Freiheit im Wein

[90] Und wüßt' ich, wo es besser wär',

So zög' ich aus der Welt.

'S ist wahrlich keines Bleibens mehr

In diesem Erdenzelt!


Hab' mit dem Teleskop von fern

Des Himmels Rund besehn,

Ob nicht in irgend einem Stern

Weinstöcke sollten stehn.


Doch hab' ich keine noch entdeckt,

Und Herschel ist nun todt!

Wenn uns die Welt noch ärger neckt,

Wohin aus unsrer Noth?
[90]

O Brüder, Brüder, schwebt mir ja

In's Blaue nicht hinaus!

Die beste Freistatt liegt so nah

In unsres Wirthes Haus.


In seinen Keller flüchten wir,

Und der ist bombenfest.

Potz alle Welt! wir trotzen dir,

Wenn Sturm du blasen läßt!


Wird auch die Freiheit vogelfrei

Hier oben wohl genannt,

Da unten hat die Sultanei

Sie noch nicht weggebannt.


Noch braust sie auf im jungen Wein,

So oft die Reben blühn:

Dann will der Geist entfesselt sein

Und in dem Becher glühn.


Und in dem Brausen toben sich

Die wilden Hefen aus:

Der ächte Geist, er hält den Stich

Und triumphirt im Strauß.


Auf, Brüder, lösen wir den Spund,

Und machen frei den Wein!

Sein freier Geist weih' unsern Mund

Zu freien Liedern ein!

Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 90-91.
Lizenz:
Kategorien: