Elftes Capitel.

Der Medicinmann.

Am folgenden Morgen in aller Frühe, noch eh' es zu dämmern begann, waren die Blackfeet bereits wieder in Bewegung.

Einige entfernten sich, um die in einer abgelegenen Schlucht weidenden Pferde herbeizuholen, andere trugen den Leichnam des erschossenen Gefährten davon, um ihn unten am Fluß zu verscharren und die Grabstätte durch eine Anhäufung von Steinen kenntlich zu machen und gegen die Wölfe zu schützen, und diejenigen, welche zurückgeblieben waren, theilten ihre Aufmerksamkeit zwischen mir und den zur Reise unerläßlichen Vorbereitungen.

An eine Flucht war vorläufig nicht zu denken; die Indianer wußten dies und scheuten sich daher nicht, Schanhatta von allen Banden zu befreien und auch meine Fesseln so weit zu lösen, daß ich die Hände nothdürftig gebrauchen konnte.

Sie hatten dabei mehr ihre eigene Bequemlichkeit, als meinen geschwächten Zustand im Auge, was mir indessen vollkommen gleichgültig blieb, wenn mir daraus nur einige Erleichterung erwuchs.

Bald nach Tagesanbruch trafen die ausgesendeten Krieger mit den Pferden bei uns ein. Es waren deren vierzehn, also genug, um nicht nur Alle beritten zu machen, sondern auch die erbeuteten Gegenstände mit fortzuschaffen.

Nicht wenig überraschte es mich, unter den Pferden zwei von den meinigen zu erblicken. Ich nahm daher an, daß Blackbird und seine Begleiter nach unserm letzten feindlichen Zusammentreffen auf der Insel nicht nach ihrem abgelegenen Dorfe zurückgekehrt waren, sondern, nachdem sie in Erfahrung gebracht, daß Dalefield und die Seinigen ohne uns in den Grenzansiedlungen eingetroffen seien, unausgesetzt nach uns geforscht und sich zu diesem Zweck mit solchen Pferden ausgerüstet hatten, welche ihnen eben zu Gebote standen. Es diente mir dies als neuer Beweis, welchen hohen Werth der Häuptling auf den Besitz Schanhatta's legte, und daß er lieber alles Andere, selbst seine Rache an mir, als auch nur ein Haar von Schanhatta gutwillig aufgegeben hätte.

Eine Stunde nach Sonnenaufgang waren wir endlich reisefertig. Die Sachen hatten auf den Rücken von drei Mustangs Platz gefunden, und da Schanhatta und ich ebenfalle beritten gemacht worden waren, die Pferde aber jener in den Prairien einheimischen und sehr dauerhaften Race angehörten, so waren wir im Stande, mit ungewöhnlicher Schnelligkeit zu reisen.

Dank den Bemühungen meiner treuen Gefährtin, fand ich auf der Reise selbst keinen Grund über harte[277] Behandlung zu klagen; und wenn auch der eine oder der andere Blackfoot mich hin und wieder verhöhnte und mit ausgesuchter Bosheit die Martern beschrieb, welche ich zu erdulden haben würbe, so erfreute ich mich doch einer gewissen Freiheit, die nur in so weit beschränkt wurde, daß während des Marsches meine Füße unterhalb des Pferdes mittelst starker Riemen zusammengefesselt waren, während ein anderer Riemen von dem Zaum meines Pferdes nach dem Sattel eines meiner Wächter hinüberlief. Zur nächtlichen Stunde mußte ich mir dagegen gefallen lassen, daß ich an Händen und Füßen gefesselt zwischen zwei Kriegern lag, und ein anderer Krieger mit geladener Büchse in meiner Nähe weilte, um mich bei dem geringsten Fluchtversuch niederzuschießen.

Die Tage der Reise verstrichen mit einer gewissen Gleichförmigkeit. Vom Aufgang bis zum Untergang der Sonne und zuweilen noch einen Theil der Nacht befanden wir uns im Sattel: nach dem Aufschlagen des Lagers war ich daher in Folge der von meiner Wunde noch zurückgebliebenen Schwäche, so erschöpft, daß ich die wenigen mir zur Rast vergönnten Stunden in fast ununterbrochenem Schlaf verbrachte.

Schanhatta, obgleich mit mißtrauischen Augen von Blackbird bewacht, blieb sich immer gleich; sie pflegte mich, so weit es eben möglich war, mit der Sorgfalt einer Mutter, und die wenigen Worte, welche sie nothgedrungen mit den Blackfeet wechseln mußte, brachte sie mit einem so unerschütterlichen, ihre tiefste Verachtung bekundenden Ernst hervor, daß diese zuletzt kaum noch wagten, sie anzureden, aus Furcht, wegen der ihnen zu Theil weidenden beleidigenden Antworten von ihren Gefährten verlacht zu weiden.

Ursprünglich hatte sie gehofft, während der Reise Gelegenheit zu finden, mich zu befreien und vereinigt mit mir auf den schnellsten Pferden der kleinen Heerde das Weite zu suchen, doch scheiterten alle ihre Pläne an der Wachsamkeit unserer Feinde, die uns während der wochenlangen angestrengten Reise nicht eine Minute aus den Augen ließen.

Trotzdem kam keine Klage über ihre Lippen; und nur daran, daß ihre Augen einen trüberen Ausdruck erhielten, ihre so vollen jugendfrischen Wangen einsanken, und sie sogar in ihren Tröstungen, welche sie mir zuflüsterte oder zusang, einsilbiger wurde, erkannte ich, daß auch ihre Hoffnungen allmälig zu erbleichen begannen, und ihr sonst nicht leicht zu beugender Muth immer mehr einem unbestimmten bangen Zagen wich.

