L. Richters Kinder-Symphonie als Hochzeitsgeschenk

[822] für Marie Hocheisen, geb. v. Breitschwert


(Ein nicht genug bekanntes Kunstblatt des vortrefflichen Meisters; Lithographie mit leichter Färbung, Querfolio. – Eine Anzahl Kinder, mehr ländlich als städtisch, in Werktagskleidung, hat sich dicht bei der Stadt am halbverfallenen Zwinger versammelt, wo sie, ganz unter sich, Musik machen. Mit Ausnahme eines ältern Knaben, der eine wirkliche Geige spielt, hat jedes nur ein Kinderspielzeug, oder ein zufällig gefundenes Surrogat für das betreffende Instrument, einen Trichter, eine Gießkanne und dergleichen in Händen. Der Violinist und ein zweiter Knabe, sowie das älteste Mädchen, welches mit letzterem zusammen singt, haben den edelsten musikalischen Ausdruck auf dem Gesicht. Unmittelbar hinter der Versammlung ist Wäsche zum Trocknen aufgehängt und bildet eine Art von künstlerischer Draperie. – Die nicht genannte Stadt ist Biberach, woselbst der Vater des Bräutigams als erster Geistlicher lebt.)


Hier, Liebwerteste, seht ihr einen kleinen

Dilettantenverein, ungleich an Kräften,

Und teilweise versehn mit Tonwerkzeugen,

Die dem Hörenden bange machen könnten.


Ein symphonisches Stück mit Singpartieen

Gilt's, und zwar noch der ersten Proben eine.

Vom andächtigen Klarinett herunter

Bis zum Rätschchen und Vater Haydns Kuckuck

Tut ein jedes nach seinem Kunstvermögen.

Baßposaune, Trompete lasten sichtlich

Auf der schmelzenden Bratsche; offenbar auch

Kommt die Sängerin schon nicht mehr zum Worte;

Doch nichts bringt den Direktor aus der Fassung.


Sagt, und wären euch denn die guten Kinder

Völlig fremd? es entdeckte wirklich niemand

Ein bekanntes Gesichtchen hier? – Nun also

Wißt: Landsleute sind's unsres vielgeehrten

Bräutigams! – wie ich näher gleich erkläre.


Denn ich selber, mit einem Dresdner Freunde,

Der verwichenen Herbst sich gern, als Maler,[822]

Unser Schwaben einmal beschauen wollte,

War zufälliger Zeuge dieser Szene,

Als wir beide, von Friedrichshafen kommend,

Vor dem Städtchen im Rißtal, das ihr kennet,

In Erwartung des Vier-Uhr-Zuges müßig

Hin und her um die alten Mauern strichen.

Leider waren des Herrn Dekans Hochwürden

Damals eben verreist, er hätte sonst wohl

Uns im kühligen Haus bei sich ein Fäßlein

Angestochen des edlen Kraftgebräudes,

Das sein heimatlich Ulm ihm zollt alljährlich.


Nun, beim äußersten Häuschen an der hintern

Grabenmauer ist gar ein stiller Winkel.

Eine Witwe, des Kantors selig, wohnt dort

Mit drei Kindern. Der eine Sohn ererbte

Seines Vaters geliebte Geige, aber

Alle dreie von seinen Gaben etwas.


Unvollständig noch, als wir kamen, lärmte,

Sang und pfiff das Orchester durcheinander:

Für die Fehlenden spielte die gesamte

Junge Nachbarschaft mit, und nicht nach Noten.

Doch verstummend auf unsern Wink mit einmal

Wich das wirre Getös dem hellen Goldklang

Einer himmlischen Mädchenstimme, wie wenn

Nachts aus krausem Gewölk des Mondes Klarheit

Tritt, ein Weilchen die reine Bahn behauptend.

Aber nimmer beschreib ich dieser Kehle

Herzgewinnenden Ton, noch jenes Lächeln,

Das verschämt um die frischen Lippen schwebte,

Noch den wonnigen Ernst, mit dem der Geiger

Ihr zunächst sie begleitete, der Bruder;

Neigend beide das Haupt nach einer Seite,

Wie zwei Wipfel, geneigt von einem Hauche,

Seelenvoll dem beseelten Zuge folgend.

– Und was sang sie? Die Worte ließen unschwer

Einen bräutlichen Festgesang erkennen.

Doch mir fiel nicht von weitem ein zu fragen,

Ob dergleichen denn wirklich wo im Werk sei?

Und wir hatten auch nicht lang Zeit: denn während[823]

Wir in herzlicher Rührung horchend standen –

Ludwig Richter und ich und ein vergnügter

Ulmer Spatz, mit noch andern wackern Tierchen –

Scholl die höllische Pfeife her vom Bahnhof.

Rasch nur küßt ich das süße Kind (Freund Richter,

Immer praktischer, zog den Beutel, das ich

Traun im Taumel beinah vergessen hätte) –

Und so rannten wir fort, und Stuttgart zu ging's.


Kaum nach Hause gelangt vernahm ich staunend,

O Marie, was sich mit dir begeben.

Holde, liebliche Botschaft, deren Wohllaut

Mir weissagend das Ohr voraus berührte!

»Heil!« so klingt es aus Kindermund noch helle

Mir im Sinn, und in ihrem Namen ruf ich

Heil, o Freundliche, dir und deinem Liebsten!

– Zwar sie hofften, so hör ich, hier im Saale

Heut, sonntäglich geputzt, mit Bändern und mit

Blumensträußen, geführt vom Herrn Provisor,

Ihre Sache vor euch zu produzieren.

Doch das sollte nicht sein, man fand den Einfall

Doch am Ende zu kühn, die Fahrt kostspielig.


Laßt euch denn, als Ersatz aus Richters Mappe,

Diese stille Musik hier auch gefallen –

Eine Probe nur freilich, aber war nicht

Stets den Liebenden selber ihres Glückes

Vorbereitung so süß wie die Erfüllung?


Quelle:
Eduard Mörike: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1967, S. 822-824.
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