Peter Kropotkin
zum 70. Geburtstage,
am 9. Dezember 1912 (gestorben 1921)

[152] Wehe dem Menschen, der niemals die Nöte

mordenden Unrechts fluchend erkannt!

Wehe dem Reichen, dem niemals die Röte

schmerzlicher Scham die Stirne gebrannt!

Weh dem Zufriedenen! Einstmals aus warmen

Decken schreckt ihn die Wahrheit empor!

Aber dreimal wehe dem Armen,

der den Glauben ans Glück verlor!

Durch der Menschen gräßliches Irren,

durch ihres Blutes schäumenden Fluß,

durch der Ketten kreischendes Klirren

schreitet der Freiheit trotziger Fuß.

Tausend tückische Widerstände

stellen sich drohend in ihre Bahn,

aber Millionen fleißige Hände

führen sie sicher durch Trug und Wahn.

Laßt uns die rührigen Hände segnen

und die Herzen, die groß und still,

furchtlos und stark dem Unrecht begegnen,

das die Freiheit vernichten will.

Wir grüßen dich, der du mit junger Kraft

ein langes Leben für die Freiheit strittst.[152]

Wir danken deiner rüstigen Leidenschaft,

da du des Greisenalters Saal betrittst.

Wir wünschen dir die unverbrauchte Glut,

das tapfere Herz, das lang noch jung und heiter

dein Leben wärme und den starken Mut

als unser Führer und als Wegbereiter.

Wir segnen dich. Wie das begierige Land

den Regen segnet, der ihm Kraft gegeben,

aus der sich alle Saat und Frucht entband – –

Befruchtete: so segnen wir dein Leben.

Wir lohnen dir, indem wir, was du schufst,

zusammenfügen zu gewaltigem Bau,

auf daß, wenn du zum Abschied einst uns rufst,

dein Blick noch deines Werks Erfüllung schau ...

Freudig wird der Mann den Spaten führen.

Selig wird die Frau ihr Kind erwarten.

Glück und Eintracht hinter allen Türen,

Spiel und Blütenduft in jedem Garten.

Flinten wird man häufen in Museen,

denn sie haben aufgehört zu dröhnen.

In den Gottestempeln und Moscheen

wird das Wort des Volkes stolz ertönen.

Um des Geistes letzte tiefste Fragen

werden ernste Menschen ernsthaft kämpfen,

und den Lärm des Kampfs und seine Klagen

wird die Achtung voreinander dämpfen.

Quelle:
Erich Mühsam: Ausgewählte Werke, Bd.1: Gedichte. Prosa. Stücke, Berlin 1978, S. 152-153.
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