Eines Morgens, wir mochten uns Wohl gegen drei Wochen unterwegs befunden haben, bemerkte ich, daß die Indianer sich mit größerer Sorgfalt, als gewöhnlich, zum Aufbruch rüsteten. Sie reinigten und[278] polirten ihre Waffen, die Skalplocken wurden mit Federbüschen und sonstigen Zierrathen versehen, und die tupfrigglänzenden Gesichter und Oberkörper bemalten sie sich mit rother, gelber und schwarzer Farbe so gräßlich und wild, als wären sie im Begriff gewesen, einen Skalptanz aufzuführen, oder sich auf den Kriegspfad zu begeben.

Auch Schanhatta reichte man Farben und Bärenfett, um sich festlich zu schmücken und ihr schönes Haar zu ordnen, doch wies sie nicht nur diese indianischen Aufmerksamkeiten mit unverhohlener Verachtung zurück, sondern sie streute sogar, um ihren Abscheu auf eindringliche Art an den Tag zu legen, zum größten Mißvergnügen Blackbird's, noch eine Handvoll Asche auf ihr Haupt. Sie wußte, was die festlichen Vorbereitungen zu bedeuten hatten, und nicht als die auserkorene Lebensgefährtin eines indianischen Kriegers wollte sie in das Dorf der Blackfeet einziehen, sondern als eine trauernde Gefangene.

Ein Marsch von zwei Stunden brachte uns auf eine etwas höhere, wellenförmige Anschwellung der Prairie, und als wir dann auf der andern Seite derselben wieder hinabritten, lag das große und reich bevölkerte Dorf der Blackfoot-Indianer vor uns.

Ein Flüßchen mit bewaldeten Ufern, dessen Windungen sich nach beiden Richtungen hin in weiter Ferne am Horizont verloren, zog sich durch das Dorf hin; ich entdeckte wenigstens von unserm erhöhten Standpunkte aus, daß auf beiden Seiten desselben zahlreiche Zelte und Hütten, durch kleinere und größere Zwischenräume von einander getrennt, bedeutende Flächen bedeckten, und in allen Richtungen Heerden von Maulthieren und Pferden weideten.

Es waren also wenig oder gar keine Aussichten für mich vorhanden, dem mir bestimmten grausamen Geschick zu entrinnen, und noch weniger, Schanhatta den Händen Blackbird's zu entreißen.

Gelang es uns indessen die Wachsamkeit unserer Feinde zu täuschen, wohin hätte ich mich mit meinem lahmen Fuß wenden sollen, und welche Pferde wären wohl ausdauernd genug gewesen, uns einigen Hundert dieser wilden und grausamen Verfolger zu entführen? Ein unüberwindliches Grausen ergriff mich, indem ich der nächsten Zukunft gedachte, und vergeblich versuchte ich mich damit zu trösten, daß die mir bestimmten Martern nicht ewig dauern und auch die Stunden der Qual zuletzt ihr Ende erreichen würden. Schanhatta, dieses liebe treue Wesen, als Sklavin und Spielball eines grimmigen Wilden auf Erden zurücklassen zu müssen, dieser Gedanke peinigte mich indessen noch mehr, als die bestimmte Aussicht auf das über mich verhängte gräßliche Ende, und so sehr hatte ich

mich meinem traurigen Grübeln hingegeben, daß ich gar nicht darauf achtete, wie meine Begleiter ihre Gewehre abfeuerten, um sich im Dorfe anzumelden und den glücklichen Erfolg ihres Unternehmens zu verkünden.

Auf das Schießen strömten denn auch Alt und Jung herbei, um uns zu begrüßen. Die uns begleitenden Krieger pries man geräuschvoll für ihre kühne That, mich und Schanhatta dagegen überhäufte man mit den wildesten Schmähungen, und namentlich war ich es, gegen welchen sich die Wuth einer Rotte scheußlicher Weiber kehrte.[279]

Wie ich später erfuhr, befanden sich unter diesen die Witwen der bei dem Angriff auf die Insel Gefallenen. Dieselben sahen in mir die alleinige Ursache des über sie hereingebrochenen Unglücks und bekundeten dies dadurch, daß sie mit den dicht gesät umherliegenden Knochen und Lederstücken nach mir warfen und unter teuflischem Geschrei ihr Messer drohend gegen mich erhoben.

Die uns umgebende Masse wüthender Megären und ihrer Kinder wuchs zuletzt in so hohem Grade an, und die Waffen wurden in so gefährlicher Nähe von mir geschwungen, daß unsere Begleiter ernstlich zu befürchten begannen, das blutige Drama würde durch einen sicher geführten Messerstoß zu einem verfrühten und deshalb weniger ergötzlichen Abschluß gelangen. – Mit sehr wenig Rücksicht sprengten sie daher unter den lärmenden Haufen, wofür sie von den zurückgedrängten und unter die Füße getretenen Stammesgenossinnen mit endlosen Verwünschungen, von den zuschauenden Männern dagegen mit schadenfrohem Lachen belohnt wurden. Als aber endlich ein stumpfer, von einem Knaben abgeschossener Pfeil dicht an meinem Kopfe vorbeischwirrte, da brachen sie, Blackbird an der Spitze, sich mit Gewalt Bahn, und im Galopp eilten wir nach der Mitte des Dorfes hin, wo eine geräumige Erdhütte, um welche herum sich vier oder fünf phantastisch bemalte Lederzelte erhoben, die Wohnungen der ältesten Krieger und weisen Männer der Nation bezeichnete.

