Fünfzehntes Capitel.

Auf der Farm.

[377] Die liebe freundliche Farm, wie sich ihr Bild meinem Gedächtniß so tief, so unauslöschlich eingeprägt hat!

Nur Tage waren mir im Kreise jener glücklichen Familie vergönnt, aber Tage, welche mit zu den hellsten Lichtpunkten der Erinnerung an mein beschwerliches, dafür aber um so genußreicheres Wanderleben zählen.

Wie strahlte dort die Sonne so lieblich, wie berührten die bald melancholischen, bald heiteren Melodien des Spottvogels, der sanfte Ruf des glühend rothen Kardinals und das Girren der Wandertauben so traulich mein Ohr, wie duftete der Wald so süß und prangten die Blüthenkelche in so prächtigen Farben!

Und doch lachte die Sonne nicht lieblicher, wie zu andern Zeiten vom blauen Himmel nieder, jubelten die Vögel nicht fröhlicher und blühten die Blumen nicht schöner, wie in andern Zonen. Aber eine freundliche Hand hatte mein Kissen geglättet, ein biederes Herz mir in aufrichtiger Freundschaft entgegengeschlagen, und wieder und immer wieder spiegelte ich mich in den schönen unschuldigen Augen holder, zutraulich tändelnder Kindheit. Der Contrast welchen das Leben[377] in der Urwildniß, die ich eben verlassen hatte, zu den Tagen friedlicher, behaglicher Ruhe bildete, war ja zu groß, zu scharf hervortretend, zu wohlthuend, als daß mir nicht Alles hätte wie im schönsten Festkleide prangend erscheinen müssen. –

Wir saßen wieder in der Laube, welche uns den besten Schutz gegen die noch immer heiße Nachmittagssonne gewährte, und Frau Jeannette war mit der kleinen Johanna ihren häuslichen Verrichtungen nachgegangen, als Wandel aus eigenem Antriebe das Gespräch noch einmal auf seine Lebensgeschichte lenkte. »Sie fragten mich nach dem Vater meiner Jeannette,« hob er an, indem er einen Brief aus der Tasche zog und vor sich auf den Tisch legte, »und in der Voraussetzung, daß Sie es nickt als eine Mahnung ansehen, Ihren Aufenthalt in meinem Hause abzukürzen, will ich jetzt meine Berichte vervollständigen.«

Werker hat sich also bis zu seinem Ende nicht mehr von uns getrennt. Er begleitete uns nach der Mission und von dort hierher, und stets war er mir bei meinen Arbeiten ein treuer Gefährte und Gehülfe. In seinen Tiefsinn verfiel er nicht wieder, doch war in seinem ganzen Wesen ein wehmüthiger Ernst zurückgeblieben. Er sprach nur selten und wenig, aber im Ausdruck seiner wohlwollenden Augen stand deutlich geschrieben, daß er sich glücklich und zufrieden fühle.

Er war stets milde und freundlich, und nie kam ein Wort der Ungeduld oder des Mißvergnügens über seine Lippen. Dagegen erinnere ich mich nicht, ihn in den ersten Jahren unseres Zusammenseins jemals lächeln gesehen zu haben.

Erst als unsere kleine Johanna einzelne Worte zu lallen begann und ihn einst, für ihn ganz unerwartet, »Großvater« nannte, erhellte ein glückliches Lachen sein Antlitz zum ersten Mal wieder. Von jener Stunde an lebte er gleichsam von Neuem auf, und in ähnlicher Weise, wie das sich wunderbar schnell entwickelnde Kind, wendete auch er der Außenwelt eine größere Theilnahme zu.

Er sprach mit Rübe und Ergebung von der Vergangenheit und gedachte mit heiterer Zuversicht der Zukunft, und fast kein Tag verging, an welchem er nicht wenigstens einmal wiederholt hätte, daß unsere kleine Johanna das getreue Ebenbild seiner ältesten dahingeschiedenen Tochter sei, wie ihm dieselbe noch immer lebhaft als kleines Kind in Gedanken vorschwebe.

Wie recht er hatte, vermochte Niemand besser, als ich, zu beurtheilen. Es ist für mich eine Quelle innigster Freude und lieber wehmüthiger Erinnerungen, zu beobachten, wie diese Aehnlichkeit nicht nur im Aeußeren, sondern auch im ganzen Wesen von Tag zu Tag auffallender hervortritt. Nur kräftiger verspricht das Kind zu werden, und dem Himmel sei Dank, fehlen auch die Einflüsse, welche bei meiner verstorbenen Johanna bereits in frühster Jugend nachtheilig auf ihr Gemüth einwirkten und den ersten Keim zu ihrer späteren tödlichen Krankheit legten.

Mit Recht kann ich behaupten, daß unsere kleine Tochter vorzugsweise dazu beitrug, den Lebensabend des alten Werker zu versüßen. Das Kind liebte den freundlichen Greis über alle Beschreibung, und er[378] wieder war sogar heiteren Gesprächen zugänglich, wenn er die Kleine auf seinen Knieen schaukelte oder sie auch nur in seiner Nähe sich lustig umhertummeln sah.

In solchen Stunden gelang es mir zuweilen, ihm eine Feder in die Hand zu drücken, Papier vor ihn hinzulegen und ihn zum Schreiben an seinen Bruder, meinen so verehrten Vormund, den greisen Oberstlieutenant zu bewegen. Waren es nur wenige Worte, welche er an ihn richtete, so zeugten diese doch nur von seiner unwandelbaren treuen Anhänglichkeit an den besten aller Brüder.

In den Hauptsachen, ging die Correspondenz zwischen den beiden alten Herren durch meine Feder, und da ich sie genügend kannte, nm ihre Eigenthümlichkeiten, ihre Einfälle, ja, ihre Sprache sogar wiedergeben zu können, so sind meine Briefe stets ein hoher Genuß für sie gewesen. Sie betrachteten dieselben als Documente, bei welchen ich nur die Rolle eines Abschreibers übernommen habe. Besitze ich doch noch Briefe, in welchen mein alter gütiger Vormund sehr naiv sagt: »Schreibe dem Hans in meinem Namen einen recht herzlichen Brief, in welchem Du am Schluß hinzufügen kannst, wie sehr ich mich über sein von Dir verfaßtes Schreiben gefreut habe. Der alte Knabe scheint mit jedem Jahr jünger zu werden, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn er noch einmal auf Heirathsgedanken käme.«

Der Vater meiner Frau dagegen, als ich ihm einst einen im Auftrage des Oberstlieutenants von mir an ihn gerichteten Brief vorlas, äußerte kopfschüttelnd: »Man sollte wirklich denken, daß er so viel jünger als ich sei, wie er älter ist. Man möchte den alten Burschen um seine eiserne Konstitution beneiden; sollte mich gar nicht wundern, wenn er eines Tages hier einträfe, um uns einen Besuch abzustatten.«

Und so gelang es mir denn, die beiden lieben alten Leute vollständig über einander zu täuschen; im Geiste sahen sie sich gegenseitig im rüstigsten Mannesalter; Einer freute sich über den Andern, sie vergaßen, daß seit ihrem letzten Zusammensein wenigstens dreißig Jahre verstrichen waren und vermochte daher sich Einer von dem Andern nur ein Bild zu entwerfen, wie es ihnen noch immer aus einer glücklichen Vergangenheit in der Erinnerung vorschwebte.

Die Zeit ging dahin; Werker wurde von Tag zu Tag heiterer, trotzdem auf der andern Seite seine körperlichen Kräfte merklich abnahmen. Das Alter, mehr aber noch die Leiden und Entbehrungen, welche er während seines abgeschiedenen Lebens unier den Eingeborenen erduldete, machten sich geltend, und so ereignete es sich denn vor zwei Jahren an einem schönen Frühlingsmorgen, daß er, anstatt, wie er am Abend vorher versprochen Halle, mit Johanna, seinem Liebling, einen Spaziergang in den Wald zu unternehmen, zur ewigen Ruhe eingegangen war.

Der Tod hatte freundlich und unfühlbar seine erstarrende Hand auf das treue Herz gelegt. Er war im Schlafe gestorben, und auf seinen bleichen Zügen richte das glückliche Lächeln, mit welchem er unsere Johanna zu begrüßen pflegte.

»Was er in seinen letzten Lebensjahren so oft gewünscht, ging in Erfüllung: es flossen an seinem[379] Grabe heiße Thränen der Trauer, und treue Kindesliebe pflegt heute noch, und so Gott will, noch viele kommende Jahre hindurch, sorgfältig die Blumen, welche seiner Decke in Fülle entsprießen.

Ein seltsames, ein freundliches Geschick waltete über den beiden Brüdern. Keiner erfuhr den Tod des Andern, denn als die traurige Nachricht von dem Dahinscheiden seines Bruders auf der Oberförsterei eintraf, da war mein Vormund bereits todt. Ich hätte es ahnen können; sein jüngster an mich gerichteter Brief trug das Gepräge eines letzten Willens, eines gefaßten, vertrauensvollen Hinüberblickens in das Jenseit.«

»Dann ist die Gattin des Oberstlieutenants wohl vor dem alten Herrn gestorben?« fragte ich nach einem längern feierlichen Schweigen, welches dem Andenken der beiden Brüder galt.

