Neuntes Kapitel.
Der gnädige Herr fällt auf die Nase, und wird in diesem Buche nicht wieder aufstehen. Der Ludimagister geht auf Reisen.

[53] Es giengen wohl noch acht Tage hin, nachdem dieser wichtige Punkt zum großen Vergnügen unsers[53] Edelmanns berichtiget war, ehe die sehnlich erwarteten Zeitungen ankamen. Schon begonnten Seine Gnaden ungeduldig zu werden, siehe da langten an in einem dicken Pakete die Haude- und Spenersche Zeitung nebst der Voßischen von Berlin, die sich hier in einem und demselben Umschlage ganz brüderlich vertrugen; ferner in einem beträchtlich dickeren Pakete der Altonaer Postreuter und der Hamburger Relationskourier, der Merkurius und der unpartheyische Korrespondent, samt allen ihren in Altona, Hamburg und Wandsbeck hervorgehenden Kollegen, die Intelligenzblätter mit eingerechnet, sämtlich vom ersten Januar an, bis auf den letztverwichnen Posttag.

Seine Gnaden amüsirten sich eine halbe Stunde lang, die Holzschnittchen, die zu Anfang einer jeden Zeitung stehen, zu betrachten und zu kritisiren. Das Pferd des Relationskouriers, meynte er, wäre die impertinentste Schindmähre unter der Sonne, wenn es sich für ein Pferd ausgäbe; höchstens könne es für eine Kuh gelten, der man die Hörner abgesäget. Das Postreuterpferd gefiel ihm weit besser, »wenn 's nur nicht das Maul aufsperren thäte, als wenn's alle Leute beißen wollte. Der Reiter sitzt dar aber viel zu steif auf. Das ist keine Posentur, das. Der weiß so 'n Hengst nicht zu reiten. Machts dem Gaul mit seinem Zurücklehnen allzu bestialisch sauer, so thut er.« u.s.w.

Mit den Löwen auf dem Korrespondenten war er so ziemlich zufrieden, und meynte, sie thäten recht löwenhaftig aussehen; aber daß sie den Schwanz zwischen die Beine steckten, das wäre nicht hübsch. An den Löwen auf der neuen Hamburger Zeitung mögt er nichts leiden, als daß sie den Schwanz[54] hübsch hoch trugen; der Eine1 sah nach seiner Meynung bald aus wie Türk. Der Junge mit den Krähenflügeln am Kopfe sah ihm gar nicht darnach aus, daß er 'n Springer reiten könne. Gebt man paß, sagte er, pumps wird er 'n Sandreuter machen. – Die übrigen Holzschnitte waren sämtlich unter seiner Kritik.

Unterdessen fand sich der Ludimagister ein. Gut, daß er kömmt, Schulmeister, sagten Seine Gnaden. Da ist 'n ganzer Spitakel von Avisen zu Lande geschlagen, sieht Er, zwey Parten. Laß mal hören, ob da von Türk in steht.

Der Schulmeister nahm und las: Petersburg vom 20sten Junius. Petersburg das ist da, wo der Moschowiter ist. Das ist ein böses Volk, Eu'r Gnaden. – London vom 30sten Junius. London, will ich die Ehre haben Eu'r Gnaden zu sagen, ist eine Stadt in England. O! das ist ein ganzes Volk, die Engländer!

»Weiß wohl.« sagten Seine Gnaden.

Einige andre Städte, deren Namen der Ludimagister hier zum erstenmal sah, ließ er ohne Anmerkung. Endlich kam er auf einen Artikel von Strasburg. Strasburg, gnädiger Herr, ist eine Stadt, da lauter Franzosen in wohnen.

»Nee, lauter Franzosen! Da muß schlimme Zeit seyn! Schlag das man über, Schulmeister! mag das Volk nicht leiden.«

Es ist auch ein tolles wurmhaftiges Volk, bemerkte der Ludimagister, so faselicht und hasenhaftig als ein Eichkätzchen, wie Eu'r Gnaden wohl wissen, wenn die ...[55]

»Man weiter, Schulmeister. Weiß das wohl.«

Paris vom 25sten Junius. Gestern haben die Gens du Roi Seiner Majestät den Beschluß des Parlements vorge...

»Halt da! Blix noch mal, halt da! da war ja wieder was Fransches. Paris ist ja 'n fransch Land, wie die alte fransche Jungfer mit dem einen Auge sagt. Schlag das man über Schulmeister. Mag von der franschen Majestät nichts hören, so mag ich. Will lieber von Türken und Mamedanern hören; sind auch wohl Bluthunde, aber doch nicht so arg als das fransche Volk; bleiben doch in ihrem Lande. Aber die andern aus dem Pariser Land, die Kummihs, die kommen hier ins Land, und saugen den Leuten 's Blut aus.«

So wurde täglich eine ganze Reihe Zeitungsblätter durchgelesen, wobey der Edelmann herzlich gähnte, und der Ludimagister weisheitsvolle Randglossen machte. Dieser war nie verlegen, er mogte eine Fregatte oder eine Galeere, das englische Parlament oder das Spanische Inquisitionsgericht definiren sollen. Das dauerte so etwa ein Jahr, da hätten aber Seine Gnaden beynahe das Magellonenbuch oder die Geschichte von den vier Haimans Söhnen wieder zurück gewünscht.

