Eine Dichterin

[21] An Meeresstrand bist du geboren,

umrauscht von seinem frischen Wind,

erblühtest du, der Welt verloren,

der Freiheit unentwegtes Kind!

Dein Wiegenlied schon sang der Wogen

geheimnisvolle Melodie –

so ward, in ihrem Hauch erzogen,

dein Traum und Sinnen Poesie.
[21]

Nun wogt die See durch deine Lieder,

ein unergründlich tiefes Meer:

Die Welle flieht und kehret wieder

und glitzernd sprüht der Schaum umher,

erbrausend schlägt sie auf am Strande,

doch nur des Kenners Blick allein

erspäht im feuchten Ufersande

der Perle Glanz im Muschelschrein.


Quelle:
Clara Müller-Jahnke: Gedichte, Berlin [1910], S. 21-22.
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Der Freiheit zu eigen: Gedichte 1884-1905