»Sie starb vier Jahre früher,« entgegnete Wandel, »sie starb innig beweint von ihrem Gallen und allen Dorfbewohnern, mit welchen sie jemals in Berührung gekommen war; denn mochte ihr starres Haften an den von ihrer Kirche vorgeschriebenen Formen auch nicht ohne schädliche Wirkung auf ihre Lebensansichten geblieben sein, so war sie dafür um so mildthätiger, um so schneller bereit, zu helfen, wo sie sah, das Hülfe noth that.«

Doch indem ich der ehrwürdigen alten Dame gedenke, tauchen noch so manche Gestalten in meiner Erinnerung auf, für welche Sie, da Sie meine Lebensgeschichte so genau kennen, sich nicht minder interessiren dürften.

Der Oberstlieutenant liebte es nicht, lange Briefe zu schreiben; er wählte daher den Ausweg, da, wo sich ihm ein geeigneter Grund dafür bot, mir Zeitungen zu übermitteln und diejenigen Stellen, auf welche er meine Aufmerksamkeit hinzulenken wünschte, mit Rothstift zu bezeichnen. Eine solche Sendung erreichte mich auch, als ich eben im Begriff stand, zum ersten Male die Reise von St. Louis aus nach dem mir unbekannten, fernen wilden Westen anzutreten. Aus diesen Zeitungen schöpfte ich ein besseres und faßlicheres Bild von Allem, was bald nach meiner glücklich ausgeführten Flucht stattgefunden hatte, als mein Vormund mir zu geben vermocht hätte, um so mehr, da die in denselben aufgezeichneten Nachrichten noch immer von einigen kurz gefaßten Erläuterungen und Zusätzen des alten Herrn begleitet waren. Meine geheimnißvolle Flucht hatte damals kein geringes Aufsehen erregt. Man suchte Wohl zu ermitteln, wer mir bei dieser behülflich gewesen, jedoch vergeblich, und wenn wirklich meinen Vormund ein leiser Verdacht traf, so scheute man sich doch wohl, gegen einen alten ergrauten invaliden Freiheitskämpfer, der die größte Schonung seiner Gefühle verdiente, einzuschreiten.

Vielleicht war man auch froh, der Pflicht überhoben zu sein, die Strafe für den Hochverrath und den darauf folgenden Fluchtversuch in ihrer ganzen Strenge an mir in Anwendung bringen zu müssen. Jedenfalls hatte ich die große Genugthuung, zu erfahren, daß ich auf vollständig unbegreifliche Weise verschwinden sei und das Vaterland sich zu der Verminderung der ihm innewohnenden gefährlichen Elemente Glück wünschen könne.[380]

Auf der Oberförstern war nach Johanna's Tode und nach meinem Scheiden eine trübe gedrückte Stimmung eingezogen. Nur seiner überaus kräftigen Natur und seinem eisernen Willen, mit welchem er die Gefühle beherrschte, die ihn zuweilen zu übermannen drohten, verdankte es mein Vormund, daß er nach den herben Schicksalsschlägen sich endlich wieder erholte und, wie ehedem, mit seiner militairischen selbstbewußten Haltung einherschritt.

Auf seiner Gattin dagegen lastete es wie ein schwer drückender Alp, und die jüngsten Erfahrungen trieben sie, wo möglich noch im erhöhten Grade, zur Buße für die Sünden, welche, nach ihrer Ueberzeugung von den Mitgliedern ihrer Verwandtschaft verübt worden waren. Am allerwenigsten aber diente dazu, das Gewissen der eifrigen Katholikin zu erleichtern, daß der Oberstlieutenant sich ernstlich und ohne viele Umschweife alle ferneren Besuche Bernhard's und seines Jesuitenbruders verbat:

Durften die beiden Priester die Oberförsterei auch nicht mehr betreten, so trafen sie doch keine Anstalt, nachdem Johanna dem alleinseligmachenden Glauben geopfert worden war, die Gegend zu verlassen. Sie befürchteten das Auftauchen von Gerüchten, welche ihren geheiligten Zwecken vielleicht nichts weniger, als förderlich gewesen wären, und die rechtzeitig zu bekämpfen und niederzuschlagen sie als ihre nächste Aufgabe betrachteten.

