Nach Hahns Abschied

[96] von Zweibrücken Ostern 1775.


Ach, sie singet, die brünstige Finke,

breitet den zarten Flügel übers vollendete Nestchen,

zwitschert – und schlummert zum erstenmal wonniglich ein.


Und du, mein Freund, ferne! ferne!

Schüttle den Tau, wehender Nachthauch! ich schaure!

schüttl', ach schüttl' ihn mir,

daß ich senke diese reifende,

dem Herzen entquellende Zähre

auf die Viole ... Hat er's gehört?

O des Zärtlichen, er hat's gehört –!

Murmelt und schüttelt – – Meine Träne

gleitet sachte die Wang' herab!


Ach kein Mädchen, kein Freund!

kein zärtliches, zärtlicher, ach!

der ich sie breche,

dem ich sie gebe,

diese dir tränenbetaute Viole!


Und so muß sie einsam welken,

so geschmückt mit meiner Wehmut,

sterben, unbetrauert, ungeliebet, ach!


Mag sie doch – sinken, liegen, im Winde zerstieben!

Meine Wehmut mit ihr!

Bist du doch glücklich, Geliebter!

geliebt am Herzen derer, die meine Seele liebt!


Ha! dies wilde, pochende,

dies unaufhaltsam fliegende,

dies ängstlich tragende, mitfühlende Herz!

das, unglückselig ewig,

barbarisch immer aufnimmt und trägt!

Wie's drängt', wie's tobt! dir vorwärts nacheilt,

und mich peinigt und quält,

und meine Sinne zerrüttet,

und mir die Nerven zerreißt!
[97]

Wachs't zu Einem Freund', ihr Freunde!

Ach Seligkeit des Himmels

träufelt nieder dem,

der des Geliebten Busen umschlingt!

O ich weine, da du, Trunkner,

da du, Seliger,

an Stollbergs Busen dich knüpfst.


Genieße! und gedenke meiner!

Ha! gedenke meiner, wenn du tränenschauernd

unter der Liebe Fülle versinkst

und du am Herzen liegest dem

o wie soll ich ihn nennen!

Vater! Freund! Vater!

Klopstock! Klopstock! Ihm!


Wenn du an ihm hängst

und herzerdrückend, zermalmend

über dir die Wonne liegt,

o, dann reiße dich auf, atme und schaure

und gedenke deines Einsamen hier;

und, indem du noch einmal

die geliebte Stirne drückst,

gedenke deines Einsamen hier

und wehmütig und leise so:


Der, der jetzt noch um mich klaget,

schmachtend den Frühling verseufzt,

o, des einsamen Jünglings –

er liebt dich ewig wie ich!

Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Werke. Band 1, Mannheim und Neustadt/Hdt. 1918, S. 96-98.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Poèmes français Französische Gedichte
Trente poèmes en prose Dreißig Gedichte in Prosa
Passauer Poesie. Gedichte und Zeichnungen von Künstlern aus der Stadt und dem Landkreis Passau

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Geistliche Oden und Lieder

Geistliche Oden und Lieder

Diese »Oden für das Herz« mögen erbaulich auf den Leser wirken und den »Geschmack an der Religion mehren« und die »Herzen in fromme Empfindung« versetzen, wünscht sich der Autor. Gellerts lyrisches Hauptwerk war 1757 ein beachtlicher Publikumserfolg.

88 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon