Erster Schmerz, letzter Scherz

[15] Nun sitz' am Bache nieder

Mit deinem hellen Rohr,

Und blas' den lieben Kindern

Die schönen Lieder vor.
[15]

Die Lust ist ja verrauschet,

Das Leid hat immer Zeit:

Nun singe neue Lieder

Von alter Seligkeit.


Noch blühn die alten Blumen,

Noch rauscht der alte Bach,

Es scheint die liebe Sonne

Noch wie am ersten Tag.


Die Fensterscheiben glänzen

Im klaren Morgenschein,

Und hinter den Fensterscheiben

Da sitzt die Liebste mein.


Ein Jäger, ein grüner Jäger,

Der liegt in ihrem Arm –

Ei, Bach, wie lustig du rauschest!

Ei, Sonne, wie scheinst du so warm!


Ich will einen Strauß dir pflücken,

Herzliebste, von buntem Klee,

Den sollst du mir stellen an's Fenster,

Damit ich den Jäger nicht seh'.


Ich will mit Rosenblättern

Den Mühlensteg bestreun:

Der Steg hat mich getragen

Zu dir, Herzliebste mein!


Und wenn der stolze Jäger

Ein Blättchen mir zertritt,

Dann stürz', o Steg, zusammen

Und nimm den Grünen mit!


Und trag' ihn auf dem Rücken

In's Meer, mit gutem Wind,

Nach einer fernen Insel,

Wo keine Mädchen sind.
[16]

Herzliebste, das Vergessen,

Es kommt dir ja nicht schwer –

Willst du den Müller wieder?

Vergißt dich nimmermehr.

Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 15-17.
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