Der plötzliche Tod des armen, in religiöse Überspanntheit hineingeängstigten Kindes mußte vorerst zu ihren Gunsten ausgedeutet werden, anstatt daß ihre Abwesenheit wahrscheinlich gerade das Gegentheil bewirkt hätte.

Sie blieben, doch sollte ihnen aus ihrem längeren Verweilen kein Segen erwachsen.

Meinem Vormunde sowohl, als auch andern Leuten war es aufgefallen, daß seit meiner Flucht im Hause von Anton's Mutter ein ganz neues und verhältnißmäßig üppiges Leben geführt wurde. Manche neigten sogar zu dem Glauben hin, daß der Ueberfluß bei der sich keines guten Rufes erfreuenden Familie mit meinem glücklichen Entkommen in Verbindung gebracht werden dürfe und es mein Geld sei, für welches sie sich Tag für Tag gütlich thaten.

An meinen Freund, den armen Anton, dachte dabei Niemand, wenn ich auch nicht bezweifle, daß sein Bruder Andres Alles ausspionirt hatte und sich nur deshalb scheute, öffentlich als Ankläger gegen ihn aufzutreten und in dieser Weise seinen Zorn an ihm auszulassen, weil Anton seit dem Tage, an welchem ich auf dem Ufer des Rheins Abschied von ihm nahm, auf der Oberförsterei und unter dem persönlichen Schütze meines Vormundes lebte.

Der arme Schelm hatte daselbst ein Loos gefunden, wie er sich in seinen bösen Tagen vielleicht den Himmel vorgestellt haben mag. Er wurde gekleidet und gespeist, und dabei übertrug man ihm solche Arbeiten, die seine Kräfte nicht überstiegen und viel zu seinem körperlichen und geistigen Wohlbefinden beitrugen. Er sorgte für die Hunde und das Federvieh, er schleppte Holz für Küchenherd und Ofen herbei, er beaufsichtigte meines Vormundes Pfeifen, du ein ganzes Brett ausfüllten, und wie der alte Herr selbst in einem Briefe versicherte, hatte Anton[381] es im Stopfen der Pfeifen zu einer Fertigkeit gebracht, daß sogar der alte Blücher »seligen Angedenkens« daran nichts zu tadeln gefunden haben würde.

Die Uhr, welche ich ihm bei unserer Trennung schenkte, hatte er, meinem Rathe folgend, dem Oberstlieutenant in Verwahrung gegeben. Dieser zog sie regelmäßig auf und hing sie in seiner Wohnstube so hin, daß Anton im Vorbeigehen immer einen Blick auf dieselbe werfen und sich jedesmal über seinen Reichthum freuen konnte.

Ueberhaupt betrachtete der alte gute Herr den treuen Burschen sammt seinem Raben, der ihm schimpfend und scheltend auf Schritt und Tritt überallhin nachfolgte und mit Federvieh und Hunden auf leidlich gutem Fuße lebte, als eine Art Vermächtniß von mir. Ich kann mir so recht vorstellen, wie er ihn auf seine Art verzog, bin und wieder sich in eine Unterhaltung über mich mit ihm einließ und ihn unter Recitirung aller nur denkbaren militairischen Flüche noch nachträglich für sein kluges und tapferes Benehmen vor dem Feinde belobte.

Der arme ehrliche Anton dagegen, wie er sich dann wohl freute, und wie er sich bestrebt habe mag, seinem wohlwollenden Gebieter seine Anhänglichkeit und Dankbarkeit zu beweisen!

Der Rabe war bei solchen Gelegenheiten natürlich der Dritte im Bunde und soll mit dem Oberstlieutenant stets um die Wette geflucht und mit Anton um die Wette gelacht haben.

Das kluge Thier hatte nämlich, wie mir mein Vormund mittheilte, zum größten Entsetzen seiner guten Lisette, sehr bald alle Flüche und sonstigen derben Lieblingsausdrücke des alten Herrn, die er des Tags wohl zwanzigmal hörte, auswendig gelernt, und zwar nicht nur die Worte, sondern auch den schnarrenden Ton, in welchem dieselben in die Welt geschickt wurden.

Ueber Letzteres erklärte mir der Oberstlieutenant seine besondere Zufriedenheit, indem er dadurch in den Stand gefetzt sei, frei von der Leber zu sprechen und, wenn seine Lisette ihn wirklich einmal aus der Ferne belauscht habe und ihm, unter Hinweisung auf das Fegefeuer, seine rauhen Soldatenmanieren vorwerfe, alle unheiligen Bezeichnungen dem gottlosen Jakob zur Last zu legen.

