Im Frühling

[684] Hier lieg ich auf dem Frühlingshügel:

Die Wolke wird mein Flügel,

Ein Vogel fliegt mir voraus.

Ach, sag mir, all-einzige Liebe,

Wo du bleibst, daß ich bei dir bliebe!

Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus.


Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüte offen,

Sehnend,

Sich dehnend

In Lieben und Hoffen.

Frühling, was bist du gewillt?

Wann werd ich gestillt?


Die Wolke seh ich wandeln und den Fluß,

Es dringt der Sonne goldner Kuß

Mir tief bis ins Geblüt hinein;

Die Augen, wunderbar berauschet,

Tun, als schliefen sie ein,

Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauschet.


Ich denke dies und denke das,

Ich sehne mich, und weiß nicht recht, nach was:

Halb ist es Lust, halb ist es Klage;

Mein Herz, o sage,

Was webst du für Erinnerung[684]

In golden grüner Zweige Dämmerung?

– Alte unnennbare Tage!


Quelle:
Eduard Mörike: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1967, S. 684-685.
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