Zehntes Capitel.

In Landen.

[196] Wir waren von einem kurzen Spaziergange durch den Weingarten nach der Laube zurückgekehrt. Das letzte Abendroth hatte uns zu dem gemeinschaftlichen Mahl geleuchtet, und in traulichem Gespräch saßen Wandel und ich bei einander.

Frau Jeannette hatte sich mit ihrer Tochter in's Haus zurückgezogen; sie erwartete nicht, mich an demselben Abend noch zu sehen; sie wünschte mir daher eine gute Nacht und sprach im Scherz die Hoffnung aus, daß wir uns nicht von der aufgehenden Sonne in der Laube überraschen lassen würden.

Sie sagte es scherzweise, ohne daran zu denken, daß ein solcher Fall wirklich eintreten könne. Denn die Nacht war ja so wunderbar lieblich, die von der Sonne des Tages durchglühte Luft so lau, und friedlich leuchtete der beinah volle Mond auf die stille Landschaft nieder.

Auch in unsere Laube zwischen den grünen Weinranken hindurch warf er einige zitternde Strahlen, und Schattenbilder zeichnete er auf den Tisch, so merkwürdig formlos, daß man unwillkürlich zu errathen und entziffern stiebte, womit dieselben wohl am meisten Aehnlichkeit haben könnten. Bald waren sie zackig, bald rund, bald waren sie lang gereckt, bald kurz gedrungen, und wenn dann wirklich hier eine verschrobene Schattennase entstand, die sich wie lüstern nach den halbvollen Gläsern hin verlängerte und Über den halben Tisch hinüberreichte, dort sogar ein fürchterliches Cyclopenauge vom hellsten Mondschein mit etwas vergossenem Wein als Stern, grimmig nach der angeschenkten Flasche hinüberschielte, als ob es ein anderes Fleckchen Mondlicht beneidet habe, welches den besonderen Vorzug genoß, sich mit dem Blitzen eines Diamantes in dem edlen Kataubasaft spiegeln zu dürfen, so dauerten dergleichen Bilder doch nicht lange.

Unbekümmert um alle Schattenbilder der Welt, zog der Mond auf seiner ewigen Bahn dahin, unbarmherzig verzerrend und zerstörend, was sich auch immer für tolle Figuren auf dem grünen Gartentisch gebildet haben mochten.

Dazu sangen im nahen Waldesdickicht die Laubfrösche, daß es eine wahre Freude war, und dickköpfige Locustgrillen und langbeinige Heuschrecken stimmten mit ein, und zuweilen auch ein unverschämter Ochsenfrosch mit seinem unmelodischen Gebrüll. In[196] der Ferne aber bellte jauchzend ein Schäferhund, daß es sich genau so anhört? wie das Gekläffe eines Prairiewolfs und man sich in die einsame Wildniß zurückwähnen konnte, wie man einst in der Wildniß, durch das Bellen der Cayotas dazu veranlaßt, sich im Geiste in reich belebte und bebaute Landschaften versetzte.

Wie damals das Winseln des Panthers oder das Geheul des weißen Wolfs die traumartigen Bilder der lustwandelnden Phantasie zerstörte, so dauerten dieselben hier noch weniger lange, indem aus der Ferne das Rollen eines aus der Stadt heimkehrenden Wagens herüberschallte, auf den nahen Weiden hin und wieder ein Rind brüllte oder auch gar ein verschlafener Hahn ein höchst unzeitiges, kurz abgebrochenes Krähen ausstieß.

Mit wunderbaren verlockenden Reizen schmückt die milde Sommernacht die Wildniß, wenn das Ohr gespannt lauscht auf die bald harmlosen, bald drohenden Stimmen der Natur. Wo aber holder Friede sich zum nächtlichen Dunkel gesellt, wo der Schlaf seine Mohnkörner ausstreut, ohne ihnen zugleich eine Beimischung von Unruhe und Besorgniß mitzugeben, da erfüllt dankbare Rührung, ein empfängliches Gemüth, und gern beschäftigt sich in solchen Stunden der Geist mit den Bildern der Vergangenheit, die einen minder friedlichen Charakter tragen.

So erging es auch Wandel an jenem unvergeßlichen Abend, als wir in der Laube saßen und tiefe nächtliche Ruhe sich auf die Landschaft ringsum gesenkt hatte. –

»Ich habe einen Blick in das Manuscript geworfen,« begann er, nachdem wir eine Weile schweigend in den mondbeleuchteten Garten hinausgeschaut hatten, »ich habe einen Blick in das Manuscript geworfen und mich überzeugt, daß wenig oder gar nichts von demselben verloren gegangen ist. Es schließt damit ab, daß die Familie Dalefield die Insel verließ, und ich, unterstützt von meiner Jeannette – doch nennen wir sie lieber Schanhatta, wenigstens so lange, bis wir zu der Ursache der Aenderung ihres Namens gelangen – das kleine zwischen Binsen und. Weiden verborgene Lager auf der Mitte der Insel erreichte.«

Dort sank ich erschöpft nieder, jedoch mehr in Folge des starken Blutverlustes, als daß die Wunde wirklich gefährlich gewesen wäre.

Die Kugel war mir nämlich dicht oberhalb des Knies durch das Bein geschlagen und hatte eine Sehne verletzt, in Folge dessen ich mich meine ganze Lebenszeit hindurch mit einem steifen Knie behelfen muß.

Wie fast alle Indianerinnen schon in früher Jugend mehr oder minder mit der Heilkunde vertraut sind, so äußerte Schanhatta, nachdem sie die Wunde mit rührender Sorgfalt untersucht hatte, nicht das geringste Bedenken, daß es ihr gelingen würde, mich wieder herzustellen.

Ueberhaupt zeigte sie sich, sobald wir uns wieder allein befanden, von einer solchen Geschäftigkeit und von so frohem Muths beseelt, daß es mir fast schien, als freue sie sich über meine Verwundung. Sie betrachtete dieselbe in ihrer kindlichen Einfalt als die eigentliche Ursache, daß ich sie bei mir behalten habe.[197] Und dies war doch ursprünglich nicht der Fall, denn als sie sich mir zu Füßen warf, als ich in ihrem Herzen das las, worüber sie sich selbst noch leine Rechenschaft abzulegen vermochte, da war auch mein Entschluß, mich nie mehr von ihr zu trennen, gefaßt.