Der tolle Haufen folgte uns zwar nach, und offenbar jetzt mit den allerfeindlichsten und blutdürstigsten Absichten, allein ehe die Vordersten bei der Erdhütte eintrafen, waren Schanhatta und ich von unsern Pferden gerissen und in dieselbe hineingedrängt worden. Ich vernahm noch das wüthende Geheul, mit welchem man meine Person herausforderte, da ich aber dem Anblick dieser von thierischem Blutdurst ergriffenen Menschen entzogen war, gelang es den Häuptlingen und älteren Kriegern leicht, sie durch Versprechungen zu beruhigen und endlich auch zu zerstreuen.

Ich selbst befand mich in einer Stimmung, daß die Wuth der Bevölkerung mich nicht mehr schreckte. Im Gegentheil, ich wünschte, derselben in die Hände gefallen zu sein, um unter den von wilder Rache geführten Messern ein schnelles Ende zu finden, anstatt daß ich jetzt den mir, und auch Schanhatta vergönnten Lebensrest, als eine ununterbrochene Reihenfolge von entsetzlichen Qualen betrachtete.

Erst nachdem die heulende und jauchzende Volksmasse sich zerstreut hatte, wendeten Blackbird und die Krieger, welche ihm bei der Gefangennahme behilflich gewesen, Schanhatta und mir ihre Aufmerksamkeit wieder zu. Blackbird, wenn nicht auch noch Andere Ansprüche an das geraubte Mädchen erhoben hätten, würbe dieses ohne Bedenken in sein Wigwam eingeführt haben; so aber blieb ihm nur der Ausweg, Schanhatta gleich mir zu fesseln und bis zur endgültigen Entscheidung als Gefangene behandeln zu lassen; doch wurde uns nicht der Trost zu Theil, zusammen in einem und demselben Raum verweilen zu dürfen.

Die von Außen einem Hügel ähnliche Hütte war nämlich durch feste Erdwände in mehrere kleinere und größere kellerartige Fächer eingetheilt worden, von welchen einzelne kaum geräumig genug, vier oder fünf[280] Menschen in gebückter Stellung neben einander aufzunehmen. In eins dieser Fächer nun wurde die an Händen und Füßen gebundene Schanhatta gebracht, während man mich, nachdem man mich in gleicher Weise, aber rücksichtsloser gefesselt, in eine andere der finstern Höhlen stieß und sodann den Ausgang mit Pfählen und Steinen fest verrammelte.

Glücklicher Weise war die Heilung meiner Wunde in den letzten Wochen, trotz des beschwerlichen Marsches, so weit fortgeschritten, daß die fest um meine Fußgelenke geschnürten Riemen keine schmerzhafte Wirkung mehr auf sie ausübten. Ich hatte also keine anderen Schmerzen zu erdulden, als diejenigen, welche mir aus meiner gezwungenen Lage erwuchsen, und auch diese waren verhältnißmäßig noch immer erträglich, weil ich mich von der einen Seite auf die andere wälzen und um das Stocken des Blutes zu verhindern, meine Füße auf und nieder bewegen konnte.

Um weniger über mein trauriges Loos nachzudenken, verbrachte ich daher meine Zeit hauptsächlich damit, daß ich abwechselnd meinem Körper eben diejenige Bewegung zu Gute kommen ließ, welche mir möglich war, und dann wieder in einen dumpfen Mittelzustand zwischen Wachen und Schlafen zurücksank.

Lange Stunden hatte ich in dieser Weise dagelegen, und wiederum hatte mich ein unruhiger Schlaf allen irdischen Sorgen und Qualen entrückt, als ich durch das Murmeln einer Anzahl männlicher Stimmen zum Bewußtsein zurückgerufen wurde.

Aufmerksam und mit tödtlicher Spannung lauschte ich. Ungewiß darüber, ob es noch Tag sei, ob die Nacht hereingebrochen, oder ein neuer Tag die Nacht bereits wieder verdrängt habe, erwartete ich schon, daß man komme, um die Rache für das Tödten der Blackfoot-Krieger an mir zu vollziehen. Da erschien es mir plötzlich, als ob die murmelnden Stimmen sich ganz dicht an mir vorbeibewegten und endlich, in einer gewissen Entfernung angekommen, Halt gemacht hätten.

Leicht errieth ich, daß die angesehensten Krieger und Medicinmänner unter den verschiedenen Häuptlingen in der Zauberhütte zusammengetreten seien, einestheils, um über meine Person und das über wich zu verhängende Urtheil zu berathen, anderntheils um den über den Besitz Schanhatta's und des Manuscriptes oder vielmehr des Zauberpapiers schwebenden Streit zu schlichten.

Meine Vermuthung fand ich bestätigt, indem nach einiger Zeit das Murmeln verstummte und dafür lange, mit indianischem Pathos gehaltene Reden folgten.