Derartig waren also die häuslichen Verhältnisse auf der Oberförsterei, auf welcher der alte treuherzige Krieger bis an das Ende seiner Tage den nach allen Richtungen hin freundlich und wohlthuend wirkenden Mittelpunkt bildete.

Daß Anton auf der Oberförsterei ein so gutes Unterkommen gefunden hatte, gereichte ihm auch noch in anderer Beziehung zum Glück. Wer weiß, wäre er im Hause seiner Mutter geblieben, dann hätte er in der schrecklichen Katastrophe, welche über die einsame Hütte, oder vielmehr deren Bewohner und Besucher hereinbrach, vielleicht ebenfalls seinen Untergang gefunden. –

In den ersten Wochen nach meiner Flucht herrschte also in Anton's elterlicher Hütte ein Ueberfluß, wie wahrscheinlich noch nie, seit ihrer Gründung. Doch nicht allein dort, sondern auch in den umliegenden Schänken, wo nur immer der böse Andres sich zeigte,[382] erhielt man die untrüglichsten Beweise, daß es ihm nicht an Gelb mangle und er dasselbe am allerwenigsten seiner Betriebsamkeit verdanke. Er spielte, er feierte nächtliche wilde Gelage mit seinen Gesinnungsgenossen, er veranlaßte blutige Raufereien, und dabei führte er solch übermüthige Reden über die Unerschöpflichkeit seines Reichthums, daß sogar die nächsten Behörden Argwohn gegen ihn faßten und ihn durch die Gensdarmen schärfer beobachten ließen.

Diesen gegenüber war er indessen zu listig; er berief sich darauf, seine Geldmittel von einem reichen Manne, dem er einen großen Dienst geleistet, empfangen zu haben, und da er sich standhaft weigerte, einen Namen zu nennen, so gewann das Gerücht, daß er mir bei meiner Flucht behülflich gewesen sei, unter den Leuten immer mehr Glauben.

Man konnte ihm aber nichts beweisen und beschränkte sich daher vorläufig darauf, ihn und sein Treiben aufmerksamer zu beobachten.

Wer hätte auch geahnt, daß er, der bekannte gewissenlose Vagabonde in so naher Beziehung zu den beiden frommen Priestern stehe, die noch immer in dem nahen Kirchdorf wohnten, dort mit zündendem Glaubenseifer die Menschen zur Beichte und Buhe ermahnten und darauf hinwiesen, wie Gott seine verirrten und ihm entfremdeten Schafe selbst auf ihrem Sterbebett noch zu finden und der von ihm einzig und allein eingesetzten wahren Religion in den Schooß zu führen wisse? Wer hatte ferner geahnt, daß diese frommen Männer gezwungen waren, durch klingende Münze das tiefste Schweigen von Dem zu erkaufen, den sie so lange als ihr Werkzeug benutzt hatten, und dem ein geschworener Eid nicht heiliger war, als ihnen selber, wenn sie dadurch ihren Zwecken zu genügen hofften? Aber sie hatten sich getäuscht, getäuscht ebensowohl über die Tragweite ihrer Lehren und ihrer religiösen Androhungen, wie über den Charakter des wilden Andres, an dessen verstocktem Gemüth Lehren wie Drohungen gleich machtlos abprallten. –

Die ersten Kränze, welche man auf Johanna's frischen Grabhügel gelegt hatte, waren, wenn auch von der Herbstluft gebleicht, doch noch nicht vollständig verwittert, als die beiden Priester endlich Anstalt trafen, eine Gegend zu verlassen, in welcher sie sich, des bösen Andres und seiner unverschämten Forderungen wegen, nicht mehr ganz heimisch fühlen mochten.

Möglich ist es auch, daß des Oberstlieutenants Haß und die wenig schmeichelhaften Urtheile, welche öffentlich über sie zu fällen er sich nicht scheute, mit zu ihrem Entschluß beigetragen hatten, oder daß sie von ihren Oberen, deren Zufriedenheit sie sich durch einen gewissen Mangel an Geschicklichkeit schwerlich erworben haben konnten, zurückberufen wurden.

