie auf einem Umwege unbemerkt bis dicht vor ihren Onkel hinzuführen, und nachdem sie den Besitzer des Thieres angewiesen, auf weitere Befehle zu harren, traten wir unfern Weg an.

Wenn ich von einem Umwege gesprochen hatte, so war ich in meiner Versicherung zu weit gegangen. Einen Umweg kannte ich nicht, es war mir eben nur darum zu thun, überhaupt mit seiner Nichte am Arm von meinem Vormunde gesehen zu werden. Zwar hielt ich so viel wie möglich die äußerste Grenze des freien Platzes, doch schritt ich so wenig vorsichtig einher, daß meine liebliche Begleiterin sich nicht enthalten konnte, im Eifer mich mehrfach zurückzuziehen und mir warnend: »leise, leise!« zuzuflüstern.

So gelangten wir denn auch bis auf etwa fünfundzwanzig Schritte unentdeckt an die beiden alten Leute heran, jedoch weniger in Folge unserer behutsamen Bewegungen, als weil jene nicht auf die sich ihnen nähernden Personen achteten.

Die Tante hatte nämlich ihre Blicke auf den in ihren Händen befindlichen Strickstrumpf gerichtet und lauschte, anscheinend sehr aufmerksam, den Worten ihres Gatten, während dieser mit seinem Krückstock ein Kanonenrohr und darüber einen Kavalleriesäbel vor sich in den Sand zeichnete, dabei abwechselnd sprach und einige Züge aus seiner schweren, silberbeschlagenen Meerschaumpfeife that.

Der laute Schall meiner Schritte veranlaßte ihn endlich aufzuschauen, und zugleich schlug auch seine Gattin die Augen empor.

Eine Sekunde lang starrte er uns erstaunt an. Wahrscheinlich glaubte er seinem einzigen Auge nicht trauen zu dürfen, als er seine Nichte an meinem Arme sah, denn er hob mit einer hastigen Bewegung die dunkelgrüne Klappe, welche über sein blindes Auge niederhing, empor, dann über dieselbe wieder sinken lassend und seinen Stock heftig auf die Erde stoßend, brach er in ein lautes, herzliches Lachen aus.

»Johann!« rief er aus – in welche Form er den Namen seiner Nichte Johanna abgekürzt hatte – »Johann! Blitzmädel! Bei allen Graben und Bomben, die jemals ein preußisches Geschützrohr verließen, wo in aller Welt hast Du den da aufgegabelt?«[547]

»Lieber Onkel,« stotterte Johanna, ihre Hand von meinem Arm zurückziehend und vor Verlegenheit tief erröthend, »der fremde Herr war so gütig – er ist ein Freund Deines vortrefflichen Gustav – und er wünschte – ich glaubte – «

Was sie weiter sagen wollte, erstarb in einem erschütternden Gelächter ihres Onkels, der sogleich irgend einen meiner hinterlistigen Streiche vermuthete und durch seine ausgelassene Heiterkeit sogar seine ehrsame Gattin so weit fortriß, daß dieser der Strickstrumpf entfiel und sie, die Hände zusammenschlagend, mit in das Lachen einstimmte.

»Blitzmädel! – Junge! – Donnerwetter! – Sieht Dir ganz ähnlich!« waren die nächsten Worte, welche zwischen dem Ausbruch der Fröhlichkeit des alten Herrn hervorklangen, während Johanna vor Verwirrung glaubte, in die Erde sinken zu müssen und es ängstlich vermied, mir in die Augen zu schauen, wo sie sogleich eine Lösung des Räthsels gefunden hätte.