Vorläufig ließ ich sie indessen bei ihrem Glauben, doch gelobte ich mir feierlich, gleich nach meiner Heilung eine andere Lebensweise zu beginnen, und zwar eine solche, bei welcher es in meiner Macht liegen würde, mich mehr und energischer mit ihrer Ausbildung zu beschäftigen.

Was unsere Feinde, die Blackfoot-Indianer betraf, so erfüllte sich Alles genau so, wie ich erwartet und vorausgesagt hatte.

In der festen Ueberzeugung, daß alle auf der Insel Befindlichen auf dem Missouri entflohen seien, dachten sie nicht mehr daran, nach der vermeintlich vereinsamten Stätte überzusetzen. Sie begnügten sich mit ihrem Raube, und noch an demselben Tage, nachdem sie ihre Verwundeten, und ich glaube auch einen Todten auf die erbeuteten Pferde geladen, zogen sie in westlicher Richtung davon.

Wir blieben noch fünf Tage auf der Insel, um die ersten Fieberanfälle vorübergehen zu lassen und einer erneuten Blutung, welche zu stillen, Schanhatta nur mit vieler Mühe gelungen war, vorzubeugen.

Da Lebensmittel uns nicht mangelten, hätte ich für meine Person gern noch langer auf der sichern Zufluchtsstätte verweilt; allein Schanhatta bestand so ängstlich auf den Aufbruch, weil auf der kleinen Erdscholle die Kräuter nicht zu finden waren, welche sie zum Heilen meiner Wunde nothwendig gebrauchte, daß ich endlich nachgab.

Unsere Reise erfolgte wieder auf einem Floß, welches Schanhatta sinnig und mit großer Anstrengung zusammengefügt halte, denn die Hülfe, welche ich ihr bei dieser Arbeit leistete, war kaum zu rechnen und beschränkte sich eben nur auf Anweisungen, das Drehen von Weidenstricken und das Ausmeißeln eines Ruders.

Trotzdem erhielt das einsacke Fahrzeug eine große Festigkeit, und als wir endlich von der Insel abstießen, da glitten wir auf den schwachen Strömungen, welche Schanhatta gewandt zu benutzen wußte, so sicher dahin, daß ich nicht umhin konnte, meine Freude darüber zu äußern, auf des treuen Mädchens Vorschlag eingegangen zu sein.

Die Reise, des ersten Tages war nur kurz, die des zweiten Tages aber schon bedeutend länger, und am Abend des vierten Tages befanden wir uns bereits so weit von der Insel entfernt, daß wir im Besitz von guten Pferden hätten sein müssen, um in sechs Tagen wieder dahin zurück zu gelangen.

Dort nun wurden wir vom Glück in einer Weise begünstigt, daß die Fortsetzung unserer Fahrt uns, im Vergleich mit den früheren Tagen, nur wie ein Spiel erschien.

Schanhatta entdeckte nämlich in einer Binsenwaldung, welche die Mündung eines kleinen Nebenflusses bezeichnete, ein noch gut erhaltenes Rindenkanoe, welches jagende Indianer daselbst zurückgelassen hatten, augenscheinlich in der Hoffnung, es im Herbst nach beendigter Jagd wieder vorzufinden.[198]

Wir vertauschten daher daß unbeholfene Floß mit dem Kanoe, und nach weiteren acht Tagen trafen wir endlich vor dem Nebenflüßchen ein, auf dessen Ufer mein Winterquartier lag. Am folgenden Tage schon hielten wir unsern Einzug in der unangetasteten Häuslichkeit, in welcher wir bereits einen harten Winter auf verhältnißmäßig behagliche Weise verlebt hatten.

Für mich war die Reise, außer daß ich zuweilen heftige Schmerzen erduldete, im Ganzen nur wenig beschwerlich gewesen. Um das Heilen zu fördern, hatte ich mein Knie steif gebunden; durch diese Vorsichtsmaßregel war ich außerdem im Stande, mit Hülfe zweier, mit natürlichen Krücken versehenen leichten Pfähle, mir allein von der Stelle zu helfen.

Schanhatta fiel dafür die ungetheilte Arbeit zu; sie ruderte, sie kühlte meine Wunde mit frischem Wasser, sie bereitete die Speisen, sie suchte Kräuter, deren heilsame Wirkung sie kannte, und dabei bezogen wir kein einziges Mal unser Lager, ohne daß sie vorher von irgend einer Höhe aus die weitere Umgebung abgespäht hätte, ob wir auch wohl, ohne Sorge für unsere Sicherheit, das Haupt zum Schlaf würden niederlegen dürfen.

Darin bestand also die Arbeit, welcher sie sich täglich unterziehen mußte. Wenn ich aber schildern sollte, in welcher Weise sie sich derselben unterzog, wie aus ihren Augen die innere Befriedigung leuchtete, sich förmlich für mich aufopfern zu dürfen; wie sie, sobald ich die Augen, wenn auch nur zum Scheinschlaf schloß, meinen Athem bewachte, wie sie mir aufmunternd zulächelte, während sie mit blutendem Herzen und kaum fühlbaren Händen meine Wunde verband, wie sie mir Blumen brachte, welche ich, wie sie wußte, vorzugsweise liebte, ja, wenn ich alles Dieses schildern sollte, dann würde ich Tage und Tage, ja Wochen bedürfen, und immer noch kein Ende absehen.

Es war eine langsame, eine traurige Reise, aber auch eine Reise, auf welcher wirklich ein neues irdisches Glück für mich heraufzudämmern begann. Denn nichts gleicht der innigen Freude, welche es mir gewahrte, Schanhatta zu beobachten, zu sehen, wir die in ihrer Brust schlummernden edlen Keime mehr und mehr zum Durchbruch kamen, wie sie sich allmälig bewußt wurde, daß es nicht allein das Gefühl der Dankbarkeit für empfangene Wohlthaten sei, welches sie beseelte, und wie dann ihre Liebe sie schüchtern machte und sie zugleich befürchtete, dieselbe in einer mir vielleicht nicht zusagenden Weise durchblicken zu lassen. Ja, ein beglückender Genuß war es, in ihrer reinen Seele zu lesen und die fortschreitende Entwickelung ihrer Begriffe und der Eigenschaften ihres Herzens zu bewachen und zu bewundern.