Genug, sie bereiteten sich im Stillen zur Abreise vor, und um weniger Aufsehen zu erregen begab sich der Aeltere von ihnen, derselbe, der einst als Bernhard's Onkel aufgetreten war, mit ihren Sachen einige Tage früher auf den Weg, es seinem Genossen anheimstellend, zu gelegener Zeit nachzufolgen. –

Es war ein kalter, aber klarer Novemberabend, an welchem Bernhard aufzubrechen gedachte. Gegen Niemand hatte er ein Wort über seine Absicht geäußert,[383] aus Besorgniß, die Kunde von seiner Abreise würde den wilden Andres erreichen und dieser ihm in Folge dessen vorher noch einen Besuch abstatten. Aus denselben Gründen scheute er sich auch, einen Wagen zu miethen. Er kannte die Wege und Landstraßen ja genau, und da nach der Abreise seines Gefährten sein ganzes Gepäck nur aus einem kleinen tragbaren Koffer bestand, so hatte er beschlossen, zu Fuße nach Königswinter zu wandern und von dort aus am folgenden Morgen in aller Frühe seine Reise auf bequemere Art fortzusetzen.

Die kleinen Fenster der friedlichen Dorfhütten waren bereits erleuchtet, als Bernhard nach Koffer und Wanderst ab griff. Im Pfarrhause hatte er Abschied genommen, und war also kein Grund mehr vorhanden, noch langer zu zögern. Mechanisch schritt er nach der Thür hin und ebenso mechanisch legte er die Hand auf den Drücker, als er denselben plötzlich durch fremde Kraft nachgeben fühlte und im nächsten Augenblick der wilde Andres geräuschlos zu ihm in das Gemach hereinglitt.

Die Dunkelheit verhinderte ihn, den verrufenen Menschen sogleich zu erkennen; erst als dieser ihn höflich begrüßte, merkte er zu seinem Mißvergnügen, mit wem er es zu thun habe.

»Was führt Euch zu so später Stunde zu mir, mein lieber Freund,« redete er den Eindringling freundlich an, um seine Verlegenheit zu verbergen, »ich wünsche, Ihr wäret etwas früher gekommen, denn meine Zeit ist so kurz gemessen, daß ich mich, so gern ich es auch sonst thun möchte, nicht lange mit Euch aufhalten kann.«

»Es werden dies ziemlich genau dieselben Worte sein, wie sie in der Zeitung, welche die ganze Verhandlung brachte, angegeben sind,« schaltete Wandel hier mit tiefem Ernst ein, der bewies, wie mächtig ihn das ergriff, was er mir mitzutheilen beabsichtigte; »ja dieselben Worte, denn ich habe sie in meiner Einsamkeit am oberen Missouri, wohin ich die Zeitungen mitgenommen hatte, so oft gelesen, daß ich sie allmälig auswendig lernte.«

»Der Herr Kaplan wollen verreisen,« sagte Andres mit unverschämter erheuchelter Höflichkeit, denn er sowohl, wie Bernhard glaubten, daß sie sich allein und ohne Zeugen befänden, während Einer von den Leuten des Hauses, aus leicht erklärlicher Neugierde, auf die dunkle Vorflur geschlichen war und die ganze Unterhaltung mit anhörte. »Der Herr Kaplan wollen verreisen, und da gedachte ich mir die Freiheit zu nehmen, dem Herrn Kaplan Lebewohl zu sagen. Es könnte doch sein, daß der Herr diese Gegend so bald nicht wieder besuchten?«

»Das ist recht freundlich von Euch,« entgegnete Bernhard, »allein Ihr hättet dazu eine günstigere Zeit wählen sollen. Aber dennoch seid Ihr mir willkommen. Nehmt meine besten, aufrichtigsten Wünsche für Euer und Eurer Mutter Wohlergehen, und wenn ich Euch gelegentlich einmal von Nutzen sein kann, so wendet Euch vertrauensvoll an wich; meine Adresse wird Euch zu diesem Zweck innerhalb der nächsten vierzehn Tage zugehen, sobald ich erst mit Bestimmtheit weiß, wo ich vorläufig mein Domicil aufzuschlagen habe.«

»Der Herr Kaplan haben gut reden,« versetzte[384] Andres mit einem unterdrückten brutalen Lachen, indem er die Thür hinter sich in's Schloß drückte, in Folge dessen der Zeuge dicht an die Thür heranschleichen mußte, um Alles zu verstehen, was weiter in dem Gemach verhandelt wurde; »sehr gut reden,« wiederholte er hämisch, »ich soll an den Herrn Kaplan schreiben, und der Herr Kaplan wissen doch eben so gut, wie ich selber, daß ich es in der Schule nicht weit brachte. Aber der ehrwürdige Herr können mir gerade jetzt von sehr großem Nutzen sein, und würde ich nach Erfüllung meiner Bitte herzlich gern versprechen, mich nie wieder mit einem Anliegen an Sie zu wenden.«

»Können wir das nicht unterwegs abmachen, mein lieber Freund?« fragte Bernhard ungeduldig, »ich muß mich beeilen, wenn ich Königswinter noch heute Abend erreichen will.«

»Nein, nicht unterwegs,« erwiderte Andres gelassen, »es wäre zu unbequem.«

»Um was handelt es sich denn, mein guter Freund?« fragte Bernhard weiter.