»Also der saubere Musje, den Du mir da bringst, ist ein Freund meines vortrefflichen Gustav?« fragte der Oberstlieutenant endlich, als wir vor ihm stehen blieben; »hast Du's gehört, Lisette?« wendete er sich sodann an seine Gattin, »der beste Freund meines vortrefflichen Gustav, der lieber zehnmal commerschirt, als daß er sich einmal nach seinem Taugenichts von Vormund umsieht! Lisette! Frau! Ist Dir je so etwas vorgekommen? Ein Freund meines vortrefflichen Gustav! hahaha!«

»Vergeben Sie mir meine kleine Unredlichkeit,« wendete ich mich jetzt an Johanna, um die peinliche Lage, in welcher sie sich befand, zum Abschluß zu bringen, »ich konnte nicht widerstehen, es lag ein so außerordentlicher Reiz – «

»Das war grausam, ungroßmüthig von Ihnen, Herr Wandel,« unterbrach mich Johanna stotternd, während ihre Wangen sich wieder mit der kreisförmigen brennenden Röthe bedeckten. Im nächsten Augenblick aber saß sie neben ihrer Tante, ihr holdes Gesichtchen verschämt auf deren Schulter verbergend.

»Ist es denn wahr, hat sie Dich nicht erkannt?« fragte der Oberstlieutenant, als ich, die Pause benutzend, zuerst ihm und demnächst seiner Frau grüßend die Hand reichte.

»Bitte, lieber Herr Oberstlieutenant,« sagte ich in stehendem Tone, mit einem verstohlenen Wink auf Johanna, »lassen Sie es jetzt ruhen, es war ein leichtsinniger Streich von mir, der Strafe verdient.«

»Ach was, leichtsinniger Streich;« fiel mir der alte Herr wieder lachend in die Rede, indem er mich neben sich auf die Bank zog, »der beste Streich, den Du hättest ausführen können; aber ich muß Alles wissen, wo, wann und wie Ihr Euch getroffen habt und wie es Dir gelungen ist, sie zu erkennen, ohne Dich selbst zu verrathen – aber Johann! hierher! Kopf in die Höh'! Brust heraus, zum Donnerwetter! Augen rechts!« commandirte er zu Johanna gewendet, die, gehorsam den an sie ergehenden Befehlen, aufgestanden und vor ihn hingetreten war, und nur dem Commando: Augen rechts! nicht Folge gab, weil sie mich dann hätte ansehen müssen.

»Augen rechts!« donnerte abermals der Oberstlieutenant.[548]

Johanna sah mich an, senkte aber eben so schnell ihre Blicke wieder, und ich hätte ihr zu Füßen fallen und sie um Verzeihung bitten mögen, als ich gewahrte, daß zwei große Thränen ihr über die Wangen rollten.

»Hast Du ihn Dir angesehen, Schätzchen?« fragte der Oberstlieutenant mit unverkennbarer Zärtlichkeit im Ton seiner Stimme, »hast Du ihn aber auch ordentlich angesehen, den besten Freund meines vortrefflichen Gustav?«

Johanna nickte mit einem verzeihenden Lächeln.

»Gut, mein Schätzchen, dann ärgere Dich nicht Weiler, es war ja kein Fremder, sondern unser Gustav, der Dir den Streich gespielt hat, und nun begrüße ihn, wie es sich gehört.«

»Herr Wandel,« sagte das liebe Mädchen, mir die kleine Hand reichend, »seien Sie uns herzlich willkommen.«

Ich war aufgesprungen und hielt ihre Hand in der meinigen, eh' ich aber ein Wort zu meiner Entschuldigung hervorbrachte, erschallte schon wieder des Oberstlieutenants derbe Stimme.

»Johanna, Mädel, Tausendsapperment, was soll das heißen? Herr Wandel und Sie? Gleich gieb ihm einen Kuß, aber nur einen, denn mehr verdient er nicht für seine Saumseligkeit, und dann sage: Guten Tag, lieber Gustav.«

»Vor allen Leuten?« fragte Johanna, mit einer bezaubernden Verwirrung um sich schauend.

»Vor der ganzen Welt, Schatzchen, er ist in meinem Hause so gut wie ausgewachsen, was so viel sagen will, er ist mein halbes Kind; Du bist meine Nichte, was eben so viel heißt, wie mein halbes Kind, und so will ich denn, daß Ihr Euch einander nicht fremd gegenübersteht; nicht wahr Lisette?«

Die Frau Oberstlieutenant gab lächelnd ein zustimmendes Zeichen und »Guten Tag, lieber Gustav!« sagte Johanna mit holder Befangenheit, worauf sie sich mir zuneigte und mir gestattete, ihre jungfräulichen Lippen im Kuß zu berühren.