Die erste Hälfte des August mochte verstrichen sein, als wir unser altes Winterquartier bezogen und uns in demselben für die nächste Zeit so häuslich, wie es unsere sehr beschränkten Mittel erlaubten, einrichteten.

Unser Aufenthalt in der dürftigen Hütte sollte nur von kurzer Dauer sein. Ich beabsichtigte nämlich, daselbst nur so lange zu verweilen, bis meine Wunde, welche während der Stromfahrt, trotz aller angewendeten Vorsicht, einen bösartigeren Charakter angenommen[199] hatte, wieder einigermaßen geheilt sei. Ich rechnete auf zwei Monate, nach deren Ablauf mir dann ja noch immer hinreichend Zeit geblieben wäre, wenigstens bis zur Mission, wo ich mein Geld aufbewahrt hatte, stromabwärts zu gelangen, und von wo aus ich überhaupt meinen Eintritt in die Welt und in das Geschäftsleben zu bewirken hoffte.

Die Wunde heilte langsamer, als ich erwartet hatte, und sehr bald entdeckte ich zu meinen größten Schrecken, daß mein Knie nicht nur geschwächt, sondern sogar ganz steif bleiben würbe. Doch was halfen mir Kummer und Klagen? Das Unglück war da und mußte mit Geduld getragen werden.

Als eine wahre Wohlthat für mich erwies sich, daß ich bereits mit der Aufzeichnung meiner Lebensgeschichte begonnen hatte und die Mittel besaß, diese Arbeit fortsetzen zu können. Während der langen, langen Tage, an welchen ich mein Lager kaum anders, als kriechend oder auf Krücken hinkend verlassen durfte, hätte ich sonst der Verzweiflung anheim fallen müssen, trotzdem meine gute treue Schanhatta nicht anders von meiner Seite wich, als wenn sie ausging, um einige Fische zu angeln oder süße Wurzeln, eine Art wilder Kartoffeln, zu graben und dadurch etwas Abwechselung in meine einfache Küche zu bringen.

In demselben Grade, in welchem mein Manuscript anwuchs, besserte sich indessen auch der Zustand meiner Wunde, und es näherte sich die Zeit, in welcher ich Elfteres zum Abschluß zu bringen gedachte und außerdem, wenn auch hinkend, mich nach Willkür und ohne Furcht vor Übeln Folgen fiel herumzubewegen wagen durfte.

Seltsamer Weise, jedoch eigentlich nur, um mir überhaupt ein Ziel zu stecken, hatte ich den Tag, an welchem ich meine Lebensgeschichte, so weit sie damals reichte, beendigt haben würde, zu meinem ersten kleinen Jagdausfluge und gewissermaßen zur Prüfung meiner Kräfte bestimmt.

Die Folge davon war, daß ich mich mit meiner schriftlichen Arbeit beeilte, meinen ersten Ausgang, mithin auch unfern gänzlichen Aufbruch dagegen immer noch etwas weiter hinausschob. Es war ja noch früh im Herbst, Schneestürme brauchten wir also nicht zu befürchten, und zudem hielt ich jeden neuen Tag der ungestörten Ruhe von Vortheil für mein lahmes Knie.

»Heule über acht Tage verlassen wir diese Stelle auf Nimmerwiedersehen,« sagte ich eines Abends, ich glaube es war in der ersten Hälfte des Oktober, zu Schanhatta, indem ich meine Schreiberei sorgfältig zusammenpackte und mich demnächst vor die Hütte begab, um von einer etwas erhöhten Stelle aus den Sonnenuntergang zu beobachten.

»Ich wünsche, wir wären bereits fort,« entgegnete Schanhatta mit einem Ausdruck, der bewies, wie ernstlich sie es meinte.

»Schon fort, Mädchen,« fragte ich lachend, denn ich glaubte nicht anders, als daß ihr ein Traum irgend einen Streich gespielt habe, und damals hatte sie ja ihr Vertrauen in höhere Kundgebungen, welche dem Menschen zuweilen im Schlummer zugesendet würden, noch nicht vollständig verloren.

»Ich habe frische Spuren dort unten am Wasser entdeckt, Spuren, welche nicht von einem Weißen[200] Jäger herrühren,« lautete die bestimmte Antwort, und zugleich deutete sie nach dem Missouri hinüber, wo die Mündung unseres Flüßchens durch Binsenwaldungen und Weidengestrüpp unseren Augen entzogen wurde.

»War es nicht die Fährte eines schwarzen Bären, der während der Nacht gekommen, um ein Bad zu nehmen?« fragte ich jetzt aufmerksamer, indem ich mich bestrebte, zu errathen, von welcher Seite uns Gefahr drohen könne.

»Der Bär verbirgt seine Fährte nicht, und seine Krallen drücken sich tief in das Erdreich ein,« versetzte Schanhatta, ängstlich nach der Niederung hinunterspähend; »die Fährte aber, welche ich sah, stand halb unter Wasser, ein stolpernder Fuß hat seitwärts auf trockenen Boden getreten.«

»Du meinst, es sind dort unten Rothhäute gewandert, welche ihre Spuren zu verbergen trachteten?« fragte ich besorgter.

