Der Minister

[214] Hört! Von Geschäften wurde toll ein christlicher Minister! –

So wollen wir einmal beschaun doch sein Geschäfts-Register.

Ei, gab es denn in diesem Jahr so schrecklich viel zu schaffen?

Was ist geschaffen und geschafft? – Wir dürfen's auch begaffen.

Die Segel auf! Gen Osten hin! Da giebt es was zu sehen.

Schon leuchten uns von Chios Strand entgegen die Trophäen,[214]

Trophäen, prächtig aufgethürmt, Trophäen ohne Gleichen,

Trophäen, weiß und schwarz und roth, von Schädeln, Blut und Leichen.

Und Kreuze liegen oben auf, bespieen und zerschlagen –

Was ist geschaffen und geschafft? – Hier laßt einmal uns fragen.

Und um das hohe Leichenmahl sieht man die Wölf' und Tiger

In festlich wildem Pompe ziehn, als ehrenwerthe Sieger.

Viel Sklaven ziehn im Joch voraus, viel Greise, Kinder, Weiber;

In Schweiß und Blut und Thränen sind gebadet ihre Leiber.

So schleppen sie ihr eignes Fleisch zum Klotz der Schlächterhöhlen:

Man sagt, es sollen Christen sein: ich will es nicht verhehlen.

Die Segel auf! Gen Osten hin! Da giebt es was zu sehen,

Daß Herz und Gall' und Aug' und Mund vom Sehen übergehen.

Der muß auf hoher Höhe stehn, der ruhig hier mag gaffen:

Wir wollen's ohne Streit gestehn: das Jahr gab viel zu schaffen.

Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 214-215.
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