»Nur um eine Kleinigkeit, Herr Kaplan, um ein Darlehen von hundert Thalern,« antwortete Andres. Er hatte indessen ebenso gut sagen können: um ein Geschenk von hundert Thalern, indem er ohne Zweifel an nichts weniger dachte, als auch nur einen Pfennig von dieser Summe zurückzuerstatten.

Bernhard durchschaute den Vagabonden sehr wohl und entschuldigte sich damit, daß er ihn für seine Dienstleistungen reich genug belohnt habe und außerdem augenblicklich nicht über so bedeutende Mittel verfüge, um eine so beträchtliche Summe entbehren zu können.

»Ich sollte denken, Herr Kaplan,« versetzte Andres darauf spöttisch, »die heimlichen Nachrichten, welche ich Ihnen zutrug, und die hülfreiche Hand, die ich Ihnen lieh, den jungen Herrn Wandel –«

»Ihr zeigt Euch von keiner christlichen Seite,« unterbrach Bernhard den Bösewicht streng, »zwischen Männern muß ein gegebenes Wort heilig gehalten weiden, und wenn Ihr Euch auf Eure geleisteten Dienste beruft, so müßt Ihr nicht vergessen, daß Ihr diese Dienste nicht mir, einem sündigen Menschen und unwürdigen Diener des Herrn geleistet habt, sondern dem Herrn selbst und seiner allerheiligsten Kirche, in welcher er seine alleinige Wohnung aufgeschlagen hat.«

»Ich glaube kaum, daß der Herr und seine Heiligen etwas dagegen einzuwenden haben würden, wenn Sie mir dennoch die vorgeschlagene Summe einhändigten,« antwortete Andres nun ebenfalls mit einer Anwandlung von Ungeduld über den Widerstand, auf welchen er stieß, »denn wäre ich gezwungen, einen Andern um das Darlehen anzugehen und ihm die Gründe auseinanderzusetzen, weßhalb ich in letzter Zeit nur so wenig gearbeitet habe, so weiß ich nicht, ob der Herr Kaplan dabei so sehr gut fortkämen.«

Auf diese Erklärung, welche offenbar eine Drohung enthielt, legte Bernhard seinen Koffer auf einen Stuhl, worauf er das Gemach einigemal mit langsamen Schlitten durchmaß.

Nach einigen Minuten blieb er plötzlich wieder vor Andres stehen, und es entspann sich zwischen ihnen ein im flüsternden Tone geführtes Gespräch,[385] welches der Zeuge nicht genau verfolgen konnte, ihm aber als eine Art von Feilschen und Handeln um einen bestimmten Preis erschien.

Die Verhandlung schloß endlich damit, daß Bernhard ein Licht anzündete, den Koffer noch einmal öffnete und Andres fünfundzwanzig Thaler einhändigte, wofür dieser eine von dem Priester aufgesetzte Quittung unterschrieb, laut deren er so in die Gewalt des selben gerieth, daß er nie mehr wagen durfte, mit irgend einer Forderung an ihn heranzutreten.

Nach Beendigung dieses Geschäftes brach Bernhard endlich auf; er verabschiedete sich nur noch bei dem Wirth des Hauses und dessen Familie, die ihm Alle das Geleite bis an's Hofthor gaben, wo Andres seiner harrte.

Letzterer war sehr höflich und gefällig und bat es sich als eine besondere Gunstbezeigung von dem Priester aus, ihm seinen kleinen Handkoffer eine Strecke weit, wenigstens bis dahin, wo der Pfad nach seiner heimathlichen Hütte abbiege, tragen zu dürfen.

Bernhard nahm das Anerbieten mit der ihm eigenthümlichen freundlichen Milde an, worauf Beide sich in der Richtung nach dem Rhein zu entfernten.

Es war dies das Letzte, das man von Bernhard sah und hörte. –

Wochen gingen wieder dahin. Des wilden Andres Mutter sah man häufig in berauschtem Zustande auf der Landstraße ihrer Hütte zuschwanken, während er selbst es toller, wie jemals trieb und kaum noch die eine Schänke verließ, um sich nach einer andern zu begeben.