»Ist alles ganz gut, Schulmeister, was da drinn steht von den Paketbooten die abgesegelt sind, und von Herzoginnen die Kinder gekriegt haben, und von Schiffen die in einen Täckel hineingelaufen sind – wiewohl ich nicht begreife, wie sie das machen, und von Königen, die ein groß Gastgebot gegeben haben: aber der Blix! was geht das mich an? – Wollt lieber, daß dar in stehen thät von meinem Türk, und was auf meinem Gute paßiret, so wollt ich. Warum schreiben sie das nicht auch 'nein, wenn Ich spazieren reite, so gut als wenn der Kaiser spazieren thut? Der Kaiser ist Herr in seinem Lande, und ich bin[56] Herr in meinem Lande, so bin ich. Und wer weiß, wer die reichsten Bauren aufzuweisen hat? Laß mich man mal so'n Avisenmacher kriegen, ich will 'n schon Moritzen lehren!«

So klagte der Pommersche Edelmann manch liebes mal, bis endlich ein Gedanke bey ihm reif wurde, der vielleicht schon beym allerersten Zeitungsblatte in seinem Kopfe aufgekeimt war, und worüber er sich gegen den Schulmeister folgender Gestalt erklärte:

»Weiß der Blix nicht, Schulmeister, was er für 'n Gelehrter ist! Noch soll er all mein Lebstage den ersten guten Einfall haben. Hätt er nicht längst dran denken können, daß ich auch 'ne Avise hier machen ließe? – Hagel noch mal, das will ich. – Hör er mal, Schulmeister! Was ich sagen wollte, er soll mein Avisenmacher werden.«

Das war Wasser auf des Schulmeisters Mühle! Er war weit davon entfernt, der Weisheit des Edelmanns, die so kläglich auf die Nase fiel, wieder auf die Beine zu helfen; vielmehr ließ er sichs angelegen seyn, den guten Junker in dieser Lage zu erhalten. Gnädiger Herr, sagte er, mit meiner geringen Wenigkeit stehe ich zwar immer zu hohen Befehlen. Aber eine Avise muß billig gedruckt seyn; daher müßten Eu'r Gnaden eine Druckerey haben, sonst hat das Ding keine Art.

»Weiß wohl. Will eine machen lassen. Frag er mal nach, Schulmeister, wer so 'n Dings machen kann.«

Werde nicht ermangeln, Eu'r Gnaden.

»Will auch von mir reden lassen so gut als einer. Habe nun wohl Jahr und Tag lesen hören, daß die Königinn von – was weiß ichs? zur Ader gelassen, und der König von England Pillen eingenommen hat, oder der Spanische Ambassadeur ein Lusthaus miethen that. Die Könige und Ambassadeurs mögen sich nun mal lesen lassen, was ich thun will. Mach[57] er unterdessen man 'n Paar Avisen fertig, versteht er, daß sie flugs gedruckt werden können, wenn die Druckerey kömmt.«

Werde nicht mankiren, Eu'r Gnaden. Aber mit hoher Permißion, wenn Dero einen Befehl ausgehen liessen, daß alle Dero Unterthanen mir berichten müßten, was bey jedem Neues paßiret?

»Wills dem Justitiarius schon sagen, daß er ihn ausgehen lassen soll.«

Halten zu Gnaden! Dero haben gewiß schon resolviret, daß wir die Avisen irgendwo in der Nähe könnten drucken lassen, bis Eu'r Hochwohlgebohrnen Gnaden Schloßbuchdruckerey im Stande seyn wird?

»Ja, ja! kann so nah bey einerwegen drucken lassen.« –

Der Ludimagister erhob sich zum Rademacher des Dorfs, und erkundigte sich, ob er wohl eine Buchdruckerey machen könne? Dieser Mann aber hatte von dem Dinge so wenig einen Begriff als der Schulmeister, und verwies ihn an den Zimmermann. Der Zimmermann behauptete, eine Druckerey zu machen müsse Schmiedearbeit seyn. Der Ludimagister gieng zum Hufschmid, und dieser gab ihm die Versicherung, die Buchdruckereyen mache der Rothgiesser; denn er hätte einmal als Geselle auf der Wanderschaft, bey einem Rothgiesser eine grosse meßingene Platte gesehen, und auf Befragen vernommen, das sollte das Fundament zu einer Druckerey werden. Da nun kein Rothgießer auf dem Gute befindlich war, so kehrte der künftige Avisenmacher wieder aufs Schloß zurück, und stattete dem Junker Bericht ab. Seine Gnaden trugen ihm auf, in der Nachbarschaft einmal zuzuhören. »Wird ja einerwegen so 'n Dings zu kriegen seyn, Schulmeister. Er muß ja doch wohl nachfragen, wo wir unterdessen die Avisen drucken lassen;[58] kann denn mit eins mal zuhören. Geh er man hin; da hat er'n bischen Reisegeld. Na, seh er zu, hört er, daß er was aufstaket.«