»Und nun setzt Euch Kinder,« fuhr der Oberstlieutenant in seiner gütigen, heiteren Weise fort, »setzt Euch und erzählt mir vor allen Dingen, wo Ihr Euch gefunden habt; paß auf, Lisette, der Junge hat dem armen Mädchen gewiß gut mitgespielt, hahaha! Ich hätte Euch belauschen mögen!«

»Mitgespielt hat Herr Wandel's bester Freund mir arg genug,« versetzte Johanna mit einem lieben Schmollen; »es ist nur schade, daß ich so kurzsichtig gewesen bin; hätte ich geahnt, wer es war, der sich herausnahm, Alles zu bekritteln, was ich sagte, so würde ich den abwesenden Gustav gewiß nicht so in Schutz genommen haben und in meinem Urtheil über ihn bei weitem nicht so nachsichtig gewesen sein.«

»Schade, schade, mein Schätzchen, daß Du's nicht gewußt hast,« bemerkte der alte Herr behaglich schmunzelnd, »hättest ihn sonst einen Vagabunden, einen Schlingel, einen Taugenichts, einen – einen –«

»Brandfuchs,« ergänzte die Frau Oberförsterin schalkhaft.

»Richtig, Lisette, Brandfuchs ist ja die Bezeichnung, die ihm als ehrenrührig gilt, ja, Brandfuchs hättest Du ihn nennen müssen, um Dich demnächst an seinem langgezogenen Gesicht zu ergötzen – «

»Anstatt daß Herr Wandel – «[549]

»Gustav, Schätzchen, Gustav, Potztausendsapperment!« ermahnte der Oberstlieutenant.

»Anstatt daß Gustav sich über mich belustigt hat,« verbesserte Johanna sich, ihrem Onkel einen freundlichen Blick zusendend.

»Liebe Johanna, nicht belustigt habe ich mich über Dich,« rief ich dazwischen, und aufspringend und um meinen Onkel herumtretend reichte ich dem herzigen Mädchen die Hand, »aber versetze Dich in meine Lage und frage Dich, ob nicht ein unwiderstehlicher Reiz für mich darin liegen mußte, unerkannt über mich selbst sprechen zu können – «

»Und eine solche Menge unverdienter Schmeicheleien zu vernehmen,« fügte Johanna, ihre milden Augen zutraulich zu mir emporschlagend, hinzu.

»Nun ja, unverdient genug mögen sie gewesen sein, aber sie klangen doch so schön aus Deinem Munde, und der Eifer, mit welchem Du den leichtsinnigen Patron gegen meine Angriffe vertheidigtest –«

»Ja, aber warum habe ich ihn vertheidigt?« unterbrach mich Johanna, ihre plötzlich wieder erwachende Verlegenheit hinter ein fröhliches Lachen verbergend, »doch wohl nur, weil es meinem Rechtlichkeitssinn widerstrebte, den vermeintlich abwesenden, Herrn Gustav von seinem falschen Freunde so geschmäht zu hören. Uebrigens,« fuhr sie mit wachsender Verwirrung fort, »wissen Sie – mußt Du nicht vergessen, daß ich Dich nicht kannte, mein nachsichtiges Urtheil also nicht in Betracht kommt, zumal sich dasselbe ursprünglich auf meines lieben, theuern Onkels scherzhafte und partheiische Aussagen stützte.«

»Hast recht, Schätzchen,« versetzte der alte Herr, entzückt über die Art, in welcher Johanna sich auszureden suchte, »laß kein gutes Haar an dem Schlingel. Jetzt, da Du ihn kennst, wirst Du Dein eigenes Urtheil fällen können, sage ihm daher, daß er Dir Entsetzen einflößt mit seiner langen, reglementswidrigen Mähne und seinem gestickten Kapsel!«

»Entsetzen, will ich gerade nicht behaupten, aber meine Verwunderung muß ich darüber aussprechen, daß er es für einen Kavallerie-Offizier angemessen hält, sich von einem langohrigen Esel die Berge hinaufschleppen zu lassen,« entgegnete Johanna, nun ihrerseits zum Angriff übergehend.

