Die Zeugen

[11] Du grün bewachs'nes Tal

Voll klarer, frischer Quellen,

Du Bach, der du so sanft

Hinrieselst deine Wellen,

Du wilder Wasserfall,

Umflort von Silberweiden,

O du geliebter Hain,

Bei euch nur wohnen Freuden,

Wohnt Friede nur allein!

Euch einen Tag zu meiden,

Wär' meinem Herzen Pein!

Denn wenn ich von ihr träume,

So träum' ich auch von euch!

Wenn ihrer ich gedenke,

Gedenk' ich eurer gleich.

Denn hier in diesem Tal

Traf mich zum erstenmal

Aus ihrem Aug' ein Strahl,

Der tief ins Herz mir drang,

Der sie zu lieben mich

Für Ewigkeiten zwang.

Hier lächelte sie mir,

Hier hielt ich ihre Hand,

Hier ihrer Lippe sich

Das süße Ja entwand.

Ihr sahet all mein Glück,

War't Zeugen meiner Lust;

Zu euch, zu euch zurück

Zieht es mich unbewußt.

Hier lausch' ich, ob ihr Tritt

Nicht in den Büschen rausche –

Und – ach, ich weiß es doch,

Daß ich vergebens lausche!

Deckt nicht das kühle Grab,

Was ich so heiß geliebt?

Nacht, senke dich herab,

Die keinen Morgen gibt.

Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Werke. Band 1, Mannheim und Neustadt/Hdt. 1918, S. 11.
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