Der vorgedachte Befehl wurde ausgefertigt und gehörigen Orts, das heißt: vor der Gerichtsstube und in der Schenke affigiret. Der Ludimagister trabte in den benachbarten Landstädten und Flecken herum, um eine Druckerey ad interim, und einen Rothgiesser, der eine machen könnte, aufzustöbern. Und der Edelmann? Der gieng seinen gewöhnlichen Schlentrian, und freuete sich herzinniglich, wenn er sein Pfeifchen in Pace rauchte, daß er eine eigne Schloßbuchdruckerey und eigne Avisen, folglich vor allen seinen Nachbarn einen gewaltigen Sprung voraus haben würde.

Anfangs ließ es sich mit des Ludimagisters Bemühungen nicht zum besten an. Fortuna ist ein Frauenzimmer, mithin launisch. Er wandelte etliche Tage fruchtlos in der ganzen umliegenden Gegend umher, zog aus dem Süden ins Norden, und von Niedergang gen Aufgang, und war des Abends nicht klüger, als er am Morgen gewesen war. Denn, in diesem abgelegenen Winkel des Pommerlandes, hatten allerdings Kartoffeln und Rüden besseres Gedeihen, als Wissenschaften und diejenigen Künste, die den Wissenschaften unmittelbar zu Pflegemännern und Handlangern dienen. Hier war an keine Buchdruckerey, und eben so wenig an einen Mann, der eine machen konnte, zu denken. Das war so ein wahres ächtes Revier für Freund Rousseau von Geneve, und die andern häßlichen Menschenkinder, die durchaus nicht glauben wollen, daß eine Welt voll Jurisprudenz, Ontologie, Therapie und wie die Dinge alle heissen, versehen überdem mit Buchdruckerey, Uhrmacherey, Apothekerey, Juweliererey, Scharfrichterey, Gleißnerey, Verläumderey, Brodneiderey, und was es[59] sonst für freye und galante Künste geben mag – daß, sag ich, eine solche Welt besser sey, als ein simples Lumpending von Welt, das sich dispensiret dieserley Arten irdischer Weisheit zu treiben. Die Herren würden in dortiger Gegend zwar nicht just ihr Paradis, aber doch einen ganz schicklichen Vorhof desselben gefunden haben. –

Lustig und lüftig war der Schulmeister ausgewandert, aber langsam vt iniquae mentis asellus, und mit bekümmerter Seele richtete er jezt seine schwerfälligen Schritte wieder nach der Burg seines vornehmen Gönners, als Dame Fortuna Mitleid mit ihm zu haben begonnte. Wir halten nicht viel von Eingebungen oder Dämonen. Aber der Einfall kam unserm Wandrer zu plötzlich, als daß es so ganz mit rechten Dingen zugehen konnte. Es war schlechterdings eine Eingebung Fortunens, oder ein Dämon hatte die Hand im Spiele, anders können wir das Ding nicht erklären. Ob es aber, wenn man den letzten Fall annimmt, der Dämon des Schulmeisters oder des Herrn Peter Fix gewesen sey: das lassen wir unerörtert. Es fiel dem Ludimagister plötzlich ein, es liege verschiedne Meilen abwärts ein feines Landstädtchen. Nun wußte er freylich so gut als hätte ers im Büsching gelesen, daß so viel Meilen hin, eben so viel Meilen zurück austragen, und daß man in dem Städtlein ohne allen Zweifel stämmigte Fleischer, wohlbeleibte Bierbrauer, und dürre spindelbeinigte Schneider die Fülle, hergegen eher zwölf Senfmühlen, als eine einzige Druckerey vermuthen konnten aber ein glückliches je ne sais quoi zog ihn unwiderstehlich hin. Es war – Aber so was verdient schon ein oder ein Paar eigene Kapitel, welche aber diejenigen die mehr Vernunft als Genie haben, ihrentwegen, diejenigen aber, die das Genie bald auf Alpen, bald in Mistlachen und Pferdeschwemmen[60] zu führen pflegt, meinetwegen ungelesen lassen können. Ehe ich mich aber an diese Kapitel mache, will ich vorher ein Kapitel von den Gastwirthen schreiben, in welchem ich hoffentlich, was ich bisher nicht finden konnte, Zeit und Platz zu dem Konterfey des Ludimagisters finden werde.

1

Dieß gilt von dem vormaligen Stocke auf der neuen Zeitung, der vor drey oder vier Jahren abgeschaffet ist. Die Löwen auf dem jetzigen sollten Seiner Gnaden schon gefallen haben, wenn Ihnen solche zu Gesicht gekommen wären.

Quelle:
Johann Gottfried Müller: Siegfried von Lindenberg. Hamburg 1779, S. 53-61.
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