Obwohl die Sprache der Blackfoot-Indianer nur wenig von der gewöhnlichen Sioux-Sprache abweicht, verstand ich doch nur höchst selten ein einzelnes Wort. Die Wände, welche mich von dem Berathungsgemach trennten, waren zu dick, der höhlenartige Bau überhaupt zu niedrig und daher jeder Schall zu sehr dampfend; wohl aber erkannte ich die Stimme Blackbird's, der ohne Zweifel feine Rechte an die Mandanenwaise und das sprechende Papier darzulegen suchte, und die Stimme des andern Kriegers, der ihm bereits bei frühern Gelegenheiten seine Anrechte an diese beiden kostbarsten Theile der Beute streitig gemacht hatte.[281]

Die Verhandlungen dauerten lange und schienen sehr ernst zu werden, und laut knisterte und knackte das Berathungsfeuer, welches man ebensowohl der größeren Feierlichkeit wegen, als um den kellerartigen Raum zu erhellen, in der Mitte des Kreises gerade unterhalb der engen Rauchöffnung in der Bedachung schürte. Als die Versammlung bann endlich aufgehoben wurde, war man noch immer nicht zu einem festen Entschluß gekommen, denn nicht schweigend, wie es sonst Sitte, entfernte man sich aus der »Medicin-Hütte,« sondern murmelnd und verhandelnd, als ob ein Theil der Anwesenden sich für oder gegen die zur Sprache gekommenen Streitfragen erklärt habe.

Sobald die Stimmen endlich ganz verhallt waren, vernahm ich, wie Jemand die Thüröffnung von Innen schloß und fest verrammelte. Eine Schildwache würde diese Sicherheitsmaßregeln von Außen angewendet haben; es erwachte daher in mir die mich fast vernichtende Furcht, daß Blackbird heimlich in der Hütte zurückgeblieben sei, um seine grausamen Pläne an Schanhatta und mir auszuführen.

Die bald darauf eintretende tiefe Stille war keine Beruhigung für mich. Mein Ohr konnte nicht getäuscht werden; zu deutlich errieth ich aus dem fortgesetzten Knistern und Knacken des brennenden Holzes, und aus dem Geräusch, mit welchem von Zeit zu Zeit neue Scheite in die Flammen geworfen wurden, daß außer mir und Schanhatta noch eine dritte Person in der unheimlichen Zauberhütte weilte.

An Ruhe war in Folge dessen bei mir jetzt nicht mehr zu denken; denn meine Spannung wuchs in so hohem Grade, daß mir das Blut die Schläfen zu sprengen drohte und ich völlig empfindungslos gegen die mir aus meiner gezwungenen Lage erwachsenden Schmerzen wurde.

In jedem Augenblick erwartete ich Schanhatta's erstickten Hülferuf zu hören, in jedem Augenblick den rachsüchtigen und von den wildesten und zügellosesten Begierden erfüllten Blackbird bei mir eintreten zu sehen, um mich zu peinigen und zu verhöhnen und mit seinem scheußlichen Triumph über die mißhandelte Mandanenwaise zu prahlen.

Doch Alles blieb ruhig in meiner nähern Umgebung, nur zuweilen glaubte ich, da das Gehör sich bei der andauernden Spannung gewissermaßen verschärfte, einen dumpfen Seufzer oder einen kurzen Ausruf des Schmerzes zu unterscheiden. Diese traurigen Laute rührten indessen nicht von Schanhatta her, sie kamen aus einer tiefen männlichen Brust, und ein beängstigendes Gefühl beschlich mich, als ich der Möglichkeit gedachte, daß man uns vielleicht mit einem der Wahnsinnigen, welche die Eingeborenen als große Medicinmänner verehren, durch deren Mund ihr Manitou zu ihnen spricht, zusammen eingesperrt habe.

Was stand zu erwarten, wenn wir wirklich den thierischen Leidenschaften eines indianischen, vom bittersten Haß gegen die Weißen erfüllten Geisteskranken, preisgegeben waren?

Zwar suchte ich mich zu überreden, daß man Schanhatta schwerlich opfern würde, nachdem ihre Entführung so viel Zeit und Mühe gekostet, und dennoch war es nicht unwahrscheinlich, daß die einflußreichsten und einsichtsvollsten Häuptlinge und Medicinmänner[282] sie gerade zu verderben trachteten, um sie nicht die Veranlassung zu blutigem Zwiespalt zwischen den Kriegern derselben Nation werden zu lassen.

Stunde auf Stunde verrann; im Dorfe, namentlich in den näheren Zelten, aus welchen so lange der dumpfe Schall der indianischen Trommel und wilder unharmonischer Gesang bis zu mir gedrungen war, wurde es still, und seltener ertönte das eigenthümliche vibrirende Gellen, mit welchem die jungen Krieger von dem einen Ende des Dorfes nach dem andern hinüber sich gegenseitig ihre verabredeten Signale gaben, oder im Uebermuth ihre frohe Stimmung verkündeten. Das Knistern des Feuers und das Stöhnen und Seufzen auf der andern Seite der mich von dem Hauptgemach trennenden Erdmauer dauerte dagegen fort, mich mit einem nie gekannten Grausen erfüllend.

Endlich war außer dem widerwärtigen Lärm der um Knochen und Fleischüberreste kämpfenden halbverhungerten Hunde jedes Geräusch im Dorf verstummt. Es mußte daher Mitternacht sein, also die Stunde, in welcher man annehmen durfte, daß die ganze Blackfoot-Bevölkerung sich dem Schlafe hingegeben habe.

Diesen Zeitpunkt schien mein geheimnißvoller Nachbar zur Ausführung seiner Pläne, welcher Art sie auch sein mochten, abgewartet zu haben, denn auch das schmerzliche Stöhnen erreichte plötzlich sein Ende, wogegen, nach dem Geräusch zu schließen, das Feuer noch einmal frisch geschürt und mit neuen Holzscheiten genährt wurde.