»Was, Junge? So etwas hast Du Dir zu Schulden kommen lassen?« fragte der Oberstlieutenant mit erheucheltem Grimm, »Lisette, Sapperment! Der Junge muß Rekrut werden, für ein derartiges Majestätsverbrechen, und drei Jahre dienen! Sein Vater Kavallerie-Offizier, sein alter Vormund ein dito, und er? hahaha! ein Federfuchser, der kaum ein Pferd von einem Esel zu unterscheiden versteht!«

»Ja, ich bin schuldig,« gab ich zur Antwort, »ich habe es indessen so ernstlich nicht gemeint, und bitte allerseits um allergnädigste Absolution« –

»Parlire deutsch, Junge!« unterbrach mich mein Vormund, aus Furcht, daß seine Lisette in dem Wort Absolution eine Anspielung auf ihre Religion finden könne.

»Also, ich bitte allerseits demüthig um Vergebung, und verspreche namentlich meiner lieben Freundin auf mein heiliges Ehrenwort, in meinem ganzen Leben nie wieder unter einer falschen Maske vor sie hintreten zu wollen.«[550]

»Wie großmüthig,« entgegnete Johanna, dann aber stockte sie erschreckt, und ich gewahrte wieder die eigenthümlichen tiefrothen Maale auf ihren Wangen.

Ich folgte mit den Augen der Richtung ihrer Blicke und entdeckte leicht die Ursache ihrer innern Erregtheit, denn auf der Landstraße, auf der andern Seite der Rotunde schritt eben Bernhard vorüber. Die Hände hatte er auf dem Rücken zusammengeschlagen, das Haupt sinnend auf die Brust geneigt. So bewegte er sich langsam dahin, als ob er in tiefe Gedanken versunken gewesen wäre, am allerwenigsten aber uns bemerkt hätte. Daß er uns aber längst gesehen, unterlag keinem Zweifel, ebenso, daß seine Haltung eine durchaus berechnete und erkünstelte war.

Ich darf nicht leugnen, Bernhard's Einfluß auf Johanna's Gemüthsstimmung, der sich so deutlich in ihrem ganzen Wesen bekundete, schnitt mir tief in die Seele. Eifersucht war es eigentlich nicht, was ich empfand, aber meinen Haß gegen ihn fühlte ich wachsen, und eine wilde Freude gewährte mir in jenem Augenblick die Hoffnung, voraussichtlich in nächster Zeit ihm im Duell, womöglich auf Tod und Leben zu begegnen. Es waren dies eben die Gefühle eines jungen, selbstbewußten Studenten, der sich in der Seele des kaum gefundenen Gegenstandes seiner romantischen, schnell aufflammenden Liebe aufs Tiefste beleidigt fühlte.

Blitzschnell folgten diese Gedanken auf einander, so schnell in der That, daß weder der Oberstlieutenant, noch seine Gattin etwas von dem in mir vorgehenden Kampfe gewahr wurden. Das flüchtige Erröthen Johanna's entging ihnen indessen nicht, und der alte Herr, dasselbe für einen Beweis ihrer Verlegenheit haltend, suchte ihrer peinlichen Lage dadurch ein Ende zu machen, daß er eine mächtige Dampfwolle von sich hauchte, mit seinem Krückstock heftig auf die Erde stieß und uns aufforderte, Frieden zu schließen.

»Zanken sich die Kinder herum, als wenn Gott weiß, was für Verbrechen begangen worden wären,« rief er heiter aus, indem er Johanna's glänzende Locken spielend durch seine Hand gleiten ließ, welchem Beispiel ich für mein Leben gern gefolgt wäre, »Sapperment! und doch handelt es sich nur darum, zu bemänteln, daß sie Eins an dem Andern Gefallen finden, nicht wahr Lisette?«

»Alterchen, wie kannst Du hier von Zank sprechen,« entgegnete die würdige Dame, ihren geschäftig spielenden Stricknadeln geheimnißvoll zulächelnd; »ich finde es sehr natürlich, daß Johanna dem muthwilligen Jungen zürnt.«

»Ich zürne ihm ja nicht,« bemerkte Johanna, mich freundlich anschauend.

»Und noch weniger bemäntele ich, daß ich ganz unbeschreiblich großes Gefallen an meiner neuen Freundin finde,« fügte ich zu meinem Vormunde gewendet, hinzu.

