Am Meer

[184] Du bist mir Freund geworden,

des trag ich Freud genug;

es rauscht in Sturmakkorden,

o Meer, dein Atemzug.

Er haucht in meine Seele

ein Ahnen licht und groß –

da sinken Schuld und Fehle

wie Fesseln von mir los.


Du bist mir Freund geworden,

des trag ich Freud genug;

mich zog zu deinen Borden

ein wundersamer Zug.

Ich ließ der Palmenwälder

schwülduftende Tropennacht,

ich ließ der Weizenfelder

goldglänzende Aehrenpracht.


Vergessen hab ich lange

der Bäume früchteschwer;

ich grüße vom Dünenhange

dich, vielgeliebtes Meer!

Mich lockt aus blauen Feuchten

ein flimmernd Wellenspiel:

eine Krone seh ich leuchten,

die in die Tiefe fiel.

Quelle:
Clara Müller-Jahnke: Gedichte, Berlin [1910], S. 184-185.
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