Gleich darauf herrschte aber tiefe Stille, welche nach einigen Minuten dadurch eine Unterbrechung erhielt, daß die vor Schanhatta's Kerker aufgethürmten Blöcke und Felsstücke zurückfielen. Die weichen Mokassins an den Füßen des seltsamen Wesens in Verbindung mit den behutsamen Bewegungen hatten dessen Tritte so sehr gedämpft, daß deren Schall nicht bis zu mir durchdringen konnte.

»Armes, unglückliches Mädchen,« dachte ich, indem sich mein Herz krampfhaft zusammenschnürte, und nachdem ich von Wuth und Verzweiflung einigemal ohnmächtig an meinen Banden gezerrt, daß ich das Blut warm von meinen Händen niederrieseln fühlte, lauschte ich mit angehaltenem Athem aus das Geräusch, aus welchem ich des bejammernswerthen Kindes Geschick zu errathen suchte.

Doch Alles blieb still, nur ein dumpfes eintöniges Murmeln, von welchem ich nicht sagen konnte, ob es aus Schanhatta's Kerkerhöhle, oder von außen herrühre, erreichte mein Ohr. Es überlief mich eiskalt, indem ich bedachte, daß sie vielleicht schon todt sei, oder mit der ihr innewohnenden Willenskraft jeden Ausruf des Schmerzes unterdrücke, von dem sie wußte, daß er mir das Herz zerschneiden würde.

Minuten verrannen, lange schreckliche Minuten, doch nichts rührte sich in der ganzen Hütte. Eine Viertelstunde, eine halbe Stunde ging dahin, und noch immer erduldete ich jene Folterqualen gräßlicher Ungewißheit, welche in ihrer schmerzhaften Wirkung von den ausgesuchtesten indianischen Martern nicht hätten übertroffen werden können.

Endlich, endlich unterschied ich das Geräusch, mit welchem die Blöcke wieder vor Schanhatta's Gefängniß gelehnt und das sorgfältige Uebereinanderthürmen von Steinen gegen das Umfallen geschützt und gesichert[283] wurden. Ich athmete auf, doch war die schreckliche Ungewißheit noch nicht gehoben, denn vor mei ner erhitzten Phantasie schwebten die furchtbarsten Bilder, in welchen ich Schanhatta bald als verstümmelte Leiche, bald als das bedauernswürdige Opfer indianischer thierischer Leidenschaften erblickte.

Meine fieberhaft durcheinander wirbelnden Gedanken ordneten sich erst wieder einigermaßen, als nach einer kurzen Pause lautloser Stille Jemand unter den vor meiner Höhle angehäuften Steinen und Holzstücken zu stören und zu arbeiten begann und gleich darauf zwischen den geöffneten Fugen hindurch ein schwacher Lichtschimmer zu mir hereinfiel. Stein auf Stein, Block auf Block sanken zurück, in dem Maße als die letzten Hindernisse beseitigt wurden, vermehrte sich auch der Lichtschimmer schnell und bald darauf schob sich eine röthlich leuchtende Holzfackel zu mir herein.

Wer den Feuerbrand trug, konnte ich anfangs nicht unterscheiden, denn der Uebergang von der Finsterniß, in welcher ich so viele Stunden zugebracht hatte, zur flackernden Helligkeit war so plötzlich, daß ich dadurch geblendet wurde und meine Augen schließen mußte. Als ich mich aber an das Licht gewöhnt hatte und wieder um mich zu schauen vermochte, bot sich mir ein Anblick, so seltsam und dabei so beängstigend, daß ich nicht an die Wirklichkeit zu glauben wagte und mich zweifelnd ein Mal über das andere Mal fragte, ob ich wache oder träume, oder von krankhaften Visionen heimgesucht werde.

Im Eingänge der Höhle, also gerade zu meinen Füßen, und wegen der Niedrigkeit der Bedachung etwas gebückt, stand nämlich eine männliche Gestalt, welche dieser Welt gar nicht mehr anzugehören, sondern von einem mit den wunderlichsten Gebilden wimmelnden indianischen Paradiese entflohen zu sein schien.

Ein ursprünglich hochgewachsener, durch das Alter und auch wohl durch erduldete Leiden zusammengekrümmter Greis, in der einen Hand den flackernden Feuerbrand, in der andern mein Manuskript, schaute regungslos, wie eine Statue, zu mir nieder, als ob er mir Zeit habe lassen wollen, ihn in allen seinen Theilen genau zu betrachten und mich an seinen Anblick zu gewöhnen. Und dennoch übte er weniger einen erschreckenden oder drohenden, als einen befremdenden Eindruck auf mich aus, obgleich die bewegliche rothe Beleuchtung das Ihrige dazu beitrug, seinem Aeußern einen unheimlichen, gnomenartigen Charakter zu verleihen.

Die tief in ihre Höhlen zurückgesunkenen Augen hatten sogar einen milden Ausdruck, oder doch wenigstens nichts von jenem düsteren Fanatismus, wie ich ihn sonst wohl bei geistesverwirrten Medicinmännern – und diesen erkannte ich ja als einen solchen – beobachtet hatte.

Auf seinem Haupte trug er einen prächtigen Schmuck von den Schwung- und Schweiffedern des Kriegsadlers, deren einzelne Spitzen noch mit einem Büschel roth gefärbter Pferdehaare besonders verziert waren. Sein weißes Haar fiel lang und schlicht von seinen Schläfen auf die breiten und, wegen ihrer Hagerkeit, eckigen Schultern nieder; am meisten aber fetzten mich an ihm, als an einem Indianer in Erstaunen, daß ein voller, mittelst des unter den Eingeborenen[284] gebräuchlichen pulverisirten Zinnobers roch gefärbter Bart ihm bis tief über die Brust hinab sank.