»Ruhig im Gliede,« fiel dieser mit seiner Commandostimme jetzt ein, »Johann! gerade gesessen, Brust heraus, Sapperment noch einmal, Schätzchen, denke an Deine Lungen! Und Du, Junge, keine Neckereien mehr, und die ganze Geschichte von Anfang an erzählt; aber Alles, und nichts ausgelassen! Lisette, paß auf; nachher wird die Luft sich etwas[551] abgekühlt haben und dann wandern wir gemeinschaftlich nach dem Hotel zurück, um bei einer Flasche Mosel das Weitere zu verabreden.«

Ich kannte meinen Vormund zu genau, als daß ich hätte wagen mögen, seinem Befehl Widerspruch entgegenzustellen; denn wenn er auf der einen Seite, Alles zu umgehen wünschte, was seiner schüchternen Nichte im Geringsten unangenehm sein konnte, so bestand er auf der anderen Seite wieder eigensinnig darauf, gerade das, was Johanna's Verlegenheit auf's Neue hervorrufen mußte, bis in die kleinsten Nebenumstände geschildert zu hören.

Ich begann also damit, daß ich Johanna am Brunnen getroffen und von ihr die Erlaubniß erhalten habe, sie auf ihrem Ausfluge zu begleiten, doch erwähnte ich Bernhard's mit keiner Silbe. Indem ich vorsichtig vermied, sie an den Gegenstand ihrer heimlichen Scheu zu erinnern, glaubte ich ihren Wünschen entgegenzukommen. Ich täuschte mich nicht, denn ihre Züge nahmen sehr bald einen freieren Ausdruck an, der dadurch noch bis zu den der größten Heiterkeit gesteigert wurde, daß ich an Stellen, wo ich ihre Fragen betreffs meiner Person hätte wiederholen müssen, sie bat, mich in meiner Erzählung zu unterstützen. Sie that dies in einer offenen, liebenswürdigen Weise, und ihre Dankbarkeit für meine rücksichtsvolle Theilnahme hätte sie nicht sprechender an den Tag legen können, als daß sie, zum Ergötzen der beiden alten Leute, mit neckischer Schonungslosigkeit gegen sich selbst verfuhr.

So gelangten wir denn, gemeinschaftlich erzählend, bis zu dem Zusammentreffen mit Fräulein Brüsselbach. Aber auch hier begegneten sich unsere Gedanken wieder, indem keiner von uns der seltsamen Weissagung erwähnte, obwohl der phantastische Glaube an eine Offenbarung meiner Zukunft immer tiefer Wurzel in mir faßte, sich befestigte und schnell in die festeste Ueberzeugung verwandelte.

Indem wir aber erzählten, uns gegenseitig aushalfen und bei dieser oder jener Scene bald mit scherzhaften, bald mit ernsteren Ausschmückungen länger verweilten, und der Tante sinnige Bemerkungen und des Onkels derbe Commandoworte und herzliches Lachen uns vielfach unterbrachen, bildete sich bald ein so freundschaftliches Verhältniß zwischen Johanna und mir, daß, wären wir in demselben Hause aufgewachsen, wir uns nicht vertraulicher gegen einander hätten benehmen können. Immer seltener trat das fremde Sie an Stelle des geschwisterlichen Du, und als wir unsere Erzählung schon längst beendigt hatten, glaubten wir noch immer einzelne, besonders erwähnenswerthe Nebenumstände vergessen zu haben, die dann natürlich noch einmal bedächtig hervorgehoben und geschildert wurden.

O, es war eine glückliche, eine mir bis an mein Lebensende unvergeßlich bleibende Stunde, eine Stunde, wie sie den Sterblichen nur selten geboten wird, die aber dem Geist, selbst in den trübsten Zeiten, gleichsam eine Ruhestätte bietet, auf welcher er sich einer wohlthätigen Rast zu erfreuen, sich gewissermaßen zu erfrischen vermag. Und als dann der Oberstlieutenant endlich zur Heimkehr mahnte, und wir, nur noch spärlich von den schrägen Strahlen der Sonne getroffen, in der alten Allee nach dem[552] andern Ende des Dorfes hinunterwandelten, wie da beim Hinblick auf das liebe Mädchen an meiner Seite freudige Hoffnung meine Brust erfüllte! Der Gesang der Nachtigallen erschien mir so süß, wie noch nie in meinem Leben, in ihren Melodien, in dem Gejubel der Lerchen, ja in dem Lispeln der vor einem leisen Lufthauch zitternden Blätter glaubte ich einen freundlichen Gruß zu erkennen, auf den lachenden Gesichtern der uns begegnenden Landbewohner ein wohlgemeintes »Glückauf« zu lesen. –

Wir erreichten das Gasthaus schneller, als ich es wünschte, und doch waren wir so langsam einher, geschritten. Gemeinschaftlich nahmen wir ein einfaches ländliches Mahl ein, bei welchem es nicht an dem versprochenen Wein fehlte, aber auch dieses verstrich, wie auf den Flügeln des Windes, und vergeblich bat ich den Oberstlieutenant, noch ein Stündchen zuzugeben und nicht so frühzeitig den genußreichen Abend abzubrechen.

Der alte Herr blieb unerbittlich.

»Laß Dich nur bald auf der Oberförsterei sehen!« rief er mir noch zu, die beiden Damen winkten mit ihren Taschentüchern, und dahin rollte der Wagen auf der staubigen Straße dem Siebengebirge zu.

Sinnend schaute ich ihm nach, so lange ich ihn zu unterscheiden vermochte.


»Die Tochter ihres Vaters,

Sie ahnte wer er war,

Beseligt und beglückend

Folgt sie ihm zum Altar,«


wiederholte ich in Gedanken.

Da weckte mich ein kräftiger Schlag auf die Schulter aus meinen Träumen.

»Nun, altes Haus? willst Du uns Deine Gesellschaft ganz und gar entziehen?!« schallte es mir von einem Commilitonen entgegen.

Fast mechanisch schritt ich mit diesem nach einer Reihe von Tischen hin, um welche sich eine große[553] Gesellschaft Bonner Musensöhne zum heiteren Gelage vereinigt hatte.


»Wohlauf noch getrunken, den funkelnden Wein,

Ade nun, Ihr Lieben, geschieden muß's sein,«


ertönte es im harmonischen Chor.

Bald darauf saß ich in der Reihe der frohen Zecher, ich stimmte mit in das Lied ein, ich hielt die Melodie, ich sprach die Worte; mein Herz aber folgte dem Wagen meines Vormundes nach dem Siebengebirge, und in meinen Gedanken vibrirte es fort und fort:


»Die Tochter ihres Vaters,

Sie folgt ihm zum Altar.« –


Spät erst brachen wir auf; der Mond leuchtete uns freundlich auf unserm Wege durch die liebliche Landschaft; Reiter und Wagen mit Godesberger Gästen überholten uns in großer Anzahl, die muntern Signale eines Posthorns tönten lustig durch die schöne Sommernacht, und ebenso lustig drangen von den benachbarten Dörfern die nationalen Lieder der lustwandelnden Bauerburschen und Dirnen zu uns herüber.

Das feste Bewußtsein, diejenige gefunden zu haben, deren Geschick unauflöslich mit dem meinigen verbunden, die heitere Gesellschaft, die mich umgab, vielleicht auch das Feuer des unverfälschten Rebensaftes, begannen allmälig ihre Wirkung auf mich auszuüben. Zuerst leise und nur pausenweise stimmte ich mit in die fröhlichen Lieder meiner Gefährten ein; heitere Weisen wechselten mit ernsten und wehmüthigen ab, und je näher unserm lieben Bonn, in um so rosenfarbigerem Lichte erschien mir die Zukunft.

Als wir dann endlich, unsere Ziegenhainer schwingend, durch das gewölbte Coblenzer Thor gingen, da erschallte es aus voller Brust durch die nächtlich beleuchteten und vereinsamten Straßen:


»Frei ist der Bursch, –

Frei ist der Bursch!«


Quelle:
Balduin Möllhausen: Die Mandanenwaise. In: Deutsche Roman-Zeitung, 2. Jg., Band 2, Berlin 1865, S. 546-554.
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