»Sie suchten ihre Spuren im Wasser zu verbergen, und es ist ihnen auch gelungen, bis auf den einen Abdruck.«

»Welchen Schnitt hatte der Mokassin?«

»Eine Rath lief von der Spitze des großen Zehen bis beinah unter die Mitte des Fußes hin.«

»Vielleicht Pawnees, die sich auf der Flucht vor den Dacotah's befinden?«

»Oder Blackfoot-Krieger, die nach meinem Gebieter forschen,« fügte Schanhatta mit unterdrückter Besorgniß hinzu. »Mein Gebieter hat einige ihrer besten Krieger erschlagen, sie haben Grund sich zu rächen.«

»Blackfeet meinst Du?« entgegnete ich, und gleichzeitig erinnerte ich mich, daß Blackbird mir unverhohlen seine unbesiegbare Leidenschaft für Schanhatta eingestanden hatte; »doch Du irrst Dich, mein Kind, wie sollten die Blackfeet hierher gelangen? Der Weg ist ihnen zu weit, ihre Schädelhäute würden Gefahr laufen, in den Ranchfang eines Ponka's zu wandern. Aber bringe nur die Büchse, wir wollen uns auf alle Fälle vorbereiten, sei indessen vorsichtig, sie ist geladen.«

Schanhatta eilte mit geräuschlosen Schritten von dannen, und ich wendete meine Aufmerksamkeit wieder der Sonne zu, deren oberer Rand eben im Begriff war, hinter einer fernen Schwellung der Prairie zu verschwinden.

Ich war etwa zwanzig Schritte weit von der Hütte entfernt und hatte dieser den Rücken zugekehrt; die Hütte selbst aber, welche ich zum größten Theil in einen schroffen Hügelabhang von geringer Erhebung hineingearbeitet hatte, lag so, daß ihre aus Rasen und Zweigen hergestellte Bedachung eigentlich eine Fortsetzung der höchsten Höhe der langgereckten Bodenanschwellung bildete.

»Bei der Anlage dieses zeitweiligen Obdachs hatte ich überhaupt mehr Rücksicht auf den Schutz gegen klimatische Einflüsse,« als auf die Sicherheit gegen feindliche Ueberfälle genommen; denn da ich ursprünglich nur die Wintermonate daselbst zuzubringen gedachte, also denjenigen Theil des Jahres, in welchem die Eingeborenen sich nur höchst ungern zu weiten Wanderungen entschließen, so wäre dies auch unter andern Umständen vollkommen genügend gewesen.[201]

An diesem Abend hingegen erwies sich die Lage meiner Hütte, indem sich auf der andern Seite des Hügels Jemand bis fast in meine unmittelbarste Nähe heranzuschleichen vermochte, als verderblich für mich.

Schanhatta konnte nämlich kaum in die Hütte eingetreten sein, da sah ich plötzlich einen schwarzen Streifen vor meinem Gesicht niederfallen, und in demselben Augenblick fühlte ich meine Anne mit unwiderstehlicher Gewalt und auf schmerzhafte Weise an meinen Körper gepreßt, mich selbst aber durch einen heftigen Stoß hinten übergerissen, und bevor ich noch einen Versuch zur Befreiung meiner Glieder machen konnte, standen über mir zwei wild bemalte nackte Krieger, die mit unglaublicher Gewandheit meine Glieder fest zusammenschnürten.

Alles dies war mit einer solchen Schnelligkeit und so geräuschlos vor sich gegangen, daß Schanhatta in der Hütte nichts davon gemerkt hatte. Erst als sie mit der Büchse in der Hand wieder ins Freie hinaustrat, sah sie zu ihrem namenlosen Entsetzen, daß ich, für den sie mit Freuden ihr Leben tausendmal Hingegehen hätte, hinterlistiger Weise, wie ein wilder Mustang mittelst eines Lassos eingefangen worden war.

Ich hatte ihr mein Gesicht jetzt zugewendet, und glaubte vor Jammer sterben zu müssen, als ich gewahrte, wie die furchtbarste Verzweiflung ihr liebes gutes Antlitz plötzlich in so schreckenerregender Weise entstellte.

Eine Sekunde etwa stand sie wie eine Bildsäule da; der sie in so hohem Grade schmückende rosige Schimmer war von ihren Wangen gewichen und ihre großen schönen Augen stierten zu mir herüber, als ob sie durch den unerwarteten Anblick die Sehkraft verloren hätten.

»Schanhatta! fliehe!« rief ich mit erstickter Stimme aus, denn jetzt erst entdeckte ich Blackbird, meinen Todfeind, der etwas seitwärts von der Hütte auf dem Hügelabhange stand und mit grimmig höhnischem Lachen einen ringförmig zusammengelegten Lasso um's Haupt schwang, offenbar um Schanhatta in gleicher Weise, wie mich zu fangen.

Der Ton meiner Stimme schien das treue Mädchen wieder zum Bewußtsein zu wecken. Die Augen erhielten ihren allen Glanz zurück, und einen einzigen gellenden, durch Mark und Bein dringenden Schrei ausstoßend, stürzte sie mit der Gewandtheit einer ergrimmten Tigerin auf mich zu, und gleichzeitig schlug der nach ihr geschleuderte Lasso, da ihre Bewegung nicht vorhergesehen worden war, harmlos hinter ihr auf die Erde. Eh' Blackbird dann die Leine zum neuen Wurf eingeholt und zusammengerollt hatte, befand sie sich dicht vor mir. Den Mechanismus der Feuerwaffen kannte sie, ohne im Gebrauch derselben geübt zu sein, doch bedurfte sie in diesem Falle keiner großen Fertigkeit der Hand und Sicherheit des Auges. Sie spannte den Hahn, hielt die Mündung den Indianer, der nur eben die Hände auf der Brust mit schmerzhaft einschneidenden Riemen kreuzweise zusammenfesselte, vor den Kopf, und im nächsten Augenblick schnellte derselbe mit zerschmettertem Schädel empor, um als Leiche schwer neben mich auf die Erde hinzusinken.[202]

Die Büchse entfiel darauf Schanhatta's Händen, und mit wildstatterndem Haar und krampfhaft stöhnend warf sie sich über mich hin, um den etwa für mich bestimmten Todesstreich in Empfang zu nehmen.

Der zweite Indianer, der meine Füße zusammenschnürte, war nämlich, als er seinen Gefährten von Blut überströmt niederstürzen sah, einen Schritt zurückgesprungen. Sobald er sich aber überzeugt, von wem die schnelle That ausgegangen war, riß er sein Kriegsbeil aus dem Gurt und mit gellendem Wuthgeheul Schanhatta bei ihrem langen locken ergreifend, schwang er mit der rechten Hand den scharfen Tomahawk, zum tödtlichen Hiebe ausholend, um's Haupt.

Hatte der Angriff mir gegolten, würde ich ihn ohne zu beben, wie ein eingeborener Krieger hingenommen haben; jetzt aber, da das theure Leben meiner Schanhatta in der gräßlichen Gefahr schwebte und ich erwarten mußte, ohne auch nur eine Bewegung zu ihrer Rettung ausführen zu können, sie in der nächsten Sekunde entseelt über mich hinsinken zu sehen, wurde es mir schwarz vor den Augen und ein dumpfer Schrei des Entsetzens entrang sich meiner Brust. –

Doch der Schlag fiel nicht, und als die Gegenstände um mich her wieder klarer Hervortraten, da gewahrte ich Blackbird, den wilden Häuptling, wie er den Arm seines Gefährten hielt und ihn zwang, jede fernere blutige Absicht auf Schanhatta aufzugeben Dabei leuchteten feine Augen in gräßlicher Schadenfreude, und indem er das halb ohnmächtige Mädchen emporriß und einen Fuß auf meine Brust stellte, rief er mir in der Sioux-Sprache zu, daß die Mandanenwaise nunmehr sein Eigenthum sei, ohne auch nur einen elenden Lasso dafür hingegeben zu haben.

Ich schwieg; ich hatte mich in mein Schicksal ergeben. Doch wenn der Gedanke an den mir bevorstehenden Tod, welcher Art er auch immer sein mochte, mich kalt ließ, so bemächtigte sich meiner eine an Wahnsinn grenzende Verzweiflung, indem ich mir das Leben vergegenwärtigte, welchem das arme Mädchen unfehlbar entgegenging. Wie ich aber sah, daß Blackbird mit unbarmherzigem Griff Schanhatta gefaßt hielt und ihr triumphirend erklärte, daß sie ihm in sein Wigwam zu folgen habe, da wurde ich mir so recht bewußt, mit welcher innigen Zuneigung ich an meinem Schützling hing.

In ohnmächtiger Wuth zerrte ich an meinen Banden, und meiner Sinne kaum noch mächtig, verwünschte ich Blackbird's Dazwischentreten, ohne welches Schanhatta auf einmal aller Qual und einer entsetzlichen Zukunft entrissen worden wäre.

Was man mit mir noch begonnen hätte, das konnte mir dann ja gleichgültig sein.

Schanhatta, die sich für unsere Feinde als so gefährlich ausgewiesen hatte, wurden darauf ebenfalls die Hände gebunden, doch gestattete man ihr im Nebligen volle Freiheit. Man begriff, daß sie nicht von meiner Seite weichen würde. Diesem Umstände war es auch allein zu verdanken, daß man mich nicht tödtete.

Als Blackbird sich nämlich in meiner Nähe in der Mitte von nicht weniger als acht Kriegern vor[203] einem kleinen, hellflackernden Feuer niedergelassen hatte und man darüber berieth, wie zunächst mit mir zu verfahren sei, glaubte ich zu verstehen, daß die meisten für meinen augenblicklichen Tod stimmten, Blackbird dagegen auf seinen Willen beharrte, mich mit nach ihrem Dorf zu schleppen und dort ihre ältesten Krieger gemeinschaftlich mit den hervorragendsten und weisesten Medicinmännern über mein Loos entscheiden zu lassen.

»Wollen meine jungen Leute die Mandanensquaw auf ihren Schultern tragen, oder wollen sie ihre schlanken Glieder auf dem Rücken eines Pferdes krumm fesseln?« fragte er in der Sioux-Sprache, offenbar um mich durch seine Worte zu martern; »was soll mir eine Squaw mit lahmen Gliedern helfen? Sie wäre nur noch gut zum Futter für die Wölfe, sie würde nicht mehr in das Wigwam eines Häuptlings passen. Sie muß wandern, damit ihre Füße geschmeidig bleiben, sie muß frei einhergehen, damit sie nicht verlernt, die Haut des Musethiers zu gerben, die Mokassins ihres Gebieters mit den gefärbten Kielen des Stachelschweins zu schmücken. Meine jungen Leute fürchten, die Mandanenwaise werde entfliehen. Ich sage sie entflicht nicht. Schnürt den bleichen Jäger auf ein Pferd und treibt es vor Euch her, und die Mandanensquaw wird ihm folgen, wie ein Büffelkalb, dem die Mutter getödtet wurde. Ader schlaft mit offenen Augen, oder die wilde Mandanenkatze wird des bleichen Jägers Banden lösen und mit ihm davongehen. Sie hat scharfe Zähne und ein schnelles Auge, dort liegt einer unserer Genossen, der von der Hand eines Weibes getödtet wurde; es ist seine eigene Schuld, warum waren seine Augen nicht überall?«

»Will der Häuptling die Mandanensquaw für sich behalten? Was haben seine jungen Krieger dafür, daß sie ihn auf dem weiten Wege begleiteten?« fragte ein grimmig dareinschauender Blackfoot, indem er sich mit der Faust dröhnend auf die Brust schlug.

»Blackbird's Wigwam steht leer,« antwortete der Häuptling, und ein Zug von Mißvergnügen breitete sich über sein durch schwarze und rothe Farbe entstellte Antlitz aus; »Blackbird ist der nächste zu der Mandanensquaw; meine jungen Leute mögen sich schadlos halten an dem bleichen Jäger und ihn nach ihrer Ankunft im heimathlichen Dorf zur Zielscheibe für ihre Kugeln und Pfeile machen.«

»Der bleiche Jäger gehört den Knaben der Blackfeet,« versetzte der junge Krieger erbittert, denn auch auf ihn schien Schanhatta einen tiefen Eindruck ausgeübt und alle seine wilden Leidenschaften entstammt zu haben, »sie mögen ihre stumpfen Pfeile an seiner weißen Haut versuchen; er ist leine Zielscheibe für Männer. Aber das Mädchen gehört uns Allen; es soll der weise Zauberer der Blackfoot-Nation sagen, in wessen Wigwam die Mandanensquaw einziehe. Nur Einer kann sie besitzen, aber dieser Eine soll Jedem, der sich an dem Unternehmen betheiligte, ein Pferd zahlen; ich habe gesprochen!«

Dieses entschiedene Auftreten des jungen Kriegers verdroß den Häuptling noch mehr; er unterdrückte indessen schlau jeden Ausbruch des Zorns, und sei es nun, daß er das Gerechtfertigte eines solchen Vorschlages einsah, oder weil er von den Aeltesten[204] und namentlich von dem erwähnten Zauberer ein seinen Wünschen günstiges Unheil erwartete, genug, er erklärte sich mit den geäußerten Ansichten einverstanden und wiederholte, daß er sich dem Ausspruch des Medicinmannes willig unterwerfe.