Seine Züge genauer zu unterscheiden, hielt schwer, indem die eine Hälfte seines runzeligen Antlitzes ebenfalls feuerroth, die andere dagegen dunkelblau gefärbt war, doch bemerkte ich, daß ihm die den Eingeborenen im Allgemeinen charakterisirenden, hervorstehenden Backenknochen mangelten, wogegen wieder eine echt indianische scharfe Adlernase weit über den feuerfarbigen Schurrbart hinausragte.

Außer den unbehaarten Theilen seines Gesichtes waren nur noch die beiden schwarz gefärbten Hände zu sehen, indem ein kunstvoll gearbeiteter und mit Perlen und Stachelschweinkielen reich gestickter Lederumzug seinen übrigen Körper verhüllte, und an diesem wieder die üblichen Embleme eines Zauberers, als Bälge von kleinen Nagethieren, Vogelköpfe, Schlangenhäute, Bärenkrallen, Pantherzähne, Haarbüschel von Büffeln und Pferden und getrocknete Eidechsen in Fülle befestigt waren.

Seine Hüften umschloß ein breiter gestickter Gurt und an diesem hingen, um das Aeußere eines Medicinmannes zu vervollständigen, der in einen Beutel umgearbeitete vollständige zottige Balg eines Stinkthiers, eine aus Hirschklauen angefertigte Klapper und ein ausgehöhlter Flaschenkürbis.

So stand also der seltsame Greis vor mir, seine milden Augen mit einer Theilnahme auf mich lichtend, die eindringlicher, als Alles, dafür bürgten, daß der Eigenthümer derselben, in welcher Weise die Gestörtheit seines Geistes sich auch immer offenbaren mochte, am allerwenigsten fähig sei, Schanhatta ein Leid zuzufügen.

Die Erscheinung des geheimnißvollen Medicinmanns hatte mich freilich im höchsten Grade überrascht, doch vertraut mit den indianischen Eitlen, erblickte ich in derselben gerade nichts Ungewöhnliches; meine Ueberraschung verwandelte sich aber in das grenzenloseste Erstaunen, als er, nachdem er mich eine Weile sinnend betrachtet hatte, zu sprechen anhob.

»Glauben Sie an Prophezeiungen?« fragte er mit hohler Grabesstimme, und zwar in so reinem Deutsch, wie nur Jemand zu Gebot stehen konnte, der seil seiner frühsten Jugend mit dieser Sprache vertraut gewesen.

Mit einer Mischung von Freude und unbestimmter Furcht starrte ich zu dem Medicinmanne empor. Ich wußte nicht, hatte ich recht gehört, oder befand ich mich unter dem Einfluß einer Sinnestäuschung.

»Glauben Sie an Prophezeiungen?« fragte der Greis wieder mit demselben geheimnißvollen Ausdruck.

»Was soll das heißen und wer sind Sie?« fragte ich endlich zurück, mich gleichfalls der deutschen Sprache bedienend, obgleich es mir schien, als seien die an mich gerichteten Fragen die einzigen deutschen Worte, welche der Zauberer kannte.

»Ich frage Sie,« antwortete der Greis ernst und feierlich, »ob Sie glauben, daß es einem Sterblichen vergönnt sei, in der Zukunft zu lesen und seinen Mitmenschen ihr Schicksal vorherzusagen?«

»Sie sind wirklich ein Deutscher, und dazu noch in solcher Verkleidung?« fragte ich auf's Heftigste erregt, denn ich begann zu glauben, daß der Fremde,[285] offenbar ein Europäer, nur um mich zu retten, die Rolle eines indianischen Zauberers übernommen habe.

»Kümmern Sie sich nicht darum, wer ich bin,« entgegnete der Medicinmann mit einer Anwandlung von Ungeduld, »es genüge Ihnen zu wissen, daß ich die weißen Menschen nicht kenne, nicht kennen will; ich bin eine Rothhaut und nun beantworten Sie mir meine Frage, vergeuden Sie nicht die edle Zeit mit nutzlosen Fragen. Nur Weiber fragen. Männer verstehen zu schweigen; ich habe in dieser Nacht bereits mehr gesprochen, als sonst in Jahren. Glauben Sie an Prophezeiungen?«

»Also doch ein Unglücklicher,« dachte ich, und um ihn nicht noch mehr aufzureizen, ging ich auf die sonderbare Unterhaltung ein, »Ich glaube nicht an Prophezeihungen,« versetzte ich sodann ruhiger, »obgleich ich zugebe, daß der Zufall es hin und wieder fügt, daß übersehbare, vielleicht auch berechenbare Weissagungen wirklich eintreffen.«

»Thor!« erwiderte der räthselhafte Fremde geringschätzig lächelnd. »Du wagst es, dergleichen zu behaupten? Du, den das Geschick sich erkoren hat, um an ihm ein schlagendes Beispiel zu liefern?«

»Ich möchte wissen, in welcher Weise?« fragte ich immer noch begütigend, »aber wer Sie auch sein mögen, und was Sie auch immer dazu bewegt, Ihr Herkommen zu verleugnen, ich bitte Sie darum, ich flehe Sie an, sagen Sie mir, was aus Schanhatta, dem jungen Indianermädchen geworden ist, welches in meiner Gesellschaft hier eintraf, sagen Sie mir das und versprechen Sie mir, über das arme unschuldige Kind zu wachen, und ruhig will ich die Martern ertragen, welche wahrscheinlich über mich verhängt werden.«