Da traf plötzlich die Nachricht ein, daß man Bernhard an dem Ort seiner Bestimmung vergeblich erwartet habe und deßhalb vermuthe, er sei entweder erkrankt oder von irgend einem Unglück ereilt worden.

Nachforschungen wurden angestellt, und es ergab sich, daß seine Spuren da verloren gingen, wo er in Andres' Gesellschaft an jenem Abend das Dorf verlassen hatte.

Andres wurde in Folge dessen sogleich sammt seiner Mutter gesanglich eingezogen, doch entdeckte man weder in der Hütte, noch in deren Umgebung die geringsten Anzeichen, durch welche der Verdacht des Mordes, den man bei der ersten Nachricht von Bernhard's Verschwinden gefaßt hatte, gerechtfertigt worden wäre. Außerdem wurde durch den Zeugen, der an jenem Abend die beiden Genossen belauschte, festgestellt, auf welche Weise Andres in den letzten Monaten seine beträchtlichen Geldmittel bezogen halte.

Andres beharrte bei der Aussage, sich auf der Landstraße von dem Priester getrennt zu haben; seine Mutter leugnete standhaft, von Bernhard oder dessen Verbindung mit ihrem Sohne etwas zu wissen, und da man von einer sehr einflußreichen Seite wünschte, die ganze Angelegenheit so viel als möglich zu unterdrücken und nicht zu sehr in die Oeffentlichkeit gelangen zu lassen, so ist es mehr als wahrscheinlich, daß Beide wieder auf freien Fuß gesetzt worden wären, wenn nicht noch im letzten Augenblick die furchtbare That an's Tageslicht gekommen wäre.

Wunderbarer Weise war es der arme, früher von den Seinigen so mißhandelte Anton, der die grausige Entdeckung, ohne zu ahnen, um was es sich handelte, herbeiführte.[386]

Derselbe kehrte nämlich eines Tages athemlos und mehr todt als lebendig von einem seiner planlosen Ausflüge auf die Oberförsterei zurück, und als mau ihn dann ausfragte und er endlich wieder Worte fand, erzählte er zitternd vor Angst und Einsetzen, daß er in seinem alten Schloß einen fremden todten Menschen angetroffen habe.

Selbstverständlich wurden sogleich die entsprechenden Nachforschungen angestellt, und es ergab sich, daß die Leiche des ermordeten Priesters sammt allen seinen Sachen, das Geld ausgenommen, in der Höhle verborgen worden war, wahrscheinlich, um später, wenn es ohne Furcht vor Entdeckung geschehen konnte, der größern Sicherheit halber im Walde verscharrt zu werden.

Sein Tod mußte ein qualvoller gewesen sein, denn sein seidenes Halstuch, mittelst dessen man ihn erdrosselt hatte, schlang sich, außer um seinen Hals, auch noch um die Finger seiner linken Hand, mit welchen er sich augenscheinlich von dem tödlichen Griff hatte befreien wollen. In seiner rechten, krampfhaft geschlossenen Faust befanden sich, neben der von Andres unterzeichneten Quittung, auch noch einige Proben von dessen rothem Haar.

Es lag also außer allem Zweifel, daß Andres die schwarze That begangen hatte, und seine Mutter zum wenigsten um dieselbe wußte. Doch auch jetzt dauerte es noch lange, bis man, bei dem hartnäckigen Leugnen und den schlau durchdachten Ausflüchten: der Priester sei im Kampfe um die Quittung unter Andres' Händen, eh dieser eine Ahnung davon erhalten habe, plötzlich erstickt, ein bestimmtes Urtheil fällte.

Die nähern Umstände, welche Bernhard's gewaltsames Ende begleiteten, sind nie bekannt geworden; ebenso blieb es dunkel, ob er durch irgendwelche Vorspiegelungen von dem Andres in die Höhle gelockt, oder erst als Leiche dorthin gebracht wurde; jedenfalls aber starb er, als wenn die Vorsehung selber für sein finsteres verbrecherisches Treiben ihre rächende Hand nach ihm ausgestreckt habe.

Der arme Anton erhielt nie einen klaren Begriff von dem, was man seiner Müller und seinem Bruder zur Last legte. Er wußte nur, daß dieselben, im Zuchthause ihre begangenen Verbrechen abbüßten. –

Quelle:
Balduin Möllhausen: Die Mandanenwaise. In: Deutsche Roman-Zeitung, 2. Jg., Band 3, Berlin 1865, S. 377-387.
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