Nachdem dieses Uebereinkommen getroffen war, erhob sich die unheimliche Gesellschaft. Zwei derselben setzten sich als Nachen in meiner und Schanhatta's Nähe nieder, worauf die Andern an's Wert schritten, die Hütte auszuräumen und meine geringen Habseligkeiten zur Verkeilung an das Feuer zu bringen. Ueber die Decken, Munition, Waffen und einen kleinen Vorrath von kostbarem Pelzwerk verständigte man sich schnell; der Eine erklärte sich mit Diesem, der Andere mit Jenem zufrieden und Niemand wendete Etwas dagegen ein, als Blackbird, darauf hin, daß er durch meine Schuld seinen Karabiner eingebüßt habe, meine Büchse für sich beanspruchte.

Eine längere Verhandlung knüpfte sich indessen an die Frage, wem das Manuscript zuerkannt werden solle. Jeder wünschte dasselbe zu besitzen, indem sie das sogenannte »sprechende Papier« für ein überaus wirksames Zaubermittel hielten, welchem im Allgemeinen die großen Erfolge der fremden weißen Eindringlinge zugeschrieben werden müßten.

Einzelne schlugen vor, die Blätter von einander zu trennen und gleichmäßig zu vertheilen, doch stand man davon ab, sobald man entdeckte, daß die verschiedenen Bogen mittelst feiner Riemen sorgfältig zusammengeheftet und demnächst wieder unter sich fest verbunden waren. Man befürchtete, durch das Zertrennen derselben die ihnen innewohnende Zauberkraft zu brechen, und kam schließlich überein, die Entscheidung über das ungetheilte Manuskript sich ebenfalls für spätere Zeiten vorzubehalten.

Während dieser ganzen Zeit halte man weder mich, noch Schanhatta eines Blickes gewürdigt. Ich lag auf dem Rücken; meine Füße, lang ausgestreckt waren dicht über den Knöcheln so fest zusammengeschnürt worden, daß mir das Blut in denselben auf höchst schmerzhafte Weise zu stocken begann und namentlich meine kaum geschlossene Wunde mir viel Qual verursachte. Weniger unbequem und straff schlangen sich die Fesseln um meine Arme, doch nicht in Folge, daß mau etwa Rücksicht mit mir genommen hätte, sondern weil der Indianer, der dieselben band, in demselben Augenblick, in welchem er den Knoten fester anzog, von Schanhatta niedergeschossen wurde. Indem aber die Riemen mir nicht nur die Oberarme an den Körper preßten, sondern jede Hand auch noch besonders unter dem gegenüberliegenden Ellenbogen festgebunden war, fühlte ich mich dennoch unfähig, mich ohne fremde Hülfe zu rühren oder aufzurichten.

Schanhatta, ihre zusammengefesselten Hände über den Knieen gefaltet, kauerte zwei Schritte weit von mir regungslos auf der Erde. Der Schein des Feuers beleuchtete den oberen Theil ihrer verkürzten Gestalt, so daß mir nur ihr Haupt und ihre Schultern sichtbar waren.

Was sie dachte und was sie fühlte, ließ sich aus ihren gleichsam versteinerten Zügen nicht entziffern; dieselben schienen die letzte Probe von Leben verloren zu haben, und weder ein Seufzer noch ein Klageton schwellte vorübergehend ihre Brust. Aber wenn sie[205] zeitweise ihre thränenleeren Augen auf mich richtete, und dieselben gleich darauf, ohne daß sie ihr Haupt bewegt hatte, im Kreise herumblitzten und spähten, dann verstand ich, welch namenloser Schmerz ihre Seele zerriß, und wie sie, trotz dieses Schmelzes, nur einzig und allein darauf bedacht war, ein Mittel zu meiner Befreiung zu ersinnen.

Zwei Stunden etwa waren in dieser Weise dahingeschlichen, und außer den beiden Wachen hatten sich die Indianer um das Feuer hingestreckt, um daselbst den Morgen zu erwarten, als der Schmerz an meinen Füßen, trotzdem ich die Zähne fest zusammenbiß, mir einen Klagelaut auspreßte.

Die Blackfeet hörten nicht darauf; sie betrachteten mich so gefühllos, wie etwa der Schlächter sein Opfer, welches er, unbekümmert darum, ob es in seinen letzten Lebensstunden noch Schmerzen empfinde, in unnatürliche Lage zusammengekrümmt und gefesselt in's Schlachthaus tragt. Schanhatta dagegen sprang empor, und dicht zu mir herantretend, fragte sie mit halblauter Stimme, ob ich irgend etwas wünsche.

»Wasser gieb mir, mein Kind, nur einen Trunk Wasser,« antwortete ich mit schwerer Zunge.

Ohne die verwunderten Blicke der Wächter zu beachten, begab sie sich nach der Hütte, und gleich darauf erschien sie wieder, eine mit Wasser gefüllte Kürbisflasche in ihren gebundenen Händen vor sich tragend.

Mit sichern, fast trotzigen Bewegungen kniete sie au meiner Seite nieder, und indem sie ihr Haupt über mich hinneigte, daß ihre langen, leicht gelockten Haare wie ein dichter Schleier mein Gesicht von allen Seiten umwallten, führte sie den Hals der ausgehöhlten Frucht behutsam an meine Lippen.