»Schanhatta?« fragte der Greis, und ein freundliches, wohlwollendes Lächeln erhellte flüchtig seine eisenharten Züge; »Schanhatta? Jeannette wollen Sie wohl sagen; ja Jeannette oder Johanna, Aber Sie haben Recht, Jeannette, dieser Name erinnert zu sehr an die Weißen und die unter ihnen mit so viel Sorgfalt gepflegten Laster; an scheinheilige Gesichter, die mit dem Wort Gottes spielen, um unter dem Deckmantel der Religion straflos die empörendsten Verbrechen ausüben zu können. Hu, es war schrecklich! Schanhatta, Schanhatta, wer hätte es gedacht – nicht wahr, Sie lieben Schanhatta?«

»Ich sollte Schanhatta, dieses treue, liebe Mädchen, das Einzige, was mich noch an's Leben fesselt, nicht über Alles lieben?«

»Und wenn Sie unter die Weißen zurückkehrten, würden Sie Schanhatta heirathen und eine gebildete Frau aus ihr machen?«

»Ich weiß zwar nicht, was Sie dazu bewegt, diese Frage an mich zu stellen,« entgegnete ich, obgleich die Ahnung in mir aufstieg, daß ich in dem verkleideten Europäer den Vater der Mandanenwaise vor mir sehe, welchen die Blackfeet einst mit sich fortgeschleppt hatten, »doch können Sie zum wenigstens nicht mit unfreundlichen Absichten in einer solchen Weise zu mir sprechen; ich sage Ihnen daher, ja ich will Schanhatta zu meiner rechtmäßigen, christlichen Gattin machen, wie ich auch weiß, daß ich durch einen solchen Schritt nicht nur mein eigenes, sondern auch ihr vollstes irdisches Glück begründe, aber – dergleichen[286] klingt kindisch aus meinem Munde, ich bin Gefangener, und weiß, was ich hier zu erwarten habe.«

»Schanhatta befindet sich in einer verhältnißmäßig bequemen Lage,« bemerkte der Medicinmann zerstreut, indem er das Manuscript in sein gesticktes Lederhemd schob und demnächst durch Entfernung der Kehlen und leichtes Schwingen seine Holzfackel zur Hellern Flamme anfachte; »ich habe sie getränkt und gespeist, ich habe ihr Geduld anempfohlen und versprechen, sie zu retten. Auch Dir, mein Freund, bringe ich Trank und Speise, aber bevor ich Dir Beides reiche, sage mir, schmerzen Dich die Fesseln? Ganz entfernen darf ich sie nicht, es könnte entdeckt werden, aber lösen will ich sie, so daß Du es leichter erträgst und Deine Gelenke nicht erlahmen; Du wirst Deine Glieder wahrscheinlich in nächster Zeit angestrengt gebrauchen müssen.«

Ich erklärte darauf, eine geringe Lockerung meiner Banden würde mir meine Lage erheblich erleichtern.

Der geheimnißvolle Greis beeilte sich, meinen angedeuteten Wunsch mit kundigen Händen zu erfüllen, worauf er sich neben mich auf die Erde niedertauerte und mir abwechselnd die mit frischem Wasser gefüllte Kürbisflasche an die Lippen hielt und einige Scheiben gedorrtes Büffelfleisch darreichte.

Die Fackel und einige in seinem Gürtel steckende Cedernscheite brach er sodann in kleinere Splitter, und nachdem er nahe der Thüröffnung, so daß der Rauch in den Hauptraum der Hütte hinauszog, ein kleines Feuer angelegt, welches er bequemer, als die unbeholfene Fackel in Brand zu erhalten vermochte, wendete er sich mir wieder zu.

»Sie fragen, mit welchem Recht ich mich nach Ihren Absichten, betreffs Schanhatta's, erkundige,« hob er an, seine Augen wieder mit mildem, wehmüthigem Ausdruck auf mein Gesicht heftend; »nun wohl, ich gestehe Ihnen ein Recht zu, eine derartige Frage au mich zu richten. Jeannette ist meine leibliche Tochter, sie ist meine und meiner braven und treuen Mandanenfrau Tochter. Auf ihrer Schulter steht es geschrieben; ich selbst tätowirte den Namen ein; jetzt ist er schwer zu lesen, die Jahre haben die Zeichen verwischt, doch erkannte ich die von mir sorgfällig eingeätzten Linien augenblicklich wieder. Ja, Jeannette ist meine Tochter,« wiederholte er, mit einem Ausdruck in's Leere starrend, als ob er sich auf etwas besinne, was mir, trotz feiner wohl geordneten Rede, wieder als eine Folge von Geistesabwesenheit erschien; »Jeannette ist meine Tochter, ich glaubte, sie sei todt, todt, wie ihre Mutter. Die falschen Men schen, sie zeigten mir die mit seidenweichem Haar bedeckte Kopfhaut eines Kindes und den getrockneten, blutigen Skalp einer Frau; sie sagten, es seien die letzten Ueberreste meiner Tochter und derjenigen, die mich mit treuer Anhänglichkeit pflegte und vor Gott meine rechtmäßige Gattin war. Sie haben mich belogen; mein Gedächtniß war geschwunden; weshalb sie wünschten, mich als Medicinmann unter sich zu haben. Hahaha! sie glaubten, ich sei weiser, als andere Menschen, und ich versteh? doch weiter nichts, als sie zu täuschen. Aber halt – wo blieb ich stehen? Ach ich entsinne mich, Jeannette ist meine Tochter, Sie wollen sie zu Ihrer Gattin machen und die Prophezeiung erfüllen.«[287]

»Welche Prophezeihung?« fragte ich erschreckt, denn die Hoffnung auf Rettung, welche der fremde Freund kurz vorher durch sein Benehmen und die sich daran knüpfenden Versprechungen wachgerufen, zerfiel wieder in nichts, sobald ich mich überzeugte, daß er sich in einem Seelenzustand befand, von dem sich kaum irgendwelche Hülfe erwarten ließ. Denn wie sollte ich mir sein ängstliches Anklammern an eine eingebildete Prophezeihung anders erklären, als daß ich ihn den Einflüssen einer krankhaften Phantasie unterworfen glaubte?


