Auf Goldgrund

[275] Auf Goldgrund stand die Sonne

und strahlte groß und feierlich.

Aus der Tiefe der Welten stieg

die scharfumrissene Wolkenwand

mit rasender Schnelle am Himmel empor,

stieg – stand.


Auf ihrem Gipfel aber hob das Kreuz,

dran vor Jahrtausenden der Heiland hing,

sich finster, scharf und glorienumloht,

– drei schwarze Sterne schattend über ihm –

vom goldumflossnen Abendhimmel ab

und breitete die nackten Arme aus

und harrte, tausendjähriger Sehnsucht voll,

des neuen Welterlösers –

oder einer

verstoßenen Seele?

Arme Seele du –

Quelle:
Clara Müller-Jahnke: Gedichte, Berlin [1910], S. 275.
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