»Sei mein Gebieter stark,« flüsterte sie so leise, daß die Töne nicht über den von ihren prachtvollen Haaren gebildeten Schleier hinausdrängen; »Schanhatta wacht für ihren Herrn; sie sinnt darüber nach, wie sie ihn befreie. Wenn sie meinen Wohlthäter ermorden, so wird er nicht allein sterben; ich besitze Mittel, jederzeit zu sterben; stirbt mein Gebieter, so fehlt Schanhatta die Luft zum Athmen. Nein, nein, ich kann nicht ohne meinen Herrn leben.«

Die letzten Worte hauchte sie, wie von Schmerz und Todesangst überwältigt, kaum verständlich über mich hin. Dann aber richtete sie sich mit sicheren und entschiedenen Bewegungen empor, und unbekümmert um die argwöhnischen Blicke, welche von allen Seiten auf sie gerichtet waren, fragte sie wiederum laut, ob sie mir irgendwie Erleichterung verschassen könne.

»Laß nur, mein Kind,« tröstete ich, von körperlichem Schmerz fast übermannt, »man wird Dir nicht gestatten, mir zu helfen, im Gegentheil sich noch an meinen Qualen weiden.«

»Was ist es, das meinen Gebieter so quält, daß seine Augen sich röchen?« fragte das treue Mädchen bringender.

»Die Banden an meinen Füßen, die Wunde an meinem Knie,« antwortete ich, mehr um ihrem ausgesprochenen Verlangen zu genügen, als daß ich Linderung erwartet hätte.

Ein Blitz des Verständnisses flog über ihr gutes Antlitz; etwa eine Minute blickte sie mich zweifelnd an, worauf sie geraden Wegs zu Blackbird hinschritt,[206] der sie bei ihrer Annäherung wohl überrascht anstarrte, sich aber nicht aus seiner bequemen Lage rührte.

»Seit wann ist es Sitte, daß die Blackfeet ihren Gefangenen die Glieder tödten?« fragte sie, indem sie den Häuptling verächtlich mit dem Fuß anstieß.

Blackbird, entrüstet über die ihm von einem gefangenen Mädchen zu Theil gewordene schmachvolle Behandlung, schnellte wie ein Blitz empör, die Hand an den Griff seines Messers legend und Schanhatta mit seinen glühenden Augen förmlich verschlingend. Allein er wagte nicht, sich an ihr zu vergreifen, so groß war der Einfluß, welchen sie ebensowohl durch ihre äußere Erscheinung, als auch durch ihr Wesen auf ihn ausübte.

Ich selbst war über daß, was ich sah, nicht weniger erstaunt, als die Blackfeet. Das seltsame Mädchen hatte wohl hinlänglich Beweise von Unerschrockenheit und Opferwilligkeit abgelegt, so aber, wie sie sich in diesem Augenblick zeigte, hatte ich Schanhatta noch nie gesehen. Es war, als sei plötzlich das Bewußtsein in ihr erwacht, daß sie sich unter meiner Leitung weit über die Stufe geistiger Entwickelung der Eingeborenen hinausgeschwungen habe, und als ob sie fühle, daß der höhere Grad von Bildung, welchen sie sich angeeignet, ihr zugleich in physischer Beziehung ein Uebergewicht über dieselben verleihe.

Die Blackfeet dagegen, wenn eine Weiße Frau in solcher Weise vor sie hingetreten wäre, würden dieselbe verhöhnt und verlacht haben; aber daß ein junges Mädchen von ihrer eigenen Farbe es wagte, wie eine Gebieterin zu ihnen zu sprechen, sie ihre geistige Ueberlegenheit in so verletzender Weise fühlen zu lassen, das war mehr, als sie zu begreifen vermochten. Und dennoch befand sich Keiner unter ihnen, der auch nur die Neigung verspürt hätte, sich an der schwachen Waise für die ihnen zugefügte Beleidigung zu rächen; so viel schwerer wog in diesem Augenblick Schanhatta's moralischer Muth, als die physischen Kräfte und die wilde Grausamkeit ihrer Feinde. Und wenn diese auch bald wieder ihre gewohnte Herrschaft über sich und ihre Leidenschaften zurückgewannen, so ging der Einfluß, welchen Schanhatta durch ihr unerschrockenes Auftreten errungen, nie ganz verloren, obwohl auf der andern Seite wieder das, nach den Ansichten der Wilden, seltene und von der Gottheit sichtbar bevorzugte Mädchen in ihren Augen einen erhöhten und daher ihre Begierden um so mächtiger aufstachelnden Reiz erhielt.

Mir lehrte Schanhatta den Rücken zu, den Ausdruck ihrer sprechenden Augen konnte ich also nicht beobachten, wie auch die Fesseln an den Händen ihr nicht gestatteten, ihre Anrede, wie sie sonst zu thun pflegte, mit den eigenthümlich anmuthigen und bezeichnenden Bewegungen zu begleiten. Als aber ihre Worte so ernst und bestimmt aufeinander folgten und die wilden Krieger sie mit einer gewissen Scheu betrachteten, da wurde sie sogar in meinen Augen plötzlich eine ganz Andere, und kaum erkannte ich in ihr die schlanke Mandanenwaise wieder, die mit der Sanftheit einer Tande mir stets meine Wünsche aus den Augen herauszulesen suchte.

Längere Zeit dauerte es, bis der über eine solche unerhörte Verwegenheit verwirrte und erbitterte[207] Häuptling das zu verstehen schien, was Schanhatta gesprochen hatte. Endlich aber ließ er die Hand langsam von seinem Messer niedergleiten, und sich stolz emporrichtend, maß er das unerschrockene Mädchen mit einem drohenden Blick von unten bis oben.