»Die Tochter ihres Vaters,

Sie ahnte wer er war,

Beseligt und beglückend

Folgt sie ihm zum Altar!«


sprach Schanhatta's Vater langsam und ausdrucksvoll, statt einer Antwort, vor sich hin.

»Sie haben in meinem Manuscript gelesen?« entgegnete ich mit einem tiefen Seufzer über die Hoffnungslosigkeit Schanhatta's und meiner Lage.

»Ich habe in Ihrem Manuscript gelesen; fast zwölf Stunden habe ich ununterbrochen gelesen, bald hier, bald dort. Es war zu viel, um es Wort für Wort in mich aufzunehmen. Aber ich weiß genug, ich weiß, daß die Prophezeihung –«

»Lieber Freund,« unterbrach ich den alten Mann, um einem weiteren Abirren seiner Gedanken vorzubeugen, »Sie haben vielleicht übersehen, daß jene Worte von einer Wahnsinnigen herrühren, und ich, damals noch ein zu romantischen Träumen hinneigen der und hochfliegenden Plänen nachjagender junger Mensch in fast kindischem Uebermuthe erst selbst eine Prophezeihung daraus machte?«

»Ich habe nichts übersehen; ich bin seit Jahren eine Rothhaut; Rothhäute sündigen, weil sie es nicht besser wissen und verstehen; die Weißen dagegen begehen die schwärzesten Verbrechen, aus Liebe zu den Verbrechen. Die geistigen Qualen ihrer Mitmenschen bereiten ihnen eine ebenso große Freude, wie den Indianern die Qualen ihrer Feinde am Marterpfahl. Die Verse rühren von einer Wahnsinnigen her, durch den Mund der Wahnsinnigen spricht Manitou zu seinen Kindern. Ich bin ein indianischer Medicinmann, Obgleich nur ein Gefangener der Blackfeet, besitze ich doch großen Einfluß unter ihnen. Die Blackfeet glauben an meine Worte, und ich glaube an die Prophezeihung der Wahnsinnigen. Die Tochter ihres Vaters, ja ja, mein Sohn, sie folgt Dir zum Altar, an ihrer Seite findest Du der Lieb? Glück – der Liebe wahres Glück – Hahaha! ohne daß ein heimtückischer Pfaffe es zu zerstören vermöchte!«

»Besinnen Sie sich, besinnen Sie sich, lieber Freund!« bat ich jetzt dringend, »Sie haben so lange nicht mit Weißen verkehrt, daß es Ihnen fremd oder vielmehr nur unbequem geworden ist, deren Anschauungen sogleich aufzufassen. Mein Manuscript hat keinen guten Einfluß auf Ihre Gemüthsstimmung ausgeübt. Aber ich beschwöre Sie, bei Allem, was Ihnen, was mir heilig, kämpfen Sie Ihre Aufregung nieder, ordnen Sie Ihre Gedanken und versuchen Sie ein Mittel zu ergründen, durch welches wenigstens Ihre Tochter dem ihr drohenden entsetzlichen Geschick entrissen wird. Bedenken Sie, Ihre von der Natur so reich bevorzugte und so viel versprechende Tochter,[288] und die Sklavin eines grausamen, eingeborenen Kriegers! Vergessen Sie, was Sie gelesen haben, vergessen Sie die Prophezeihung, denn diejenige, auf welche ich dieselbe einst glaubte beziehen zu dürfen, ruht bereits seit vielen Jahren im Grabe!«

»Vergessen soll ich, mein Sohn?« fragte der Medicinmann, mich traurig anblickend und seine kalte Hand auf meine Stirne legend; »nein, ich vergesse Nichte. Aber vergegenwärtigen will ich mir Alles, was der Vergangenheit bereits anheimgefallen war. Dein Manuscript hat mich aus meiner Betäubung geweckt, hat mich zuerst auf die Spur meiner Jeannette geführt, und sie und Du, Ihr sollt Beide gerettet werden – doch warte – die Prophezeihung – ich muß mich besinnen, muß, wie Du sagst, meine Gedanken ordnen, muß Licht in meine Vergangenheit bringen.«

So sprechend schlang er seine Arme um seine emporgezogenen Kniee und als ob er aus dem Feuerschein etwas herauszulesen vermocht hätte, starrte er regungslos in die kleinen, lustig emporzüngelnden Flammen.

Quelle:
Balduin Möllhausen: Die Mandanenwaise. In: Deutsche Roman-Zeitung, 2. Jg., Band 3, Berlin 1865, S. 210-211,277-289.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Mandanenwaise
Die Mandanen-Waise. Erzählung aus den Rheinlanden und dem Stromgebiet des Missouri. Roman
Die Mandanenwaise
Die Mandanenwaise. Erzählung aus den Rheinlanden und dem Stromgebiet des Missouri von Balduin Möllhausen

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon