[214] Die Nacht ist klar und heiter,
Der Himmel sternenhell,
Kein Lüftchen schlägt an Kräuter,
Nur rauscht des Neckars Well'.
Zum heil'gen Berge steiget
Der Mond herab mit Lust,
So rund und weiß, er gleichet
Des schönsten Fräuleins Brust.
Da klingt an ihren Köcher
Die schwere Mitternacht,
Das Licht stirbt der Gemächer
Und auf der Burg der Wacht.
Da taumelt neu geboren
Die Dämm'rung aus dem Hain –
Was schlägt zu meinen Ohren?
Was weinet hier allein?
O Mädchen hier am Steine,
Was weinst Du? Sag' es mir!
Starb Deine Mutter? Deine
Vertraute, starb sie Dir?
»Die Mutter nicht, auch keine
Gespielin schied in's Grab.
Von mir schied nur der Eine,
Den ich geliebet hab'.«
Oed' liegt die weite Schöpfung
Vor ihr. Der Seele Weh
Beklemmt die Brust – sie stöhnet.
So stöhnt das zarte Reh,
Das von dem hohen Ufer,
Woran es sicher sprang,
Hinunter stürzt in Fluten.
Des Stromes rascher Gang
Reißt's fort! die Hügel fliehen,
Wo es sonst weidend ging,
Der Busch, in dem es zärtlich
An Mutterbrüsten hing.
Verloren, hülflos schwebt es
Vor Schrecken stumm und taub
Im nassen Grab. – So wird sie
Jetzt der Verzweiflung Raub.
Faßt auf das letzte Tränlein,
Das ihr im Auge blinkt,
Und tragt's zum Stern der Liebe,
Der tief in Trauer sinkt!
Ach, tausend Herzen fühlten
Des Schicksals herben Streich,
Verletzter Schwüre Opfer
Vielleicht Dir Holden gleich.
Doch keine naht an Reinheit,
An Zärtlichkeit und Huld
Dir Muster hoher Treue
In Sanftmut und Geduld.
Nie soll Dein Ruhm veralten!
Mit jedem neuen Lauf
Der Jahre blühe künftig
Dein Name schöner auf.
Bei Deiner Klage schlage
Das Herz der zarten Braut,
Des Mädchens banger Busen
In heißer Wehmut taut.
Dir winde Kränze künftig
Des besten Jünglings Hand,
Der Gatte mit der Gattin,
Geknüpft an's holde Band
Der Treue, streue Blumen
Der sanften Trauer Dir!
O gerne weilt' ich immer
Mit reichen Klagen hier
In süßem Wehmutswechsel
Mit Dir, geliebtes Bild!
Des Mitleids holde Seele,
Die meine Töne mild
Mit leisem Ach begleitet –
O, teurer mir als Gold!
Die Rührung schöner Seelen
Ist edler Sänger Sold.
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