»Der weiße Jäger ist ein Mann,« hob er ausdrucksvoll an, »er ist ein Krieger, denn seine Büchse raubte zwei muthigen Blackfoot-Indianern das Leben. Ein Krieger aber weiß Schmerz zu ertragen; es beleidigt ihn, wenn man seine Schmerzen entfernt. Will die junge Mandanensquaw von ihren Banden befreit sein, so braucht sie es nur zu sagen; mein Messer wird ihr den Gebrauch ihrer Hände wiedergeben.«

»Lasse der Blackfoot-Häuptling meine Hände gebunden,« entgegnete Schanhatta mit einer schwer zu beschreibenden Hoheit, »meine Hände sind gefährlich, denn schon einem seiner Krieger raubten sie das Leben; sie mochten noch andern den Weg nach den glückseligen Jagdgefilden zeigen. Aber gehe der Häuptling hin und löse er die Fesseln von den Füßen des weißen Jägers, oder das Dorf der Blackfeet wird nie den Anblick der Mandanenwaise erhalten. Oder fürchtet der muthige Häuptling, daß der weiße Jäger mit dem verwundeten Knie schneller sei, als seine jungen Leute; oder daß er ohne Waffen stärker sei, als so viele Blackfoot-Krieger, wie ich Finger an den bänden zähle?«

»Ein Blackfoot-Häuptling braucht zehn weiße Jäger nicht zu fürchten,« versetzte Blackbird prahlerisch, nur noch mit Mühe seinen Unmuth verbergend, »aber meine Tochter hat recht, die Reise nach dem Dorf der Blackfoot-Nation ist weit, und der weiße Jäger muß gesunde Füße haben, soll er den Ort erreichen, wo die Knaben ungeduldig darauf harren, ihre stumpfen Pfeile in sein zuckendes Fleisch zu treiben. Er bedarf seiner ganzen Kraft, um meinen jungen Leuten zu zeigen, wie ein mutiger Krieger stirbt; die Knaben der Blackfoot-Nation sollen von ihm lernen Schmer; ertragen, und die alten Krieger und die weisen Medicinmänner werden den Knaben Martern lehren, bei welchen ein schwachherziger Krieger wie ein unbeholfenes Kind klagen würde.«

Indem der Häuptling dies langsam und mit besonderem Nachdruck aussprach, und seine Krieger ihm durch Zeichen und einzelne halbunterdrückte Laute beistimmten, wendete er sich mir zu.

Es war ersichtlich, er suchte sich durch derartige Drohungen an mir dafür zu rächen, daß Schanhatta ihn wie einen Untergebenen behandelte, ohne daß er vermocht hätte, den Zauber, welchen sie auf ihn ausübte, abzuschütteln. Doch seine Absicht, mich mit Besorgniß vor der Zukunft zu erfüllen, schon im Voraus meinen Muth zu brechen, gelang ihm nur unvollkommen. Ich bezweifelte zwar nicht, daß die anwesenden Blackfeet wirklich den besten Willen hegten, mir zu gelegener Zeit einen qualvollen Tod zu bereiten, doch hatte sich in mir der Glaube, oder vielmehr die feste Ueberzeugung gebildet, daß ich dem mir drohenden Geschick dennoch entrinnen, und zwar durch Schanhatta's unausgesetzte Wachsamkeit und ihr schnelles Handeln im entscheidenden Augenblick entrinnen würde. Bewies sie doch schon in der nächsten[208] Minute, daß sie mit kluger Berechnung ihren Einfluß zu benutzen und zu meinem Besten auszudeuten wußte.

Als nämlich Blackbird geendigt, trat sie einen Schritt zurück, wie um ihm den Weg zu mir frei zu machen.

»Was zaudert der Häuptling der Blackfoot-Nation?« hob sie an, mit ihren gefesselten Händen auf mich hinweisend. »Dort liegt der bleicht Jäger; die dünnen Riemen schneiden ihm tief in's Fleisch, und die Wunde, welche eine Kugel ihm riß, wird wieder zu bluten beginnen. Was zaudert der Häuptling, seine prahlenden Worte auszuführen? Ist sein Messer vielleicht stumpf, oder muß der Häuptling seine jungen Leute fragen, ob sie ihm gestatten, des fremden Mannes Fesseln zu zerschneiden?«

»Blackbird ist ein großer Häuptling, wenn er spricht, dann haben seine jungen Leute ihre Ohren zu öffnen,« versetzte der wilde Krieger schnell, der sicherste Beweis, daß Schanhatta's mit Ueberlegung gewählten Worte seinen ganzen Ehrgeiz wach gerufen hatten. Die übrigen Blackfeet aber, die zu andern Zeiten wohl kaum eine so übermütige Sprache, ohne Einwendung zu erheben, geduldet hätten, schwiegen, weil sie sich in ihrem Häuptling mit verletzt fühlten und bei dem kühnen Benehmen des schwachen und sonst in ihren Augen nichts geltenden Mädchens eine gewisse Scham empfanden. »Blackbird ist ein Häuptling,« wiederholte dieser noch einmal, das Messer aus seinem Gurt ziehend und mit wegwerfender Geberde[209] die Schneide prüfend, »nicht vergebens trägt er die weihe Locke auf seinem Haupt; sie erinnert ihn daran, daß er bereits ein Mann war, als er die Winter eines Jünglings zählte, schon damals nicht auf die Worte von Weibern zu hören brauchte. Die Mandanentochter hat lange mit dem bleichen Jäger verkehrt; viel Weisheit ist in ihren Kopf gedrungen, sie hat aber vergessen, daß sie ein Weib ist; sie hat verlernt, ihre Zunge zu mäßigen. Doch was frage ich nach dem Urtheil von Weibern?« unterbrach sich der Häuptling hier, seine Blicke von den ihn bezaubernden Äugen Schanhatta's abwendend, »schon zu lange würdigte ich die fremde Squaw meiner Aufmerksamkeit; ich handle, wie es mir gefällt,« und so sprechend schritt er gerade auf mich zu, und nachdem er mit raschem Schnitt die Fesseln von meinen Füßen entfernt, begab er sich mit gleichgültiger Miene an's Feuer zurück, wo er sich, scheinbar ohne Schanhatta weiter zu beachten, auf seine alte Stelle niederwarf. Nachdem Schanhatta auf diese Weise ihren Willen durchgesetzt hatte, schlich sie wieder davon. Niemand wehrte ihr, sich neben mich hinzusetzen; Niemand verbot ihr, daß sie eine leise Melodie anstimmte, und Niemand verstand sie, als sie hin und wieder einige Trostesworte in ihren melancholischen Gesang verflocht, welche ebensowohl von ihrer treuen Anhänglichkeit, als von ihrem namenlosen Schmerz über meine Gefangenschaft zeugten.

Quelle:
Balduin Möllhausen: Die Mandanenwaise. In: Deutsche Roman-Zeitung, 2. Jg., Band 3, Berlin 1865, S. 196-210.
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